Nach dem Erdbeben in Nepal: „Von allem viel zu wenig“
Vier Tage nach dem Erdbeben wächst der Unmut über die nur langsam anlaufende Hilfe. Entlegene Regionen wurden noch gar erreicht.
DELHI taz | Mehrere Tage nach dem schweren Erdbeben verbessert sich die Versorgungslage nur langsam. In der Hauptstadt Kathmandu wächst der Unmut über die schleppende Verteilung von Hilfsgütern, während viele entlegene Gebiete für Rettungsteams noch immer unerreichbar sind. Die Zahl der Toten ist nach offiziellen Angaben allein in Nepal auf mehr als 5.000 gestiegen, mindestens 10.000 Menschen sind verletzt.
Vor allem in Verteilzentren für Hilfsgüter in Nepals Hauptstadt Kathmandu spielten sich inzwischen „menschliche Dramen“ ab, berichtet Felix Neuhaus. Der Nothilfekoordinator von AWO International berichtet von Auseinandersetzungen um Essen und Trinkwasser. „Es ist klar, wir haben von allem viel zu wenig. Da kommt es zu Streit und Reibereien.“
Vor allem Berichte aus Gebieten, die nur per Helikopter versorgt werden könnten, stimmen ihn nachdenklich. Wo kleine Hubschrauber ankommen, spielten sich mitunter dramatische Szenen ab. „Die Menschen rennen auf die Hubschrauber zu und kämpfen um Nahrung oder einen Platz zum Mitfliegen“, erzählt Neuhaus. Unter Touristen in der Wander- und Bergsteigerregion Langtang sei es zu einer offenen Schlägerei gekommen.
Auch ist immer häufiger zu hören, dass Hilfsgüter ungleichmäßig verteilt werden. Menschen mit Zugang zu Geld und Macht würden schneller Wasser und Nahrung erhalten, zitiert die indische Zeitung The Hindu einen Überlebenden in Kathmandu. Aus Verärgerung über die schleppende Reaktion der nepalischen Regierung sollen knapp 200 Menschen am Mittwoch in der Hauptstadt eine Straße blockiert haben.
Es droht ein Trinkwassernotstand
Unterdessen warnt das UN-Kinderhilfswerk Unicef vor einem Trinkwassernotstand. In Bhaktapur nahe der Hauptstadt hätten derzeit nur 20 Prozent der Menschen Zugang zu sauberem Trinkwasser. Die Hilfe müsse dringend ausgeweitet werden, sonst werde es zur „Katastrophe nach der Katastrophe“ kommen. Die hygienischen Verhältnisse verschlechterten sich von Tag zu Tag, berichtet Neuhaus. „Viele Menschen haben Durchfall, wir hören von ersten Cholerafällen.“
Neuhaus warnt: „Noch immer reden wir meist nur über Kathmandu und das umliegende Tal. Aus abgelegenen Dörfern haben wir nur sehr wenige Informationen.“ Inzwischen gebe es wieder Benzin, sodass seine lokalen Partner versuchten, mit eigenen Lastwagen in die entfernten Regionen vorzudringen. „Doch die Dörfer sind teilweise fünf Tagesmärsche von einer Straße entfernt. Die Menschen dort erhielten bisher keine Hilfe.“ Auch mit Hubschraubern seien manche Regionen kaum zu erreichen.
Auch in Kathmandu gelingt es Rettungstrupps nur langsam, die Hilfsgüter zu verteilen. Neuhaus gibt sich zurückhaltend, doch seine Worte lassen erkennen, auf welche Hindernisse die internationalen Hilfsorganisationen treffen. Zwar seien bei fast allen Treffen auch Vertreter der Regierung anwesend, die Kooperation sei aber schwierig. Neuhaus drückt es so aus: „Sie geben sich Mühe.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Magdeburg nach dem Anschlag
Atempause und stilles Gedenken
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Anschlag von Magdeburg
Aus günstigem Anlass
Analyse der US-Wahl
Illiberalismus zeigt sein autoritäres Gesicht
Biden hebt 37 Todesurteile auf
In Haftstrafen umgewandelt
Mindestlohn feiert 10-jähriges Jubiläum
Deutschland doch nicht untergegangen