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Nach Bolsonaros Wahlsieg in BrasilienDer lange Weg zur Machtübernahme

Wer ist Jair Bolsonaro? Im Schatten der Krise wurde der rechtsextreme Militarist, der als nicht ernst zu nehmend galt, zur Option gegen die Elite der PT.

Zu lange hielten viele Jair Bolsonaro für einen rechten Außenseiter Foto: dpa

Jair Bolsonaro hat lange gewartet, bevor er zu seinem großen Coup ansetze. Faschistische Ansichten hegte er immer schon und sprach sie auch aus, wenn sich eine Gelegenheit bot. Hetze gegen Schwule, Rechtfertigung von Folter, Plädoyers für das Erschießen politischer Gegner. Doch er galt als Außenseiter, als Exot, nicht ernst zu nehmen.

Mehr oder weniger unauffällig sitzt er seit 27 Jahren für den Staat Rio de Janeiro im Bundesparlament. Davor war er zwei Jahre Stadtverordneter in Rio. Bei den Massendemonstrationen 2013, die sich anfangs gegen Geldverschwendung für Fußball-WM und Olympia richteten und innerhalb weniger Tage in einen Protest gegen die Regierung von Dilma Rousseff mündeten, waren die Verherrlicher der Militärdiktatur (1964–1985) erstmals massiv präsent. Die Bilder von Uniformierten auf Militärwagen gruselten, doch niemand dachte damals daran, dass diese Rückwärtsgewandten je politische Bedeutung gewinnen würden.

Doch die Militaristen blieben präsent. Bei jeder Gelegenheit zeigten sie sich, auch bei den Massendemos für die Absetzung Rousseffs 2016. Damals kam es zu einem Schulterschluss aller konservativen Kräfte Brasiliens mit dem erklärten Ziel, die gewählte Regierung der Arbeiterpartei PT loszuwerden, egal wie. Die Ini­tiative übernahmen damals die Unternehmerpartei PSDB und das Oligopol der privaten Massenmedien, die mehr Sprachrohr dieser Bewegung waren als Berichterstatter.

Beim landesweiten Lkw-Streik im Mai dieses Jahres waren die Befürworter eines militärischen Eingreifens bereits so stark, dass sie in Zusammenarbeit mit der Polizei, die den Streik eigentlich beenden sollte, eine Führungsrolle übernahmen. Inzwischen meldete sich auch Bolsonaro unterstützend zu Wort. Im Landesinneren sind seit Jahresbeginn riesige Plakatwände mit der Werbung „Bolsonaro Presidente“ an Landstraßen zu sehen – illegale Wahlwerbung, an der sich offenbar niemand störte.

Das politische System basiert auf Interessenskungelei

Die Absetzung Dilma Rousseffs in einem umstrittenen Amtsenthebungsverfahren im August 2016 ist in mehrerlei Hinsicht der Ausgangspunkt für Bolsonaros Griff nach der Macht. Zum einen war es ein rechtsstaatlich fragwürdiges Verfahren, das eindeutig politisch motiviert war. Die Amtsübernahme durch eine durch und durch korrupte Clique um Übergangspräsident Michel Temer war der Beginn eines rechtsfreien Zustands, der auch den Ruf nach einem starken Mann hoffähig machte.

Zum anderen nutzte Bolsonaro die live übertragene Parlamentsabstimmung über die Amtsenthebung zu einer seiner perversesten Äußerungen. Er widmete seine Stimme dem bekannten Folterer Carlos Alberto Ustra, der einst auch Rousseff mit Elektroschocks misshandelte. Für viele gilt das als der heimliche Startschuss seiner Kampagne.

Das breite Anti-PT-Bündnis war für den Ex-Militär allerdings nur ein Sprungbrett. Die konservative Elite wollte 2018 selbst an die Macht, und Bolsonaro gelang es im Vorfeld der Wahl kaum, überhaupt einen Vize-Kandidaten zu finden. Doch sein Kalkül ging auf: Wenn die traditionellen Konservativen nach zwei Jahren unbeliebter Temer-Regierung keinen starken Kandidaten ins Rennen bringen, werde am Ende er selbst das rechte Lager vertreten. Hinzu kam, dass er den Anti-PT-Diskurs der Medien und Konservativen noch besser und radikaler in Szene setzte: „Du wirst in deiner Zelle verrotten“, sagte er dem unter fragwürdigen Umständen wegen Korruption verurteilten Ex-Präsidenten Lula da Silva.

