Nach antisemitischer Attacke: Drei Jahre Haft für brutalen Angriff auf Lahav Shapira
Das Berliner Amtsgericht sieht es als erwiesen an, dass Mustafa A. aus Antisemitismus handelte. Das Urteil geht über die Forderung der Anklage hinaus.
Shapira zeigte sich nach dem Urteil zufrieden, das Strafmaß empfinde er als „gerecht“, sagte er. Und er sei „froh“, dass der Prozess vorbei ist. Der Antisemitismus-Beauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, sagte: „Wir sehen, Antisemitismus bleibt nicht ungeahndet.“ Er hoffe auf eine präventive Wirkung, die andere von solchen Taten abschrecke.
Dass es A. war, der Shapira im Februar 2024 nach einer zufälligen Begegnung in einer Bar in Berlin Mitte angriff, war schon vor dem Urteil klar. Er hatte am ersten Prozesstag ein Geständnis von seinem Anwalt verlesen lassen. Nur das strafverschärfende antisemitische Motiv, von dem Staatsanwaltschaft und Nebenklage ausgingen, stritt A. beharrlich ab.
In seiner Urteilsbegründung sah der Vorsitzende Richter Sahin Sezer nun aber keine Zweifel, dass es Judenhass war, der A. dazu brachte, mehrmals auf Shapira einzuschlagen und ihm mit einem Tritt mehrere komplexe Brüche im Gesicht und eine Hirnblutung zuzufügen. Zusammenfassend sagte Sezer: „Wenn das kein Antisemitismus ist – was denn dann?“ Dass das Gericht zu einer so eindeutigen Einschätzung finden würde, war bei der komplexen Beweislage keineswegs ausgemacht.
Ungeheure Brutalität
Ausgangspunkt der Tat war, dass Shapira als Protest gegen eine propalästinensische Hörsaalbesetzung an der Freien Universität (FU) Berlin mehrere Plakate der antisemitischen Gruppe Young Struggle abriss. Es folgte eine antisemitische Hetzjagd gegen Shapira, bei der Fotos und Videos von ihm im Netz verbreitet wurden und er als rechtsextremer Zionist bezeichnet wurde. Dieser Hass schwappte auch in mehrere Chatgruppen, in denen sowohl Shapira als auch sein Kommilitone A. aktiv waren. Es war diese bedrohliche Atmosphäre, die nach Überzeugung des Gerichts den Nährboden für die spätere Tat bildete.
A.s Verteidiger Ehssan Khazaeli hatte in seinem Plädoyer betont, dass der Austausch zwischen A. und Shapira in den Chats lange Zeit sehr respektvoll war, auch wenn die beiden über den Umgang mit israelkritischen Positionen stritten. Antisemitische oder auch nur radikal israelkritische Aussagen von A. sind tatsächlich nicht bekannt. Er argumentierte aber, es sei falsch die Plakate abzureißen.
Ausschlaggebend für das Gericht war nun aber anderes. Das wohl wichtigste Beweisstück ist ein Video, dass die Ermittler auf A.s Handy fanden. Metadaten zeigen, dass es noch in der Tatnacht über die App Snapchat auf das Gerät gelangte. Eine erste Version zeigt eine von Blaulicht erhellte Szenerie, in der sich mehrere Personen über eine Gestalt beugen, die am Boden liegt: Shapira. Wenige Minuten nach dieser ersten Version des Videos landet eine zweite Version des Videos über Snapchat auf dem Handy. Der Inhalt ist derselbe, nur dass diesmal noch ein Schriftzug über dem Video liegt: „Musti hat diesen Judenhurensohn totgeschlagen“.
Zwar zeigen Meta-Daten, dass A. das Video nicht selbst aufgenommen oder beschriftet hat. Als Ersteller kommen am ehesten Freunde A.s in Frage, die mit ihm vor der Tat unterwegs waren und in der Nähe des Tatorts blieben. Aber woher wussten sie, dass der Mann, den ihr Freund da gerade zusammengeschlagen hatte, Jude ist? Das Gericht folgte hier der Staatsanwaltschaft, die nur die Möglichkeit sieht, dass A. mit seinen Freunden genau darüber gesprochen hat. Und das wiederum spricht dafür, dass das Jüdischsein Shapiras für A. eben sehr wohl eine Rolle spielte.
Anwalt hilft nicht
Neben dem strafverschärfenden Motiv der Tat hat die vergleichsweise hohe Strafe aber auch schlicht mit der Brutalität der Tat selbst zu tun, die Richter Sezer „außergewöhnlich“ nannte. Eine Augenzeugin hatte schon am ersten Prozesstag berichtet, wie sie noch Meter entfernt ein „dumpfes Knirschen“ gehört habe, als der Tritt das Gesicht Shapiras traf. Ein anderer Zeuge berichtete, er habe in den Augen A.s den Willen zur Vernichtung erblickt, als der auf Shapira losging.
Auch A.s Geständnis dürfte ihm kaum geholfen haben. Sezer sprach von einer Salami-Taktik, bei der A. nur zugegeben habe, was ohnehin kaum noch abzustreiten gewesen sei.
Und dann ist da noch A.s Anwalt Khazaeli. Der war im Gericht nicht nur mit aggressivem Tonfall, sondern auch mit skurrilen Versuchen aufgefallen, einen Täter-Opfer-Ausgleich auszuhandeln, in dem er Shapira Bargeld anbot. Dass der Verteidiger mehrere Videos als Beweis eingebracht hatte, die nach dem Plakat-Vorfall online über Shapira verbreitet wurden, wertete das Gericht nun sogar zu Ungunsten von A. Die Videos im Gerichtssaal zu zeigen, habe Shapira weiteren Schaden zugefügt und habe ebenfalls strafverschärfend gewirkt.
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