piwik no script img

NachgefragtBittere Pillen für Frauen

■ Gesundheitsforscherin: Weibliche Lebensphasen zu oft „krank definiert“

Müssen Beschwerden in den Wechseljahren mit Medikamenten behandelt werden? Braucht es einen Arzt zur Geburt eines Kindes? Die Gesundheitswissenschaftlerin Petra Kolip beschäftigte sich hierzu gestern in ihrem Vortrag: „Weiblichkeit ist keine Krankheit“

taz: Weiblichkeit ist keine Krankheit, wissen wir das nicht schon?

Petra Kolip: Viele Ärzte tun so, als wüssten sie das nicht. Denn es ist so weit, dass im Leben von Frauen jede Umbruchsphase von der Medizin begleitet wird.

Soll das also heißen, Männer sind das gesunde Geschlecht?

Nein, Männer sind nicht das gesunde, Frauen aber auch nicht das kranke Geschlecht. Es gibt ebenso männliche Umbruchsphasen, die medizinisch behandelt werden. Frauen sind nur öfter betroffen, weil der Umbruch bei ihnen offensichtlicher ist.

Welche Lebensabschnitte sind denn betroffen?

Schwangerschaft, Menopause, auch die Pubertät wird medizinisch betrachtet. Viele Mädchen schickt man mit der ersten Regelblutung zum Frauenarzt. So lernen Mädchen nicht, ihrem Körper zu vertrauen. Vertrauen schafft erst der Profi, der alles vermisst und beurteilt, ob es in Ordnung ist.

Seit wann beobachten Sie diese Entwicklung?

Wir leben ja in einer Zeit, in der vieles machbar ist. Wo die Medizin Fortschritte macht, werden Probleme, mit denen sich frau sonst arrangiert hat, zur Krankheit gemacht. So werden Wechseljahrsbeschwerden als Mangelkrankheit definiert, die mit Hormonen behandelt werden muss.

Ist das Behandeln solcher Beschwerden denn schlecht?

Es geht mir nicht darum, dass Frauen ihre Beschwerden nicht lindern sollen. Oft wird aber etwas behandelt, was gar nicht behandelt werden muss. Viele haben keine eigene Wahl mehr, weil sie die Hormone verschrieben bekommen, sobald sie älter werden.

Welche Rolle spielen die Frauen selbst?

Frauen sind nicht nur Opfer. Viele wollen ein Sicherheitsgefühl und vom Arzt bestätigt bekommen, dass sie normal sind.

Gibt es Alternativen?

Es geht darum, den Kommunikationsstrategien der Pharmaindustrie etwas entgegenzusetzen. Wir wollen Frauen unterstützen, eine informierte Entscheidung zu treffen, und sie in die Lage versetzen, Vor- und Nachteile abzuwägen.

Was heißt das für die Praxis?

Das wird ein mühsamer Weg. Man muss sich an die Ärzte und Ärztinnen wenden, und das am besten schon in der Ausbildung. Die Frauen selbst wollen wir durch eine Broschüre erreichen, die über die Verbraucherzentralen verteilt wird. Frauen müssen lernen, dass sie für ihren Körper verantwortlich sind.

Fragen: Melanie Haselhorst

40.000 mal Danke!

40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen