„NZZ“ kritisiert Autor Adolf Muschg: Zwerge, Riesen und Contenance
Der Schweizer Autor Adolf Muschg beanstandet den Umgang seines Heimatlandes mit Asylsuchenden. Die „Neue Zürcher Zeitung“ reagiert heftig.
FRANKFURT/M. taz |Vor ein paar Jahren erklärte der Schweizer Politiker Christoph Blocher den Schriftsteller Adolf Muschg zum „Nestbeschmutzer“, weil dieser Blochers chauvinistisch imprägniertes Geschichtsbild kritisiert hatte.
Jüngst nahm Muschg einige Vorkommnisse – unter anderem ein faktisches Badeverbot für Flüchtlinge – zum Anlass für kritische Anmerkungen. Mit Kritik an der Schweiz hielten sich die besten ihrer nonkonformistischen Intellektuellen von Carl Albert Loosli und Niklaus Meienberg (die hierzulande leider vergessen sind) bis zu Frisch und Dürrenmatt nie zurück.
Das Berufsschweizertum regt sich an Stammtischen und in Leserbriefspalten über Kritik regelmäßig mächtig auf. Das darf man getrost überhören. Ein strammer Exoffizier bedauerte öffentlich, dass ein linker Politiker ein Attentat überlebte und empfahl obendrein „die Erschießung der Regierung“ mit „heißem Käse“. Mit Humor in dieser Preislage braucht man sich nicht zu beschäftigen.
Anders liegt der Fall, wenn Martin Meyer, Feuilletonchef der seit 234 Jahren täglich erscheinenden Neuen Zürcher Zeitung, auf den Schriftsteller Adolf Muschg losgeht. Meyer, Feingeist und passionierter Klavierspieler, setzte sich mit Boxhandschuhen ans Schreibgerät.
Steuerbetrugstauglich
Seine vor allem laute Fanfare verspottet Muschg als „Zwerg“, der sich dank „medialer Multiplikatoren“ zum „Riesen“ aufblase, wenn er das Verhalten der Schweizer Eliten mit dem des „hässlichen Riesenzwergs“ Alberich vergleiche, der „nur unter größtem Druck das Kleinstmögliche herausgibt, kein Herz zeigt im Umgang mit Leuten, die nichts bringen“. Der kurze Satz Muschgs bringt das Verhalten der Eliten gegenüber großen Problemen wie dem Geschäftsmodell Steuerbetrug unter dem Decknamen „Bankgeheimnis“ ebenso auf den Punkt wie den Umgang mit Flüchtlingen.
Für die Reichen halten sie steuerbetrugstaugliche Accessoires bereit: Nummernkonten und Pauschalsteuermodelle. Muschgs Bemerkung saß, und Meyer verlor die Contenance. Er denunzierte die legitime Kritik am Brauchtum als Spiel mit der „Dauermoralisierung der Öffentlichkeit“.
Das geläufige Kalkül, Kritik zu entlegitimieren, indem man sie für Krisen verantwortlich macht, folgt einer restlos bekannten „Moral“ – derjenigen konservativer Selbstgerechtigkeit.
Leser*innenkommentare
lowandorder
Gast
Rudolph Walter - der Aufklärer.
Unverkennbar.
Leider sind es ja wohl nicht nur die klavierspielenden Feingeister, die sich des entlegitimierenden Kalküls bedienen.
Als ich gegenüber einem schweizer Musiker, dessen Klanginstallationen ich durchaus schätzen gelernt hatte, anläßlich eines workshops das Stück " Jonas und sein Veteran" = "Schweiz ohne Armee?"
von Max Frisch löblich erwähnte, explodierte er förmlich;
eindrucksvoll: seine Verbaliniurien gipfelte in dem Anwurf:
" Was hat der schon für die Schweiz getan - nichts!"
"..., kein Herz zeigt im Umgang mit Leuten, die nichts bringen“.
Mein patiell doch zustimmender Einwand, ich würde seiner, also Frischs, Mutter insoweit folgen, als sie ihm anempfohlen hat, nicht über Frauen zu schreiben, die verstünde er nicht;
ja auch das konnte die Wogen der Empörung nicht glätten;
bringt nichts, kein Nobelpreis
(da lag die Latte) etc;
wiewohl dieser Schwyzer mir gar keinen so recht waffentauglichen Eindruck machte.
Tja mach was; - alberich.
lichtgestalt
"..unter anderem ein faktisches Badeverbot für Flüchtlinge.."
"Still ruht der See.." Er lädt nicht zum Bade.
"..Das geläufige Kalkül, Kritik zu entlegitimieren, indem man sie für Krisen verantwortlich macht,..." Wunderbar formuliert. Doch leider ist diese "Moral" der konservativen Scheinheiligkeit nicht restlos bekannt.
"Ein jeder lebts, nicht vielen ist`s bekannt." damit hat wohl leider Goethe eher recht. Herr Walther, ihr aufklärerisches Fazit sollten Sie darum oft wiederholen.