Nach historischer Volksabstimmung: Im Yasuní wird noch gebohrt
Ecuador hat per Referendum entschieden, dass im größten Nationalpark des Landes kein Öl mehr gefördert wird. Doch die Umsetzung lässt auf sich warten.
Drei Tage nach der Veranstaltung hätte das Unternehmen die Ölförderung auf dem wertvollen Stück Natur eigentlich schon komplett einstellen müssen. So hatte die ecuadorianische Bevölkerung es ein Jahr zuvor in einem historischen Referendum beschlossen. Doch auch zu Jahresende 2024 waren erst zehn Bohrlöcher geschlossen.
Der 1,2 Millionen Hektar große Yasuní-Nationalpark in Amazonien ist eins der artenreichsten Gebiete unserer Erde. In ihm leben zudem die letzten freiwillig isolierten indigenen Völker Ecuadors. Am östlichen Rand des Nationalparks befindet sich der Block 43, ein Ölfeld. Es umfasst 162.000 Hektar, von denen 78.000 Hektar im Nationalpark liegen.
Die Staatsfirma Petroecuador hat zusammen mit der Regierung mehrfach das Verfassungsgericht angerufen, um die Frist von einem Jahr zur Umsetzung des Referendums zu verschieben. Das Argument: Allein der Stopp dauere fünfeinhalb Jahre – im schlimmsten Fall zehn. Und erst danach will Petroecuador mit Reparationen beginnen – was wiederum um sieben Jahre dauern soll.
Morddrohungen für Öl-Gegner:innen
Denn die Indigenen, die niemals befragt wurden, ob sie das Ölfeld auf ihrem Land wollten, haben ein Anrecht auf Wiedergutmachung. Was genau das umfassen muss, ist noch unklar. „Wir fordern, dass Abbau und Wiedergutmachung simultan passieren“, sagt Manai Prado.
Seit elf Jahren engagiert sie sich für den Yasuní. Sie ist Mitglied der Kampagne „Yasuní Sí“, auf Deutsch also „Ja zu Yasuní“, der gleichnamigen Koalition und der Umweltorganisation Acción Ecológica sowie Gründungsmitglied des Kollektivs Yasunidxs. Sie arbeiten eng mit der Indigenen-Vereinigung der Waorani in Ecuador (Nawe) zusammen.
Die Indigenen, vor allem vertreten durch Nawe, haben mehrfach protestiert, weil sie bis heute nicht ausreichend beteiligt werden. Am Jahrestag der Volksabstimmung zogen sie mit der nationalen indigenen Föderation (Conaie) und Gruppen der Zivilgesellschaft zum Protest vors Energieministerium in Ecuadors Hauptstadt Quito.
Sie befürchten zudem, dass eine Fristverlängerung keinen kontrollierten Stopp der Ölförderung bringt, sondern dass die Bohrlöcher einfach „auf natürliche Weise verfallen“. Und sie fürchten um ihr Leben: „Alle Waorani-Führungspersönlichkeiten, die sich für die Schließung einsetzen, haben Morddrohungen erhalten“, sagt Manai Prado.
Natur mit Rechten in Ecuador
Im September reichte eine Delegation der Waorani zusammen mit Verbündeten beim Verfassungsgericht von Ecuador einen Aktionsplan für den Yasuní ein. Der soll neben dem vollständigen Abbau der Erdöl-Infrastruktur sicherstellen, dass die ökologische Wiederherstellung und die soziale Wiedergutmachung transparent und effektiv passieren. Neben den Menschen hat in Ecuador auch die Natur in der Verfassung festgeschriebene Rechte.
Gibt es Sachgründe für die Verzögerung des Förderstopps? Es fehle immer noch die Umweltgenehmigung samt internationaler Ausschreibung, um den Block zu schließen, sagt Energie- und Erdölexperte Miguel Robalino. Abschaltung, Abbau, Zurücklassung und Überwachung seien ein hochkomplexer Prozess. Bei Fehlern könne es zu einer Umweltkatastrophe kommen. Das Feld liegt im Dschungel, alles Gerät muss per Fluss hin- und weggeschafft werden. Doch der führt nicht ganzjährig genug Wasser.
