Nach Insolvenz der Akademie Kannenberg: Staatsanwaltschaft prüft Pleite
Die Staatsanwaltschaft hat ein Vorermittlungsverfahren gegen die Sozialbehörde eröffnet – es geht um pauschale Abrechnungen und 5,6 Millionen Euro.
„Gegenstand des Vorermittlungsverfahrens sind die Rückforderungen der Sozialbehörde gegenüber der Kannenberg GmbH“, sagte Oberstaatsanwalt Frank Passade, „wir prüfen, ob es zu strafrechtlich relevanten Fehlverhalten auf Seiten der Sozialbehörde gekommen ist.“ Insbesondere pauschale Zahlungen zwischen 2014 und 2016 an den Jugendhilfeträger stehen dabei im Interesse der Staatsanwaltschaft. Um zu prüfen, ob sich ein Anfangsverdacht erhärten ließe, zieht die Staatsanwaltschaft nun Akten bei und prüft Höhe und Dauer von Pauschalbeträgen für den Jugendhilfsträger. Mit Ergebnissen aus den Prüfungen rechnet die Staatsanwaltschaft nicht vor Anfang 2018.
„Wir gehen davon aus, dass es eine Rechtsgrundlage für alle Zahlungen gegeben hat“, sagt Bernd Schneider, Sprecher der Sozialbehörde. Es sei 2014 und 2015 zwingend erforderlich gewesen, zahlreich unbegleitete jugendliche Geflüchtete „vor der Obdachlosigkeit zu bewahren“, denn dieses wäre wiederum ein Verstoß gegen das Sozialgesetzbuch gewesen, so Schneider.
Die Senatorin für Soziales, Anja Stahmann, wollte die Ermittlungen nicht kommentieren, hatte aber in der Sozialdeputation vergangene Woche gesagt, eine von der Opposition nachträglich geforderte detailgetreue Abrechnung für die jungen Geflüchteten sei in der „historischen Ausnahmesituation“ nicht möglich gewesen – täglich seien 200 Geflüchtete in die Stadt gekommen.
„Wir mussten uns richtig reinknien“
Die Opposition aus CDU, Linker und FDP monierte demgegenüber, dass Nachforderungen der Behörde zu spät erfolgten und es schon bereits vor einem Jahr Hinweise auf eine drohende Pleite von Kannenberg gegeben habe. Ebenso gebe es Hinweise darauf, dass Gelder zweckentfremdet worden seien.
Auch für andere Träger waren Abrechnungen wohl ein Problem. Katharina Kähler, bei der Inneren Mission für die Unterbringung von jugendlichen unbegleitete Geflüchteten verantwortlich, sagt: „Wir sind ein großer Komplexträger, haben deswegen natürlich Abteilungen für Controlling und Rechnungswesen.“ Dennoch sei es nur mit einem erheblichem Mehraufwand und Überstunden möglich gewesen, die besonderen Anforderungen wie bei der Unterbringung von Geflüchteten in einer Turnhalle oder der Waller Eissporthalle bewältigen zu können – „Wir mussten uns richtig reinknien“. Allerdings sei es bei den Anforderungen bei der Inneren Mission ohnehin üblich, nach kurzer Zeit „spitz abzurechnen“ – also Pauschalzahlungen mit tatsächlich erbrachten Leistungen zu verrechnen.
Das hatte die Akademie Kannenberg wohl nicht getan. Für eine Stellungnahme war der Träger bis Redaktionsschluss nicht erreichbar.
Die Sozialbehörde sagt, es sei notwendig gewesen, schnell für Liquidität zu sorgen, um in der Ausnahmesituation alle minderjährigen unbegleiteten Geflüchtete zu versorgen. Deswegen hätten 16 weitere Träger Abschlagszahlungen in Höhe von 15,865 Millionen erhalten. Die Behörde hatte die Pauschalen offenbar so angesetzt, dass sie in jedem Fall ausreichten. Nach den tatsächlichen, „spitzen“ Abrechnungen hatte die Behörde Rückzahlungen ab dem Herbst 2016 erwartet.
Mit Drill „Strukturen und Werte“ vermitteln
Gleich mehrere Träger hatten allerdings Probleme mit Rückzahlungen, wie die Sozialbehörde in einer Pressemitteilung mitteilte. Nach Gesprächen mit Stahmann hatte man sich auf Ratenzahlungen geeinigt – die allerdings blieben im Fall der Akademie Kannenberg zuletzt jedoch aus. Daraufhin stoppte die Behörde alle Zahlungen an Kannenberg und die Einrichtung beantragte Insolvenz am Amtsgericht Walsrode.
Derzeit betreut Lothar Kannenberg in Bremen noch 142 Jugendliche in sechs Einrichtungen. Platz wäre laut Sozialbehörde für 233. Zeitweise waren bis zu 800 Jugendliche in Einrichtungen von Kannenberg untergebracht. Bremen hatte 2014 und 2015 rund 2.500 jugendliche Geflüchtete ohne Begleitung aufgenommen, nach einer Gesetzesänderungen wurden viele der Jugendlichen inzwischen in andere Bundesländer umverteilt.
Das pädagogische Konzept der Kannenberg-Einrichtungen ist umstritten. Der Chef des Jugendhilfsträgers, Lothar Kannenberg, ist ein Ex-Boxer ohne pädagogische Ausbildung, der straffällig gewordenen Geflüchteten mit strengem Drill „Strukturen und Werte“ vermitteln wollte.
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