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Nachdenken in Namibia

Bei Namibias erstem offiziellen Gedenktag an den deutschen Völkermord an den Herero und Nama werden die Differenzen zwischen Betroffenen und Regierung sichtbar

Die Erinnerung wachhalten: Herero-Salut an die Opfer des Völker­mordes auf der Gedenkfeier in Windhoek 28. Mai Foto: reuters

Aus Windhoek Alfred Shilongo

Zum ersten Mal hat Namibia dieses Jahr einen offiziellen Tag des Gedenkens an den deutschen Völkermord an den Herero und Nama während der Kolonialherrschaft begangen – ein historischer Augenblick für das Land, mit dem die Regierung ihren Willen bekräftigt, Reparationen von der ehemaligen Kolonialmacht einzufordern, 117 Jahre nach Ende des vierjährigen Völkermords und 35 Jahre nach der Unabhängigkeit.

Der „Genocide Remembrance Day“ am 28. Mai wurde vergangenes Jahr festgelegt als Jahrestag des Datums, an dem das Deutsche Reich auf internationalen Druck hin die Konzentrationslager im damaligen Deutsch-Südwestafrika schloss. Die Bundesrepublik Deutschland hat im Jahr 2015 die Massaker an 85.000 Herero und Naman als Völkermord anerkannt, aber aus namibischer Sicht ist das nicht ehrlich, denn bis heute gibt es keine Vereinbarung zwischen beiden Ländern über die Konsequenzen. Namibias Regierungen verhandeln darüber seit Jahren mit Deutschland, beteiligen aber die Überlebenden der vom Völkermord betroffenen Gruppen nicht an diesen Gesprächen. Manche ihrer Vertreter nahmen nun auch nicht an den Gedenkfeiern teil.

Schon das Datum sorgte im Vorfeld für Meinungsverschiedenheiten. Vertreter der Herero und Nama hatten die Daten 2. Oktober oder 22. April vorgeschlagen, in Erinnerung an die offiziellen deutschen Vernichtungsbefehle gegen die beiden Volksgruppen. Auch die Jugendliga der Herero-Partei Nudo (National Unity Democratic Organisation)verlangte einen „inklusiveren und historisch korrekteren Zugang“. Sie forderte auch, dass das Völkermordgedenken an Stätten des Völkermordes stattfindet, nicht in den Parliament Gardens, wo ansonsten die Vereidigung des Staatsoberhauptes stattfindet.

Die namibische Regierung sprach dennoch vom „Beginn eines Prozesses der nationalen Heilung“ und einem „Augenblick der nationalen Besinnung“. Präsidentin Netumbo Nandi-Ndaitwah hielt vor Staatschefs des südlichen Afrika die Hauptrede halten vor Tausenden Zuhörern aus dem ganzen Land. Es wurden 33 Sammelstellen eingerichtet, von denen aus man zur Gedenkfeier gebracht werden konnte. Für die Teilnahme musste man sich vorab beim jeweiligen Regionalgouverneur anmelden.

Neben Präsidentin Nandi-Ndaitwah sprachen auch Vizepräsidentin Lucia Witbooi sowie Chief Immanuel Gaseb, Vorsitzender des Rates Traditioneller Autoritäten. Der Vorsitzende der Herero-Autorität, Hoze Riruako, gehörte lediglich zu den Zuhörern.

„Das reflektiert nicht die direkten Opfer des Völkermordes“, sagte Riruako gegenüber Journalisten am Rande der Gedenkfeier über das Programm. „Es fehlte auch die chronologische Wahrheit über das, was uns zu diesem Tag gebracht hat. Wir werden weiter mit der Regierung sprechen.“ Aber es war nicht nur ein Tag von Streit und Trauer. Gerade die Herero-Frauen mit ihren berühmten bunten Kleidern stachen heraus.

Die Präsidentin sagte in ihrer Rede, das Datum 28. Mai sei von Namibias Parlament einstimmig nach ernsthafter Debatte beschlossen worden. „Dies war keine willkürliche Entscheidung der Exekutive, es gründete auf einem Bericht an die Regierung nach Konsultationen eines Parlamentsausschusses“, sagte sie. „Es gab einen einstimmigen Beschluss, dass wir uns als ganzes Land erinnern und unserem Land verpflichten müssen. Denn wir können vergeben, aber niemals vergessen.“

Ganz Namibia spüre die Narben, die die deutschen Gräueltaten hinterließen, nicht nur die direkt betroffenen Gemeinschaften, führte sie weiter aus und appellierte an die direkt betroffenen Gemeinschaften, ihre Differenzen mit der Regierung über die Frage von Reparationen aus Deutschland beiseitezustellen.

,Der Vorsitzende der Herero-Autorität, Hoze Riruako, gehörte lediglich zu den Zuhörern

„Wir sollten Genugtuung darin finden, dass die deutsche Regierung anerkannt hat, dass deutsche Truppen einen Genozid an den Nama und Herero in unserem Land begangen haben. Wir sollten auch Genugtuung darin finden, dass die deutsche Regierung den betroffenen Gemeinschaften und dem namibischen Volk insgesamt eine Entschuldigung angeboten hat. Wir mögen nicht über die endgültige Lösung einig sein, aber dies ist Teil der komplexen Verhandlungen, die wir seit 2013 mit der deutschen Regierung führen.“ Man hoffe nun auf eine Vereinbarung, die auch für die betroffenen Gemeinschaften annehmbar sei.

Nandi-Ndaitwah, seit Ende März im Amt, hat die Frage der Reparationen von Deutschland zu einem vorrangigen Thema ihrer Amtszeit erklärt. Als Außenministerin von 2012 bis 2015 war sie bereits damit befasst und als Vizepräsidentin 2024/25 leitete sie den zuständigen Kabinettsausschuss.

Namibias Gedenkfeiern folgen auf den jährlichen „Africa Day“ der Afrikanischen Union am 25. Mai, der dieses Jahr unter dem Motto „Gerechtigkeit durch Reparationen für Afrikaner und Menschen afrikanischer Abstammung“ stand.

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