Nach Tiergarten-Entführung durch Vietnam: Nun wollen sie wohl ein anderes Opfer
Vietnam schlägt der Bundesregierung offenbar einen Deal vor: Sie lässt den 2017 entführten Trinh Xuan Thanh frei – unter einer heftigen Bedingung.
Hier hat ihm das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge nach seiner Entführung durch den vietnamesischen Geheimdienst ein Asylrecht zugesprochen. Hier leben seine Frau und drei seiner fünf Kinder. Aber Hanoi will ihn nicht ohne Gegenleistung ausreisen lassen.
Trinh Xuan Thanh ist ein abtrünniger vietnamesischer Wirtschaftsfunktionär und war 2016 nach Deutschland geflohen. Der vietnamesische Geheimdienst entführte ihn ein Jahr später in einer filmreifen Aktion bis nach Hanoi, wo der inzwischen 58-Jährige bis heute inhaftiert ist. Das Hanoier Volksgericht verurteilte ihn wegen Korruption und Misswirtschaft zu einer zweimal lebenslänglichen Freiheitsstrafe. Thanh bestreitet die Vorwürfe. Seine deutsche Anwältin Petra Schlagenhauf hält sie für politisch konstruiert. Deutschland fordert seit der Entführung die Freilassung und Rückkehr des Mannes.
Der in Berlin lebende Journalist Trung Khoa Le hat nun aus Hanoi erfahren, dass der Bundesregierung von dort ein Deal angeboten wurde: Vietnam lässt Trinh Xuan Thanh frei und schickt ihn nach Deutschland, wenn Berlin im Gegenzug die nach Deutschland geflohene Außenhandelskauffrau Nguyen Thi Thanh Nhan nach Vietnam ausliefert.
In Abwesenheit verurteilt
Die 55-Jährige, die Vietnam bis 2022 mit Rüstungsgütern und Medizintechnik aus westlichen Staaten belieferte, wurde dort in Abwesenheit wegen Korruption und Betrugs im Ausschreibungsverfahren zu 30 Jahren Haft verurteilt. Sie floh 2022 mit sieben Mitbeschuldigten ins Ausland. Seit eineinhalb Jahren lebt sie in Deutschland und wird hier von Sicherheitsbehörden vor einer drohenden Entführung beschützt.
Ein vietnamesisches Auslieferungsersuchen für Nhan hat das Bundesamt für Justiz abgelehnt. Seit der Entführung von Trinh Xuan Thanh 2017, so erfuhr die taz aus Regierungskreisen, werden Auslieferungen nach Vietnam grundsätzlich abgelehnt.
Ob es in dem Auslieferungsbegehren tatsächlich um die der Frau zur Last gelegten Wirtschaftsdelikte geht, steht in Zweifel. Sie ist die langjährige Geliebte von Vietnams Premierminister, mit dem sie auch eine gemeinsame erwachsene Tochter hat. Der Premier ist ein politischer Gegenspieler von Parteichef To Lam und Sicherheitsminister Luong Tram Quang. Da sie gegen ihn persönlich keine Angriffsfläche gefunden haben, sollen sie gegen seine (ehemalige?) Geliebte vorgegangen sein. So jedenfalls steht es in einem anonymen Brief, der der taz 2023 aus Hanoi zugespielt wurde.
Ob sich Deutschland auf den Deal einlässt, steht in Frage. Zum einen entscheidet nicht das Bundesinnenministerium, ob eine Person in ein anderes Land ausgeliefert wird, sondern ein Gericht und das Bundesamt für Justiz. Zum anderen hat Vietnam keine unabhängige Justiz.
Weder das Bundesinnenministerium noch das Auswärtige Amt äußern sich auf Anfrage zu der Frage. Ein Sprecher des Innenministeriums bestätigte der taz nur, dass am Montag ein einstündiges Gespräch von Vertretern des vietnamesischen Ministeriums mit Innenstaatssekretär Hans-Georg Engelke stattfinden wird. Vorausgegangen sei der Wunsch Vietnams nach einem Besuch des Sicherheitsministers Luong Tram Quang. Ob der vietnamesische Minister persönlich komme und wer ihn begleite, stehe „aktuell noch nicht fest“. Zu den von Vietnam angefragten Inhalten des Gesprächs gibt das BMI keine Auskunft.
Hanoi will einen Polizisten entsenden
Eine Quelle aus dem Umfeld der vietnamesischen Botschaft in Berlin teilte der taz mit, dass Hanoi den Besuch auch nutzen will, um wieder einen polizeilichen Verbindungsbeamten in der Botschaft installieren zu dürfen. Den hatte es bis zur Entführung von Trinh Xuan Thanh gegeben. Er war in den 1990er Jahren ernannt worden, um der deutschen Polizei zu helfen, die vietnamesische Zigarettenkriminalität zu bekämpfen.
Im Laufe der Jahre erwies sich dieser Beamte allerdings weniger als Teil der Lösung denn als Teil des Problems. Die taz erfuhr vor Jahren aus dem Berliner Landeskriminalamt, dass man den Mann am liebsten loswerden wollte und ihm kaum andere Aufgaben übertrug, als echte von gefälschten vietnamesischen Pässen zu unterscheiden.
Innerhalb der vietnamesischen Community konnte er allerdings den Eindruck erwecken, gut mit der hiesigen Polizei zu kooperieren, so dass mehrere Strafanzeigen bei ihm statt bei den deutschen Behörden landeten und eine Art Paralleljustiz entstand. Bei der Entführung von Trinh Xuan Thanh spielte der Verbindungsbeamte nach Überzeugung des Berliner Kammergerichtes eine zentrale Rolle. Er hat beispielsweise mitgewirkt, das Entführungsopfer aus Berlin zu transportieren.
Transparenzhinweis: Die Autorin arbeitet auch für das vietnamesische Magazin Thoibao.de, bei dem der im Text erwähnte Trung Khoa Le Chefredakteur ist.
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