piwik no script img

Nach Gewalttat im OberlinhausKündigung der Täterin bestätigt

Die wegen vierfachen Mordes verurteilte Pflegerin hatte verlangt, dass ihr ehemaliger Arbeitgeber eine Abfindung zahlt. Die Klage wurde abgewiesen.

Mai 2021: Beileidsbekundungen und Blumen vor dem Oberlinhaus in Potsdam Foto: Soeren Stache/dpa

Berlin taz | Kurz vor Weihnachten verurteilte das Potsdamer Landgericht die Pflegerin Ines R., weil sie im April 2021 vier Menschen mit Behinderung in einer Einrichtung des Oberlinhauses getötet hatte. Sie erhielt eine Freiheitsstrafe von 15 Jahren, außerdem kam die 52-Jährige in eine psychiatrische Klinik. Doch das Ende des Strafprozesses bedeutete noch nicht das Ende von Gerichtsprozessen im Zusammenhang mit der Gewalttat. Am Dienstag wies das Arbeitsgericht Potsdam eine Kündigungsschutzklage von Ines R. ab, die diese bereits im Juni 2021 gestellt hatte.

Ines R. hatte in Absprache mit ihrem Anwalt Henry Timm, der sie auch im Mordprozess vertrat, aufgrund der außerordentlichen Kündigung nach der Tat verlangt, dass das Oberlinhaus ihr eine Abfindung in Höhe von 44.000 Euro zahlen sollte und der Arbeitsvertrag zum 30. November 2021 aufgelöst wird. Also erst rund sieben Monate nach dem vierfachen Mord und versuchten Mord an den Bewohner*innen.

In den Wochen vor dem Schuldspruch des Landgerichts war sogar die Rede von Euro 81.600 Euro Abfindung sowie eine Lohnfortzahlung bis Ende 2021 gewesen. Das Oberlinhaus lehnte die Forderung ab. Rechtsanwalt Timm begründete die Forderung nach einer Abfindungszahlung vor Gericht damit, dass der Arbeitgeber seine Fürsorgepflicht gegenüber der Pflegerin verletzt habe.

Die Richterin Birgit Fohrmann wies die Klage und die Schadensersatzforderungen ab, da ein „Kündigungsgrund wohl unzweifelhaft gegeben“ sei. Prekäre Arbeitsbedingungen seien kein Grund für Mord. Die verurteilte Pflegerin muss demnach die Kosten des Gerichtsverfahrens tragen.

Trauerarbeit geht weiter

Im März entscheidet das Arbeitsgericht Potsdam außerdem über die Kündigung der ehemaligen Heimleitung des Thusnelda-von-Saldern Hauses, des Gebäudes des Oberlinhauses, in dem die Gewalttat passierte. Die ehemalige Hausleiterin Heike J. wehrt sich juristisch gegen die fristlose Kündigung, die ihr im Dezember zuging. Im Mordprozess gegen die Pflegerin Ines R. waren auch Vorwürfe gegen die Heimleiterin durch ehemalige Mit­ar­bei­te­r*in­nen geäußert worden.

Die Be­woh­ne­r*in­nen des Thusnelda-von-Saldern Hauses und auch die Mit­ar­bei­te­r*in­nen des Oberlinhauses haben den Mordprozess und die Einzelheiten, die dadurch bekannt wurden, als aufreibend beschrieben. Viele Presseanfragen erreichten das Haus, außerdem gab es in den Verhandlungstagen starke Vorwürfe zu den Zuständen in der Einrichtung. Besonders den Vorwurf über fehlendes Personal wies die Einrichtung zurück.

Am 28. April 2022, ein Jahr nach der Gewalttat, will das Oberlinhaus gemeinsam mit Angehörigen der getöteten Menschen und mit Be­woh­ne­r*in­nen des Hauses im Rahmen einer Trauerfeier einen dauerhaften Gedenkort auf dem Oberlinhausgelände einrichten. Außerdem kündigte das diakonische Unternehmen an, eine Kommission aus Ex­per­t*in­nen einzusetzen, um die in dem Strafprozess thematisierten Probleme in der Pflege von Menschen mit Behinderung zu untersuchen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

2 Kommentare

 / 
  • Mich wundert die Berichterstattung in der TAZ in mehreren Artikeln zu diesem Fall.



    Natürlich ist NICHTS, auch keine Überarbeitung, Grund für einen Mord (und Totschlag nur in Notwehrsituationen nachvollziehbar). Natürlich ist ebenso nichts, auch kein Stress bei der Arbeit, Grund für Körperverletzung oder verbale Gewalt, gerade in Situationen mit Abhängigen (Pflegebedürftigen, Bewohnern, die auf Betreuer angewiesen sind).

    ABER: Warum wird in den meisten Artikeln zu diesem Fall darüber hinweggegangen, dass alle Pflegekräfte, die im Prozess aussagten, von Überlastungen in diesem Haus sprachen?

    Was ist das Signal an diejenigen, die dort weiterarbeiten? Einfach alles aushalten?

    Wenn jetzt einige, die überarbeitet sind, Krankentage nehmen, um wieder fit zu werden, müssen die anderen mehr arbeiten und sind dann ihrerseits überarbeitet. Das bekommen natürlich die Bewohner irgendwann mit, man hat keine Zeit mehr für Gespräche, beeilt sich, es fallen vielleicht Leistungen weg, die es vorher gab. Es gibt Pflegeheime, in denen Bewohner sich Grundbedürfnisse verkneifen, um das Personal nicht noch mehr zu belasten.

    Die Angeklagte wurde als jahrzehntelang engagierte Pflegerin beschrieben. Das sind Menschen, die sich selbst Stress machen, wenn sie merken, dass sie nicht leisten können, was sie leisten sollten. Dass sie keine Zeit haben, jeden rechtzeitig zur Toilette zu bringen, jeden gründlich zu waschen, mal ein Gespräch zu führen außerhalb von Pflegetätigkeiten.

    Wäre dieser Fall nicht gerade ein guter Anlass gewesen, noch mal darzulegen, was Pflegenotstand bedeutet und wozu er führen kann?

    Es heißt immer, stimmt mit den Füßen ab, aber dann bleiben einige Heime unterbesetzt oder mit unmotivierten Mitarbeitern zurück und Bewohner finden oft nicht so schnell oder überhaupt einen neuen Heimplatz!

  • Es heißt btw KündigungsSCHUTZklage. Ist ja auch nicht das Kündigungsgesetz, sondern das Kündigungsschutzgesetz.