Robalino schätzt, dass eine geordnete Schließung 17 Jahre dauert. Auch bestehe die Gefahr, dass der illegale Bergbau den zurückgelassenen Block übernehme, um Gold abzubauen. Dann ist die Frage, was die Abbau- und Aufräumarbeiten im Block 43 ans Licht bringen. Wasser, Erde und Luft müssten gereinigt werden.
Was heißt Wiedergutmachung?
Umstritten ist auch, wie die Entschädigungen aussehen sollen. Für Manai Prado geht es zum Beispiel nicht unbedingt um Geld, sondern um das Bereitstellen von staatlichen Leistungen auf dem Territorium – angefangen mit Trinkwasser, Gesundheitsversorgung, Bildung, Strom, Einkommen, kurz: „Methoden zum Überleben“. Fischen und Gemüseanbau sei wegen der Verschmutzung durch die Ölförderung nicht möglich.
Prado fordert auch einen fairen Entscheidungsprozess. „Die indigenen Gemeinschaften müssen gefragt werden, was Wiedergutmachung für sie bedeutet“, sagt Prado.
Neben den Sachgründen für die Verzögerung bei der Umsetzung des Yasuní-Referendums fehlt es aber auch am politischen Willen. Die Volksabstimmung fand am selben Tag statt wie die Präsidentschaftswahl. Vor der hatte Präsident Daniel Noboa behauptet, dass der Block 43 nicht rentabel sei und er ihn schließen wolle. Im Amt handelt er jetzt anders. Er setzte sich für ein Moratorium ein, um die Umsetzung des Referendums auszusetzen.
Begründung: Er brauche das Geld, um den „Krieg“ zu finanzieren – den gegen die Drogenmafia. Ecuador befindet sich in einer Sicherheitskrise, die die Mordrate in die Höhe schnellen ließ. Hinzu kommen Waldbrände, eine Energiekrise, die mit ihren Stromausfällen das Land lahm legt.
Qualität des Rohöls ist schlecht
Erdölexporte sind Ecuadors wichtigste Einnahmequelle. Einem Bericht der ecuadorianischen Zentralbank zufolge hat der Block 43 zwischen 2016 und 2022 rund 6,7 Milliarden Dollar in die Staatskasse gespült. Er enthält laut Schätzungen 20 Prozent der Erdölreserven des Landes. Die Qualität des dortigen Rohöls ist allerdings schlecht, was den Preis drückt.
Es ist nicht klar, wie viel Geld das Öl aus Yasuní theoretisch noch bringen könnte. Die Zahlen, mit denen Umweltschützer:innen und Staatskonzern hantieren, liegen weit auseinander.
Etwa 2,3 Milliarden Dollar sind in die Entwicklung des Blocks 43 geflossen, sagt Miguel Robalino, Energie- und Erdölexperte aus Ecuador. Der Block ist einer der jüngsten im Land und sollte eigentlich noch rund 20 Jahre in Betrieb sein. Er sei gut in Schuss. Rund 1,4 Milliarden Dollar soll es kosten, die Infrastruktur wieder abzubauen.
Zu diesen Kosten kommen noch die Einnahmeverluste hinzu. Laut Robalino sind das pro Jahr rund 1,2 Milliarden Dollar – von denen der Staat rund 800 Millionen bekomme. „Die Schließung wird die wirtschaftliche Lage des Landes verkomplizieren“, sagt Robalino.
Das Verfassungsgericht muss entscheiden
Er sieht zudem Probleme für die Energiesouveränität Ecuadors. Auch, weil das seinen Strom bisher vor allem aus Wasserkraft erhält – ein Problem bei der aktuellen Rekorddürre, das die vielen Stromausfälle verschärft. Die Politik habe die strategische Planung für den Energiesektor über Jahre vernachlässigt.
Würde der Staat den Reichen die Steuernachlässe streichen, könnte er die Einnahmen aus dem Yasuní mehr als wettmachen, argumentieren Umweltschützer:innen, darunter der Ökonom und ehemalige Erdölminister Alberto Acosta, ein Mitinitiator des Yasuní-Referendums.
Wie es weiter geht, soll nun das Verfassungsgericht entscheiden. Wann, ist unklar. Umweltschützerin Manai Prado vermutet, im Januar oder Februar 2025 oder noch später: „Wir müssen kämpfen, damit das Verfassungsgericht Petroecuador keine Fristverlängerung gibt.“
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