Nach dem Hilfeschrei der EU-Finanzpolitiker: EU sieht kein Lobbyproblem
Die Bankenlobby nehme zu viel Einfluss, klagten EU-Parlamentarier. Die EU-Kommission wiegelt ab. Es gebe kein Lobbyproblem in Brüssel. Die Expertengruppen seien ausgewogen besetzt.
Nach dem Aufruf von EU-Finanzpolitikern gegen die Einflussnahme der Bankenlobby in Brüssel schließen sich auch andere Organisationen und Politiker der Kritik an. Nina Katzemich von der deutschen Organisation Lobbycontrol begrüßte den Vorstoß der Parlamentarier. "Es ist völlig richtig, diese Zustände in Brüssel zu skandalisieren. In keinem anderen Politikbereich ist die Einflussnahme von Interessenvertretern so einseitig wie im Finanzsektor." Während etwa in der Umweltpolitik den 170 Lobbyisten des Chemieverbandes in Brüssel immerhin noch 20 Interessenvertreter von Greenpeace gegenüberstünden, gebe es in der Finanzpolitik nahezu keine alternative Stimme gegen die Lobby des Bankensektors. "Gerade die EU-Kommission, die gesetzgeberisch das Initiativrecht in der EU hat, wird in Brüssel massiv von der Bankenlobby dominiert", sagte Katzemich.
Am Montag hatten 22 Finanzpolitiker fraktionsübergreifend vor einer "Gefahr für die Demokratie" und der Einflussnahme der Finanzlobbyisten auf die politischen Prozesse gewarnt und geschrieben, dass sie sich nur noch eingeschränkt für urteilsfähig hielten, weil unabhängige Expertisen fehlten. Sie forderten eine bessere Ausstattung des Parlaments und die Einrichtung eines unabhängigen wissenschaftlichen Dienstes.
Auch Politiker aus anderen Politikbereichen schlossen sich dem an, zum Beispiel der CDU-Europaabgeordnete und Vorsitzende des Industrie-Ausschusses, Herbert Reul. "Das Parlament braucht dringend eine eigene unabhängige Expertise", sagte er der taz. "Ein eigener Recherchedienst ähnlich wie im Deutschen Bundestag wird von allen seit Langem gefordert - aber es passiert einfach nichts." Auch in der Industriepolitik fehle eine unabhängige Expertise, das sei "ein grundsätzliches Problem des Parlaments".
Die EU-Kommission schließt allerdings eine Erhöhung der Mittel für das Parlament aus. "Es ist vollkommen unrealistisch, dass wir noch mehr Geld in die parlamentarische Verwaltung geben", sagte ein Kommissionssprecher der taz. Auch im Hinblick auf das Lobbying im Finanzsektor sieht die EU-Kommission kein Problem: "Wir sind der Meinung, dass unsere Expertengruppen durchweg ausgewogen besetzt sind." Die Expertengruppen sind von der EU-Kommission beauftragte Fachkreise, die maßgeblichen Einfluss auf die EU-Politik haben. Im November hatte das lobbykritische Netzwerk Alter-EU eine Studie über die Interessenvertretung im Finanzsektor vorgelegt, wonach die Expertengruppen der EU-Kommission maßgeblich von Banken dominiert sind.
Beim Europaparlament sind derzeit 1.882 Lobbygruppen mit über 5.000 Lobbyisten registriert. In der freiwilligen Registrierdatenbank für Interessenvertreter der EU-Kommission sind derzeit 2.832 einzelne Lobbyisten gemeldet. Lobbycontrol geht allerdings davon aus, dass die Zahl der in Brüssel tätigen Lobbyisten insgesamt bei rund 15.000 Interessenvertretern liegt.
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