Nachfolge in Berlin: Kirche sucht Erzbischof

Die katholische Kirche braucht einen Erzbischof für Berlin. Die Zeit drängt, denn Ende September kommt der Papst. Noch in dieser Woche soll die Entscheidung fallen.

Gesucht: Kardinal Sterzinskys Nachfolger. Bild: dapd

Institutionen können brutal sein - alte umso mehr. Dass dies trotz der christlichen Wärme ihrer Botschaft auch für die älteste Institution der Welt gilt, war in der katholischen Kirche Ende Februar mal wieder zu beobachten: Da bekam Georg Kardinal Sterzinsky Besuch an sein Krankenbett. Hier lag der Berliner Erzbischof im künstlichen Koma.

Der 75-jährige Oberhirte war schwer krank, seine Ärzte hatten ihn um besserer Heilungschancen willen in eine Art Tiefschlaf versetzt. Die Delegation, die ihn besuchte, war unsicher, ob er mitbekam, was sie ihm eröffnete: Der Papst nehme sein Rücktrittsgesuch an, das Sterzinsky traditionsgemäß kurz vor seinem 75. Geburtstag Anfang Februar bei vollem Bewusstsein noch gestellt hatte. Mit der Mitteilung am Krankenbett war Sterzinsky nach 21 Jahren im Amt abgesetzt. Die Nachfolge: offen. Und das so kurz vor der großen Papstvisite!

Zwar ist das Berliner Bistum mit rund 400.000 Gläubigen nicht besonders groß - und viele Kirchensteuern kommen in der "Arm, aber sexy"-Metropole auch nicht in den Säckel des Bistums. Dennoch ist der Bischofsstuhl an der Spree von einem besonderen Renommee: Hier ist der Zugang zur politischen Elite Deutschlands fast zwangsläufig gegeben. Die vielen Journalisten in der Stadt erhöhen die Schlagkraft noch des langweiligsten Bischofswortes.

Vor allem aber darf sich jeder Berliner Erzbischof begründete Hoffnung machen, bald Kardinal zu werden. Als solcher erklimmt man die höchste Stufe der Kirchenhierarchie und kann vielleicht bald den nächsten Papst mit wählen - theoretisch sogar selbst Papst werden. Den Kardinalshut erhalten in Deutschland der Tradition nach nur noch der Münchner und der Kölner Erzbischof. Es geht also um viel. Und diese Woche soll die Entscheidung fallen, es herrscht Hektik.

Zwar gibt es einen "Diözesanadministrator", nämlich den Berliner Weihbischof Matthias Heinrich, der die Geschäfte führt, solange noch kein Nachfolger für Sterzinsky gefunden wurde. Doch für die exquisite Langsamkeit, die sich die Kirche sonst gönnt, ist keine Zeit, denn Ende September kommt Papst Benedikt XVI. in die Stadt.

Außerdem brennt es allerorten in der katholischen Kirche Deutschlands. Der Missbrauchsskandal hat den Ruf ramponiert, etwa 180.000 Gläubige sind in Folge des Skandals ausgetreten, was auch finanziell schmerzt. Hunderte Professorinnen und Professoren der katholischen Theologie haben sich bundesweit seit Februar in einem scharfen Memorandum für einen liberalen Kurswechsel in der Kirche ausgesprochen. Die Lage ist so prekär, dass sich die Bischöfe sogar dazu durchrangen, einen "Dialogprozess" mit den Laien, also den Nichtpriestern, anzuregen. Anfang Juli soll er beginnen.

Die 70 Oberhirten

In dieser Situation gilt die Besetzung der Berliner Stelle als Zeichen, wie es kirchenpolitisch in Deutschland wohl weitergeht. Das Problem: Die Vorgaben an den künftigen Erzbischof sind hoch, die Personaldecke aber dünn. Normalerweise werden geeignete Kandidaten im Bistum gesucht, also Priester mittleren Alters, die sich durch Romtreue, Frömmigkeit, Intelligenz, Managerfähigkeiten, Wortgewalt, einen untadeligen Lebenswandel und eine gewisse Mediengewandtheit ausgezeichnet haben. Solche Männer zu finden aber dauert seine Zeit, und die fehlt. Also haben nur die Geistlichen Chancen in Berlin, die bereits eingehend gecheckt worden sind und sich schon einschlägig bewährt haben: die etwa 70 Oberhirten an anderen Bistümern.

