Nach Gas-Deal mit Putin: Klitschko spricht von Ausverkauf
Mit neuen Protesten reagiert die prowestliche Opposition in Kiew auf die Milliardenverträge von Präsident Janukowitsch in Moskau. Die EU sieht kein Hindernis.
![](https://taz.de/picture/130876/14/Klitschko_01.jpg)
MOSKAU/KIEW dpa | Angesichts der jüngsten Milliardenabkommen der Ukraine mit Russland hat die westlich orientierte Opposition in Kiew Präsident Viktor Janukowitsch den Ausverkauf des Landes vorgeworfen. Der Staatschef habe die Ex-Sowjetrepublik als Pfand an Russlands Präsident Wladimir Putin verhökert, sagte der Oppositionspolitiker Vitali Klitschko bei Massenprotesten in Kiew.
Putin hatte Janukowitsch in Moskau einen Kredit über 15 Milliarden US-Dollar sowie um ein Drittel günstigere Gaspreise zugesichert. Mit der Vereinbarung will Russland nach Ansicht von Experten den politisch angeschlagenen Janukowitsch nach wochenlangen Dauerprotesten seiner Gegner stützen.
Bundeskanzlerin Angela Merkel mahnte angesichts des Streits zwischen Europäischer Union und Russland um die Ukraine zum Dialog. „Ich glaube, ein Bieterwettbewerb wird das Problem nicht lösen“, sagte sie am Dienstagabend in der ARD-Sendung „Farbe bekennen“. „Ich möchte, dass eine unabhängige Ukraine ihre Entscheidungen selbst fällen kann“, sagte die Kanzlerin. Das setze aber auch in Kiew Reformbereitschaft voraus.
Die EU betonte, die russisch-ukrainischen Abkommen seien kein Hindernis für die spätere Annäherung Kiews an Brüssel. Wenn dadurch Normalität in den Handelsbeziehungen zwischen der Ukraine und Russland hergestellt werde und Kiew seine Verpflichtungen gegenüber der EU einhalte, "dann können wir diese Entwicklung nur begrüßen", sagte EU-Nachbarschaftskommissar Stefan Füle. In Washington wies der Sprecher von US-Präsident Barack Obama, Jay Carney, darauf hin, die Vereinbarungen würden die Sorgen der Demonstranten in Kiew nicht berücksichtigen.
Janukowitsch hatte Ende November auf Druck Russlands die Unterzeichnung eines bereits ausgehandelten Assoziierungsabkommens mit der EU über engere Zusammenarbeit und freien Handel verweigert. Seitdem demonstrieren in Kiew täglich Tausende gegen die Regierung. Kritiker werfen Putin vor, mit einer von Moskau angeführten Zollunion eine Konkurrenz zur EU nach dem Vorbild der früheren Sowjetunion aufzubauen. Über einen Beitritt der Ukraine zu der Zollunion sei nicht gesprochen worden, beteuerte Putin.
„Ich rufe ihn in den Ring“
„Nur vorgezogene Wahlen können jetzt noch einen Ausweg aus der Krise bieten“, rief Klitschko den Demonstranten auf dem zentralen Unabhängigkeitsplatz - dem Maidan - zu. „Ich erkläre Janukowitsch zu meinem persönlichen Rivalen. Ich rufe ihn in den Ring.“ Klitschko, der nach Freigabe seines Titels als Schwergewichtsweltmeister nur noch Champion im Ruhestand ist, will bei der nächsten Präsidentschaftswahl gegen Janukowitsch antreten. Die Demonstranten forderten, wegen der künftig niedrigeren Gaspreise sollten nun auch die Nebenkosten um ein Drittel gesenkt werden.
Die regierende Partei der Regionen lobte hingegen die „strategische“ Vereinbarungen mit Russland trage zur Verbesserung der bilateralen Beziehungen deutlich bei. Einen Ausverkauf nationaler Interessen wies die Partei zurück. Vielmehr bleibe das Land der EU-Annäherung treu.
Die nahezu bankrotte Ukraine zahle vom 1. Januar 2014 an nur noch 268,50 US-Dollar pro 1000 Kubikmeter Gas, kündigte Putin in Moskau an. Der neue Preis liegt erheblich unter dem Betrag, den der Westen im Durchschnitt bezahlt. Die Ukraine ist ein wichtiges Transitland für russische Gaslieferungen in die EU.
Zudem kaufe ein russischer Staatsfonds für 15 Milliarden Dollar ukrainische Staatsanleihen, sagte Putin. Sein Finanzminister Anton Siluanow sagte, drei Milliarden Dollar könnten noch in diesem Jahr fließen. Die Hilfe ist nach Ansicht von Experten für die Ukraine überlebenswichtig im Kampf gegen die schwere Wirtschaftskrise in dem Land mit mehr als 45 Millionen Einwohnern.
Die Ukraine hatte seit Jahren versucht, die Anfang 2009 nach einem „Gaskrieg“ mit Russland vereinbarten Preise massiv zu senken. Wegen des Vertrags war die frühere Regierungschefin Julia Timoschenko in einem international umstrittenen Prozess zu sieben Jahren Haft verurteilt worden. Die Justiz wirft ihr Amtsmissbrauch vor. Timoschenko warnte in einem Interview mit dem Stern, eine enge Anlehnung an Russland bedeute den „Anfang vom Ende unserer Unabhängigkeit“.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Tabubruch der CDU
Einst eine Partei mit Werten
Trump und die Ukraine
Europa hat die Ukraine verraten
Social-Media-Star im Bundestagswahlkampf
Wie ein Phoenix aus der roten Asche
Gerhart Baum ist tot
Die FDP verliert ihr sozialliberales Gewissen
Krieg und Rüstung
Klingelnde Kassen
80 Jahre nach der Bombardierung
Neonazidemo läuft durch Dresden