Kein Sommer ohne Schwalben

Mit dem Videoassistenten sollte die absolute Gerechtigkeit Einzug halten in den Fußball. Wie schön, dass es anders gekommen ist!

Ein kleiner Hupfer für Raheem Sterling, ein großer Schritt für den englischen Fußball: EM-Finale! Foto: ap

Von Andreas Rüttenauer

Selten so gelacht: Ciro Immobile ist mit seiner Show gegen Belgien einer der Meme-Stars dieser Europameisterschft geworden Foto: ap

Bis zum vorletzten Spiel hat es gedauert bis zur ersten großen Diskussion über die Videoschiedsrichterei bei dieser EM. Wofür es die eigentlich gebe, wenn sie dann doch keine Gerechtigkeit im Fußball bringt, das war die Frage, die die Diskussion nach Englands Sieg gegen Dänemark bestimmt hat. Raheem Sterlings Schwalbe in der Verlängerung hat das Spiel entschieden. Darf das sein? Hätte der VAR nicht eingreifen müssen, nachdem Schiedsrichter Danny Makkelie auf den Elfmeterpunkt gezeigt hat? Wofür braucht es die ganze Überprüferei, wenn solchen Fehlentscheidungen dann doch nicht verhindert werden? Das ist auch so eine Frage.

Wim Jansen foult nicht, Bernd Hölzenbein fliegt dennoch. Im WM-­Finale 1974 macht eine Schwalbe von sich reden Foto: Werek/imago

Regelkundler mögen einwerfen, dass da ja ein Kontakt war und es deswegen nicht total falsch war, zu pfeifen. Dann war Makkelies Entscheidung vielleicht nur zu 90 Prozent falsch. Aber sollte es wirklich einen spielentscheidenden Elfmeter geben, wenn die Entscheidung nur zu 10 Prozent richtig ist? Es sind wunderbare Diskussionen, die da geführt werden. Und es ist auch wunderbar, dass sie mit Einführung des Videoassistenten nicht ausgestorben sind.

2006 wird Italien Weltmeister. Im Achtelfinale gegen Australien hilft dabei Fabio Grossos Flugeinlage Foto: Ulmer/imago

Kann schon sein, dass da ein Kontakt war. Rudi Völler fällt 1990 gegen Argentinien, kurz darauf ist er Weltmeister Foto: Baumann/imago

Wie langweilig wäre doch der Fußball, wenn er ganz und gar gerecht ablaufen würde! Wie ganz und gar anders wären die Nachrufe auf Diego Maradona ausgefallen, hätte er nicht im WM-Halbfinale 1986 in Mexiko ein Tor mit der Hand Gottes erzielt? Und gäbe es die schöne Fußballrivalität der Deutschen mit den Niederlanden überhaupt, wenn sich Bernd Hölzenbein im WM-Finale von 1974 nicht so schön in den Strafraum geworfen und so der DFB-Elf den Ausgleich durch Elfmeter ermöglicht hätte?

Schön fallen, das konnte Arjen Robben. Im WM-Achtelfinale von 2014 hat er auf diese Weise Mexiko ausgeschaltet Foto: Fotoarena/imago

Schwalben sind das Salz in der Suppe der Fußballgourmets. Es ginge schon auch ohne. Aber so richtig schmecken würde das kaum jemandem. Arjen Robben hat großartige Fußballspiele hingelegt. Aber was wäre ein Abend mit einer Diskussion über ihn, in dem es nicht auch um seine Liebe zum gezielten Hechtsprung in den Strafraum geht? Da könnte man ja gleich über Toni Kroos diskutieren. Neymar. Was ist gelacht worden über seine Rollen seitwärts nach leichten Berührungen durch den Gegner? Und wie großartig ist es eigentlich, dass Ciro Immobile sogar von seinen eigenen Mitspielern verlacht wird, weil er im EM-Spiel der Italiener neulich gegen Belgien zu Boden sank, als haben man ihn niedergeschossen.

Jürgen Klinsmann war in England als Schwalbenkönig verschrien und jubelte so, wie es sich für einen solchen gehört Foto: Evans/imago

Raheem Sterling ist ein großartiger Fußballer. Seine Schwalbe hat England den Finaleinzug beschert. Und der Fußballwelt mindestens einen Abend voller hitziger Diskussionen. Was will man mehr?