Nabu-Expertin über Aal-Aussetzungen: „Das dient nicht der Arterhaltung“
Beim „Aalutsetten“ feiern Politik und Fischerei das Aussetzen von Glasaalen. Aber einen Nutzen gibt es nicht, sagt Dagmar Struß vom Naturschutzbund.
taz: Frau Struß, wie gefährdet ist der Aal?
Dagmar Struß: Der europäische Aal ist zu 99 Prozent verschwunden und damit fast ausgestorben. In der Ostsee gehen wir bereits davon aus. Es gibt nur noch ganz wenige Tiere, die selbständig aus den Laichgebieten hierherkommen. Die meisten Aale, die in der Ostsee zu finden sind, wurden anderswo weggefischt und hier ausgesetzt.
Woran liegt das?
Einerseits an der Überfischung. Andererseits liegt es auch am Lebensraum. Aale ziehen in die Flüsse, um sich dort Fett anzufressen und bereit für die Reise in die Laichgebiete zu sein. Nur noch zehn Prozent der Fließgewässer sind aber in einem guten Erhaltungszustand, weshalb dieser Prozess nicht mehr gewährleistet ist. Häufig verhindern auch Querbauten die Wanderung der Aale.
Wie verläuft der Lebenszyklus eines Aals?
Die Laichgebiete der Aale liegen in der Sargassosee, östlich von Florida. Von dort wandern die Larven über den Atlantik und entwickeln sich kurz vor den europäischen Küsten zu Glasaalen. Von dort schwimmen die Jungtiere in die europäischen Flüsse. Nach acht bis fünfzehn Jahren sind die Aale bereit, wieder in die Laichgebiete zu wandern.
Und was ist das Problem?
Der Kreislauf der Wanderung funktioniert in Deutschland nicht mehr. Deswegen hat man angefangen, Glasaale vor der britischen, französischen und spanischen Küste zu entnehmen und dort auszusetzen, wo keine Wanderung mehr stattfindet. Dazu werden die Aale vorgezogen, um die Überlebenschancen zu erhöhen. In der Schlei wird das seit mehr als zehn Jahren gemacht. Wissenschaftler haben aber festgestellt, dass das nichts bringt. Denn nur ein ganz geringer Anteil der Aale findet überhaupt aus der Ostsee wieder heraus.
53, leitet die Nabu-Landesstelle Ostseeschutz Schleswig-Holstein.
Wieso das?
Der Kompass der Aale ist vermutlich gestört. Wenn sie etwa vor Frankreich gefischt und in der Schlei ausgesetzt werden, sind sie offenbar orientierungslos. Die Maßnahme dient also nicht der Arterhaltung, sondern nur der Fischerei.
Politik und Fischereiverbände feiern dieser Tage wieder die Aal-Aussetzungen.
Ich kann das nicht begreifen. Das ist hier wie ein Volksfest. Immer wenn Aale ausgesetzt werden, kommen Politiker und lassen sich fotografieren. Die sagen dann immer, dass sie das für den Arterhalt tun – dabei stimmt das nicht. Das kann man in Studien nachlesen. Und die Fischer müssten es auch wissen.
Wieso wird dann noch so stark am Aalfang festgehalten?
Aalfang hat im Norden eine lange Tradition. Ich vermute, dass sich viele Leute nicht trauen, aus dieser Position auszubrechen. Niemand möchte Überbringer schlechter Nachrichten sein.
Wie kann der Aal dann erhalten werden?
Nicht nur der Nabu, auch der Internationale Rat für Meeresforschung fordert einen kompletten Fangstopp und ein Ende der Aussetzungen. Das Aufkommen der Aale ist teilweise sogar dort rückläufig, wo Glasaale ausgesetzt werden. Es funktioniert also nicht. Außerdem müssen die Zustände der Gewässer verbessert und Barrieren abgebaut werden. Wissenschaftler bestätigen uns, dass diese Forderungen nicht zu weitgehend ist.
Und warum lassen sich Aale nicht einfach züchten?
Aale paaren sich in europäischen Gewässern. Wie sie das genau tun, konnte bisher niemand beobachten. Das ist ein großes Geheimnis, auch wenn man sich das heutzutage gar nicht vorstellen kann.
Welche Fische kann man noch guten Gewissens essen?
In der Ostsee sind das nur ein paar Plattfische. Alles andere ist zu gefährdet.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
US-Interessen in Grönland
Trump mal wieder auf Einkaufstour
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml