Nach dem Zyklon in Mosambik: Die Verzweiflung wächst
Hunderttausende Menschen haben kein Zuhause mehr und es mangelt an Nahrung. Viele Betroffene wissen nicht, was aus ihrer Familie wurde.
Noch immer strömen schlammige Fluten von den Ufern in den Fluss – im Landesinneren hatte sich nach dem Zyklon ein Binnenmeer gebildet, das nun allmählich abfließt. Der verheerende Wirbelsturm im Südosten Afrikas kostete bis zum Sonntag allein in Mosambik mindestens 446 Menschen das Leben, mehr als 110.000 Menschen kamen nach offiziellen Angaben in Lagern unter. Die Behörden warnten vor der Ausbreitung von Infektionskrankheiten.
Nach einer dreistündigen Bootsfahrt geht Fatia mit ihrer zwei Jahre alten Tochter und einigen Säcken Reis von Bord. Sie geht durch das, was von Búzi geblieben ist, und sucht nach ihrer Mutter – in der Hoffnung, dass sie noch lebt. Sie passiert ein Geldinstitut. Ganz in der Nähe haben sich Bewohner auf dem Dach eines dreigeschossigen Gebäudes versammelt, auf der Suche nach Netz für ihre Mobiltelefone. Sie geht an Menschen vorbei, die jetzt entlang der sandigen Hauptstraße im Freien leben. Manche kochen oder reparieren Habseligkeiten, ein Junge liest in einem Schulbuch.
Ihre Mutter könnte sich in der Schule aufhalten, beschließt Fatia. Als sie sich nähert, ertönt ein Schrei, Menschen kommen angerannt: „Mama!“. Sie ist tatsächlich da. Beide umarmen sich auf dem Fußweg aus Beton, der nun von Kochstellen gesäumt wird. „Mein Zuhause ist weg, aber ich bin auch glücklich, weil ich meine Familie sehen kann“, sagt Fatia.
Ihre Mutter Maria António sagt, sie habe Fatia am Dienstag vor dem Wirbelsturm zuletzt gesehen. „Ich wusste nichts von ihr. Ich bin sehr glücklich, sie zu sehen.“ Doch über das Schicksal ihrer anderen Tochter, die in der Stadt Quelimane lebt, weiß sie weiterhin nichts. Die Ungewissheit teilt sie mit Tausenden Familien in Zentralmosambik, die keinen Kontakt zu Angehörigen haben, denn viele der vom Zyklon zerstörten Kommunikationsverbindungen sind noch nicht wieder intakt. Menschen suchen verzweifelt nach Familienmitgliedern, von denen sie durch die Naturkatastrophe getrennt wurden. Einige werden nicht so viel Glück haben wie Fatia.
Gerüchte über weitere Zyklone
Die zwischen Búzi und Beira verkehrenden Fischerboote sind nun eine Lebensader der Infrastruktur. Sie trotzen Regengüssen, hohen Wellen und dem noch immer verbreiteten Gestank von Verwesung. So hängt in der Nähe von Búzi ein Hundekadaver im Geäst eines Baums.
Abgeschnitten vom Rest der Welt können Menschen schnell in Panik geraten. Ein Mitarbeiter des Mosambikanischen Roten Kreuzes, Assane Paul, versucht, eine Menschentraube zu beruhigen. Die Menge hatte ein Gerücht gehört, wonach ein weiterer Zyklon auf dem Weg ins Gebiet sei. Ein Mann liest von einem Hausdach herab aus der Bibel vor, er macht die Sünden der Menschen für den Zyklon verantwortlich. Ein anderer Mann läuft in tropfnasser Hose die Straße entlang. Sie hatte eine Wäsche nötig, und andere Kleidung habe er nicht mehr, sagt er zur Erklärung.
Noch immer sind viele Bewohner auf Achse. Dutzende warten am kleinen Pier von Búzi, wo die Fischerboote anlegen. Sie haben Säcke mit ihrer Habe zu ihren Füßen abgestellt, ihre Mienen sind sorgenvoll. Manche warten einfach auf Neuigkeiten.
Das andere Ende der Reise ist der Strand von Beira. Kleinkinder und barfüßige Frauen entsteigen einem Fischerboot und versammeln sich im strömenden Regen um Mitarbeiter einer Hilfsorganisation. Manche sehen aus, als hätten sie sich verirrt. Kaum einer trägt viel bei sich. Ein kleines Mädchen steht allein abseits, umarmt sich selbst, die Augen weit aufgerissen, flehentlich blickend.
Chor der Verzweifelten
„Ich habe mich in der Moschee versteckt“, sagt der zwölfjährige Ramadan Gulam. „Ich war eine Woche lang dort.“ Er ist aus Búzi gekommen, mit nichts als einer Tüte voller Kleidung und seinen Brüdern. „Mein Vater hat gesagt, wir sollten gehen, denn die Fluten würden wiederkommen. Ich weiß nicht, was ich jetzt tun soll.“
Cristina Machado ist mit ihren beiden Kindern und einer Bandage am Knöchel gekommen. Während des Zyklons sei sie von einem Zinndach verletzt worden, sagt sie. Die Wunde sei erst tags zuvor behandelt worden. „Ich suche nach meinem Mann“, erklärt Machado. Er arbeitete seit zwei Monaten in Beira. Wohin sie als nächstes gebracht wird, weiß sie nicht.
Francisco Mambonda verbrachte etwa eine Woche auf einem Hausdach, ohne Nahrung. Er, seine Frau und die Söhne tranken schmutziges Wasser, um zu überleben. Barfuß, zitternd und in zerrissenen Shorts stimmt er in den Chor der vielen Verzweifelten ein: „Ich weiß nicht, was ich jetzt machen soll.“
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