In der Stichwahl war er dann die einzige Option gegen die PT. Seine Inhalte sind der Wählerschaft weitgehend unbekannt, da er sich seit einer Messerattacke durch einen offenbar geistig verwirrten Mann im September weigert, an öffentlichen Debatten teilzunehmen. Statt dessen Wahlkampf à la Trump: Unmengen Fake News, diesmal vor allem per WhatsApp. Trumps Ex-Berater Steve Bannon war im Team von Bolsonaro mit von der Partie. Und Beistand kam von evangelikalen Pastoren, die das Votum für Bolsonaro zu einer Gottespflicht erklärten.

Die oft geäußerte Hoffnung, die stabilen Institutionen in Brasilien würden Bolsonaro schon im Zaum halten, sind nach seinem fulminanten Wahlsieg mit über 55 Prozent der Stimmen eher Wunschdenken. Das politische System basiert auf Interessenkungelei, sodass rechtsstaatliche Prinzipien und moralische Skrupel weit hinten auf der Prioritätenliste vieler Parlamentarier stehen. Und der Oberste Gerichtshof hat bei all den fragwürdigen Entwicklungen seit Rousseffs Wiederwahl 2014 kaum Position bezogen. Trotzdem kündigte Bolsonaro bereits an, die Richterzahl auf 22 zu verdoppeln. Demokratie und Rechtsstaat ade.

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5 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

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  • In den Chefetagen der deutschen Wirtschaft knallten die Champagnerkorken

    Mit Blick auf Bolsonaros designierten Wirtschaftsminister Paulo Guedes dürften in den Chefetagen der deutschen Exportwirtschaft die Champagnerkorken geknallt haben. Während der Pinochet-Diktatur war Guedes Dozent an der Universidad de Chile und Prediger der ultra-liberalen Doktrin der Chicago-Boys der Freedman-Schule. Über sein Programm dürfte es mithin keine Zweifel geben, was im brasilianischen Unternehmerverband Confederação Nacional da Indústria (CNI) frenetisch begrüßt wird. Dessen deutscher Partnerverband BDI kann nun an die bewährten und profitsatten Wirtschaftskontakte während der Militärdiktatur anknüpfen und begrüßt daher unverhohlen den angekündigten sozialpolitischen Regime-Change in Brasilien, der ein radikales Roll Back der vorsichtigen Umverteilungspolitik der Präsidenten Silva und Rousseff zugunsten der verarmten Massen androht.

    • @Reinhardt Gutsche:

      Unser gesamter Außenhandel mit Brasilien beträgt 16,2 Milliarden Euro, das ist weniger als mit Südafrika.

    • @Reinhardt Gutsche:

      Friedman. Milton Friedman. Das Verschwörungsgeschwurbel wird ein Bisschen weniger peinlich, wenn wenigstens die Namen richtig geschrieben sind.



      Und jetzt lauf ich schnell zum BDI rüber, denn die werden von sich aus nicht wissen, daß die "profitsatten Wirtschaftskontakte" aus der 1985 beendeten Diktatur jetzt aus der Mottenkiste zu holen sind!

      • @Wurstprofessor:

        Diskursfigur „Verschwörungstheorie“

        Zitat von @WURSTPROFESSOR: „Das Verschwörungsgeschwurbel wird ein Bisschen weniger peinlich...“

        Interessant die semantische Ausweitung der Diskursfigur „Verschwörungstheorie“, die, wie zu sehen, nunmehr sogar dann in Anschlag gebracht wird, wenn man auf die ultraliberale Wirtschaftsdoktrin des neuen Regimes in Brasilien und deren ideologische Wurzeln verweist. Mithin wäre folglich auch jeglicher Verweis auf die Hintermänner des Pinochet-Putsches gegen den demokratisch gewählten Präsidenten Allende, den 9/11 Chiles 1973, unter „Verschwörungstheorie“ abzuheften.

        Laut Duden steht „Geschwurbel“ für „unverständliche, realitätsferne oder inhaltsleere Aussagen“. Welche dieser drei Begriffsbeschreibungen ist nun gemeint, wenn auf die Chicago-Boys als doktrinale Einflüsterer des von Bolsonaro designierten Super-Wirtschaftsminister Paulo Guedes verwiesen wird?

        Im übrigen habe Sie natürlich recht: Der Mann heißt Milton Friedman (und nicht Freedmann). Sorry

        • @Reinhardt Gutsche:

          Diskursfigur "Bullshit"? Sie haben im Kern ja Recht - verpacken das aber in so viel Gedöns aus der Abteilung Aluhut, daß man schlicht keine Lust hat, Ihnen Recht zu geben.