Hier wird das Spiel recht unfein, denn die Brüder im Bischofsamt dürfen schon als Zeichen guter Manier nicht offen gegeneinander kandidieren. Dennoch gibt es Favoriten. Wenn die Landesregierungen in Berlin und Schwerin keine Einwände geltend machen, könnte es der Regensburger Bischof Gerhard Ludwig Müller werden. Das wäre eine radikale Lösung, denn der bayerische Erzreaktionär bekäme in der liberalen - manche sagen gottlosen - Metropole kein Bein auf den Boden. Der 150-prozentige Bischof Müller neben dem schwulen Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) - das will sich selbst in Rom offenbar kaum einer vorstellen.

Bessere Chancen hätte wohl neben dem Kölner Weihbischof Heiner Koch der mehr als rückwärtsgewandte Bischof von Limburg Franz-Peter Tebartz-van Elst. Der 51-Jährige gilt als ausgemachter Streber und fiel in seinem einst liberalen Bistum sehr unangenehm durch mittelalterliches Kirchenfürst-Gehabe auf, wurde aber bundesweit medial nicht so verbrannt wie Müller aus Regensburg. Auch der wortgewandte, konservative und clevere Wilhelm Imkamp wurde über die Medien ins Spiel gebracht. Der päpstliche Ehrenprälat ist Organisator (Wallfahrtsdirektor) des Marienwallfahrtsortes Maria Vesperbild im Bistum Augsburg, also ganz ein Mann nach dem Geschmack Joseph Ratzingers. Nur ist er kein Bischof. Der mit 47 Jahren relativ junge Bischof Franz-Josef Overbeck aus Essen ist wohl auch noch im Rennen, aber er ist erst seit Kurzem zusätzlich "Militärbischof" der Bischofskonferenz mit einem Dienstsitz in Berlin - ein zweites Amt für ihn an der Spree gilt als unwahrscheinlich.

Diese Ausgangslage erhöht die Chancen für die etwas liberaleren Gestalten. Der Münchner Kardinal Reinhard Marx steht wohl nicht zur Verfügung, aber genannt wird etwa der Osnabrücker Bischof Franz-Josef Bode. Er hat als erster Bischof überhaupt einen Bußgottesdienst wegen der Missbrauchsfälle zelebriert - ausgestreckt in voller Länge bäuchlings auf dem Steinboden des Bischofsdoms liegend. Auch der Bamberger Erzbischof Ludwig Schick ist im Gespräch. Seine Wahl wäre eine halbe Sensation. Denn der 61-Jährige, der sich selbst als "68er" bezeichnet, hat es doch tatsächlich einmal gewagt, das Zwangszölibat in der katholischen Kirche zur Diskussion zu stellen. Das kommt meist einem K.-o.-Kriterium gleich für jeden, der derzeit in der Kirche Karriere machen will.

Eine originelle Lösung wäre auch Pater Hans Langendörfer, der Sekretär der Bischofskonferenz. Der Jesuit ist zwar selbst kein Bischof, soll aber schon im vergangenen Jahr durchleuchtet worden sein, als es um die Bischofsmitra von Görlitz ging - ein Posten, den er am Ende nicht erhielt. Vielleicht weil der so kluge wie verschmitzte Geistliche alles in allem dann doch zu liberal ist.

Irgendetwas bleibt immer hängen

Mit welch harten Bandagen gekämpft wird, zeigt auch eine kleine Zeitungsente, die jüngst aufflog. Zwei konservative katholische Journalisten, Alexander Kissler und Jürgen Liminski, pushten im Focus und im Deutschlandfunk eine Geschichte, die dermaßen absurd war, dass kein anderes ernst zu nehmendes Medium nachzog: Demnach strebten, einem ominösen internen Dossier im Vatikan zufolge, angeblich der Pressesprecher der Bischofskonferenz, Matthias Kopp, und eben Pater Langendörfer eine Teilung der katholischen Kirche Deutschlands an. Diese Verschwörungstheorie war so jenseits jeglicher Realität, dass die Sache schnell verpuffte. Aber wahrscheinlich war das den reaktionären Kreisen des deutschen Katholizismus schlicht egal. Nach dem Motto: Irgendetwas bleibt immer hängen.

Bleibt am Ende die Möglichkeit, dass der Diözesanadministrator Matthias Heinrich den Job übernimmt. Das wäre die kleine Lösung, die niemanden richtig verprellt. Heinrich galt früher als Zögling des rechten Flügelmannes Joachim Kardinal Meisner. Doch vom umstrittenen Erzbischof von Köln soll er sich in den letzten Jahren emanzipiert haben. Außerdem ist die Pensionierung des 77 Jahre alten Meisner abzusehen. Dann geht der Machtkampf in der Kirche in eine neue Runde.

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