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: Der Macho und die Frauen

Der übergriffige Kuss von Luis Rubiales bei der Siegerehrung der Frauenfußball-WM sorgt noch immer für Wirbel in Spanien. Die Reaktionen zeigen: Spaniens Gesellschaft ist weiter, als viele ihrer Vertreter

Aus Madrid Reiner Wandler

Keine Feier ohne Macho. So auch jetzt, als die spanische Fußballnationalmannschaft der Frauen am vergangenen Sonntag im australischen Sidney den Titel holte. Der Präsident des Königlichen Spanischen Fußballverbandes, Luis Rubiales, „herzte“ – so eine deutsche Presseagentur – die Spielerinnen der siegreichen Elf bei der Übergabe des Pokals.

Herzlich freilich sieht anders aus. Rubiales nahm das Gesicht der Torschützenkönigen Jenni Hermoso zwischen die Hände und drückte der offensiven Mittelfeldspielerin einen langen, intensiven Kuss auf. Und nicht nur das: Ein Video zeigt Rubiales während des Spieles zusammen mit der spanischen Königin auf der Tribüne. Bei besonders guten Spielzügen der Mannschaft, griff er sich mit der einen Hand ans Gemächt, die andere riss er verzückt nach oben. Rubiales weiß, wie ein echter Mann feiert.

„Hat mit nicht gefallen“, sagte die Betroffene Hermoso kurz nach dem erzwungenen Kuss. Erste Kritik wurde vor allem in den sozialen Netzwerken laut.

Rubiales freilich wollte davon nicht wissen. Eine „Geste zwischen Freunden“ sei das gewesen, „Schwachköpfe“ und „unfähig zu feiern“ diejenigen, die ihn kritisierten. Darunter der spanische Sportminister Miguel Iceta, die Gleichstellungsministerin Irene Montero und selbst Regierungschef Pedro Sánchez. Die spanischen Sportpresse, nahm Rubiales in Schutz. Auch beim Titelgewinn der Herren 2010 habe es einen Kuss gegeben, ohne Skandal. Der allerdings war zwischen dem Torhüter und einer Reporterin. Die beiden waren ein Paar und standen kurz vor der Hochzeit.

Nur kurz nach dem Kuss eröffnete Rubiales den Spielerinnen, dass der Verband sie zu einer Reise auf die Baleareninsel Ibiza einladen würde. Als Dank für die gute sportlichen Leistungen. „Dort feiern wir dann die Hochzeit von Jenni und Ru­bia­les“, versuchte er sich an einem Scherz. Die Spielerinnen konnten nicht darüber lachen. Doch damit nicht genug. Der Verband veröffentlichte eine Erklärung von Jenni Hermoso, in der sie auch von einer Geste zweier Freunde redete. Der „Präsi ist ein Zehn-Punkte-Typ“, hieß es. Doch jetzt ist klar: Die Erklärungen waren gefälscht, Hermoso hatte sie nie getätigt.

Es regnet auf nassen Boden, wie die Spanier sagen. Denn bereits einige Monate vor der WM in Australien und Neuseeland waren Stimmen in der Frauennationalmannschaft gegen „machistisches Verhalten“ der Verantwortlichen des Verbands und des technischen Stabs laut geworden. Die Hälfte der Mannschaft legte das rote Trikot nieder. Die jetzt siegreiche Elf wurde in aller Eile zusammengestellt.

Luis Rubiales „herzt“ Athenea del Castillo nach dem ge­won­ne­nen WM-Finale Foto: David Gray/Afp

Fußball ist so populär in Spanien, wie in nur wenigen Ländern. Frauenfußball jedoch ist es nicht. Keine der Privatsender wollte die WM aus Ozeanien übertragen. Schließlich schlossen sich einige öffentliche Sender zusammen und brachten zumindest einige Spiele in heimische Wohnzimmer und Eckkneipen. Während bei den Männern König Felipe VI. bei wichtigen Spielen auf der Tribüne sitzt, war es beim Endspiel nur die Königin Letizia, die bei den Spielerinnen alles andere als beliebt ist. Denn beim Pokalendspiel der Frauenmannschaften, dem Pokal der Königin, vergleichbar mit dem Pokal des Königs bei den Männern, ließ sich Letizia bisher nicht blicken.

Mittlerweile hat die betroffene Spielerin die Spielergewerkschaft aufgefordert, nichts unversucht zu lassen, damit Rubiales sanktioniert wird. Es riecht nach Rücktritt im Verband. Am Freitag trifft sich die Generalversammlung aus den der regionalen Vertretern zu einer Dringlichkeitssitzung. Rubiales dürfte kaum noch zu halten sein.

Dass dies ausgerechnet im Land des „Nur Ja ist Ja“-Gesetzes, das sexuelle Handlungen, die nicht in beiderseitigem Einvernehmen stattfinden, unter Strafe stellt, passiert, ist traurig. Die Reaktion auf den Kuss beweist: Spaniens Gesellschaft ist – nicht zuletzt dank einer starken Frauenbewegung – weiter als viele ihrer Vertreter.