Nachfolge für Berlins Polizeipräsident: Ein Kandidat mit langen Haaren
Ein Professor hat sich als Nachfolger von Polizeipräsident Dieter Glietsch beworben. Ihm werden von Insidern jedoch kaum Chancen eingeräumt.
Das Bewerbungskarussell läuft. Zum 1. Juni wird in Berlin ein hochkarätiger Posten frei. Die Stelle des Polizeipräsidenten ist neu zu besetzen. Der 63-jährige bisherige Amtsinhaber Dieter Glietsch geht Ende Mai in Ruhestand. Über die Zahl der Personen, die ihren Hut in den Ring geworfen haben, schweigt sich die Senatsinnenverwaltung aus. Eigentlich ist die Bewerbungszeit schon abgelaufen. Aber das sieht man nicht so eng. "Es gibt keinen Stichtag, nach dem nichts mehr ginge", teilte eine Sprecherin am Freitag mit.
Manche Medien indes kennen den neuen Polizeipräsidenten schon. Ganz vorn der Tagesspiegel: Der 58-jährige Professor Hans-Rainer Strahlendorf, der an der Hochschule für Wirtschaft und Recht im Fachbereich Polizei und Sicherheitsmanagement unterrichte, "soll Polizeichef werden", titelte die Zeitung am Freitag. Auch von einem angeblichen "Kandidatensterben" berichtete das Blatt. "Von einst etwa acht sollen nur noch drei Bewerbungen aktuell sein". Neben Strahlendorf habe sich der Leiter der Direktion 1, Klaus Keese, beworben und ein derzeit arbeitsloser Bewerber aus Nordrhein-Westfalen, der es aber - so der Tagesspiegel vollmundig - "garantiert nicht wird".
Da bietet die taz mit: Strahlendorf wird es garantiert auch nicht. Er ist seit 1994 nur in der Lehre tätig. Zwar sei Strahlendorf mal Polizist gewesen, aber er sei zu lange raus, verlautet aus Sicherheitskreisen. "Von der Praxis hat er keinen Schimmer."
Sein Profilbild bei Facebook zeigt Strahlendorf mit schulterlangen Haaren. Die Frisur erinnert an Vokuhila, vorne kurz und hinten lang. Ein Polizeipräsident mit langen Haaren, das wäre doch mal was. Aber Vokuhila passt eher zu Mucki-Bude und Bild-Zeitung.
Aus Kreisen der Polizeigewerkschaft GdP verlautet, der 58-Jährige wohne in Reinickendorf. "Er verkörpert das gute alte Westberlin." Gewerkschaftskreise halten Strahlendorf für einen guten Kandidaten für den Posten, genauso wie den Leiter der Direktion 1, Klaus Keese. Aber entschieden sei das Rennen noch lange nicht. Von außen jemanden zu bekommen sei schwierig. Wer kommt schon für eine Bezahlung von B 7 nach Berlin und macht so einen Wahnsinnsjob? Trotzdem: Nach Glietsch könne alles nur besser werden, so die Meinung von Gewerkschaftlern.
Die Polizeigewerkschaften haben von Glietsch bekanntlich nie etwas gehalten. Sie lasten ihm an, dass er in seiner neunjährigen Amtszeit mehr als 1.000 Stellen bei der Polizei abgebaut und die Kennzeichnungspflicht für alle Polizisten eingeführt hat. Glietsch laufe am Bändel der rot-roten Koalition und habe die Polizei bis zum Letzten ausgepresst, so der Vorwurf. Keese sei innerhalb der Polizei zwar auch nicht unumstritten, aber ihm traue man zu, dass er tue, was er denke und nicht der Innensenator.
Die Gewerkschaft mag Recht haben: Vielleicht gibt es Polizisten, die bei Glietschs Abgang ein Feuerwerk entfachen. Die Meinung der gesamten Behörde repräsentiert das aber nicht. "Glietsch hinterlässt große Fußstapfen", sagen Beamte. "Die muss man erst mal ausfüllen". Glietsch habe ein SPD-Parteibuch, sei aber kein Parteisoldat, der politische Vorgaben blind umsetze. Der Polizeipräsident habe einen Blick für das Wesentliche. "Er ist anstrengend, aber er führt und setzt durch."
Eine Überraschung bei der Nachfolgerpräsentation ist nicht ausgeschlossen. Auch im Jahr 2002 war das Bewerbungsverfahren längst abgeschlossen. Dann zaubert der rote-rote Senat den damaligen Inspekteur der Polizei in NRW aus dem Hut: Dieter Glietsch. "Ohne ihn hätte die Berliner Polizei weiter im eigenen Sumpf vor sich hin geschmort", sagt ein Polizist.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pelicot-Prozess und Rape Culture
Der Vergewaltiger sind wir
100 Jahre Verkehrsampeln
Wider das gängelnde Rot
++ Nachrichten zum Umsturz in Syrien ++
Baerbock warnt „Assads Folterknechte“
Trendvokabel 2024
Gelebte Demutkratie
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt