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NSU-SchredderskandaleKonfetti auch im Innenministerium

Auch das Innenministerium hat kurz nach Auffliegen der Terrorzelle NSU Akten schreddern lassen. Ein Sprecher sagte aber, die vernichteten Akten hätten nichts mit dem Nazitrio zu tun gehabt.

Wer mag puzzlen? Bild: dpa

BERLIN dpa | Das Bundesinnenministerium hat noch nach dem Auffliegen der Thüringer Neonazi-Terrorzelle NSU die Vernichtung von Verfassungsschutz-Akten zum Thema Rechtsextremismus angeordnet. Im NSU-Untersuchungsausschusses des Bundestags, der am Donnerstag zu einer Sondersitzung zusammenkam, sorgte die Nachricht am Donnerstag für Empörung. Koalition und Opposition forderten als Konsequenz einen sofortigen Stopp der Vernichtung von Akten, die für die Untersuchungen des Ausschusses relevant sein könnten.

Ein Sprecher des Innenministeriums bestätigte die Vernichtungsaktion vom 14. November 2011, betonte aber, dass die Akten nichts mit der NSU zu tun hätten. Es handele sich um sechs Anlagen zu Abhörprotokollen von Telefongesprächen im Bereich Rechtsextremismus, sagte der Sprecher. In solchen Anlagen wird begründet, warum eine Abhörmaßnahme für sinnvoll erachtet wird. Die Akten hätten gemäß den gesetzlichen Vorgaben gelöscht werden müssen. Der zeitliche Zusammenhang mit dem Auffliegen des NSU sei Zufall. „Das ergibt sich einfach aus einer Regelmäßigkeit“, betonte der Sprecher.

Die Obleute von Koalition und Opposition im Ausschuss zeigten sich dennoch empört. „Ich bin fassungslos, wie die Sicherheitsbehörden mit den Akten umgehen und umgegangen sind“, sagte der FDP-Obmann Hartfrid Wolff. Ein Vernichtungsstopp bei Bund und Ländern sei dringend notwendig. Seine SPD-Kollegin Högl sprach sogar von einem Skandal.

Linke-Obfrau Petra Pau sagte: „Ich bin fassungslos, dass das Bundesinnenministerium offensichtlich nach dem Auffliegen des NSU noch die Vernichtung von Akten angeordnet hat, ohne zu wissen, ob sie für die Untersuchung noch relevant sind.“ Über die Vernichtungsaktion hatten zuvor die Stuttgarter Nachrichten berichtet.

Der Untersuchungsausschuss kam am Donnerstag eigentlich zusammen, um über einen anderen Fall von Aktenvernichtung zu beraten. Beim Bundesamt für Verfassungsschutz waren im November 2011 nach dem Auffliegen der Zwickauer Terrorzelle sieben Akten zur Neonazi-Szene in Thüringen vernichtet worden. Die Aktion soll in zwei Schritten erfolgt sein.

Gegen drei Mitarbeiter des Amtes laufen deswegen disziplinarrechtliche Ermittlungen. Ob die Aktenvernichtung eine gezielte Vertuschungsaktion war, ist weiter unklar. Verfassungsschutzpräsident Heinz Fromm hat wegen der Aktion um die Versetzung in den vorzeitigen Ruhestand zum 31. Juli gebeten.

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9 Kommentare

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  • T
    Transparentista

    Na, da wird man jetzt wohl auch das Innenministerium auflösen müssen ... Ich befürchte jedoch: wenn man genau Bescheid wüsste über die ganzen Ausmaße und alle Hintergründe der Verfilzung zwischen unserem Staat und irgendwelchen "Leuten fürs Grobe", dann müsste man auch gleich den ganzen Staat auflösen und neu gründen.

     

    Ich empfehle übrigens die Lektüre dieses Artikels:

     

    http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/kritik-an-oeney-spiel-mit-begrifflichkeiten-11782238.html

     

    Frau Öneys Rede vom "tiefen Staat" gehört zum Intelligentesten, das ich bislang gehört habe, und die ganze Haue, die sie dafür erhalten hat, rührt einfach nur daher, dass sie ins Schwarze getroffen und des Kaisers neue Kleider (die ständig beschworene Version "Pleiten, Pech und Pannen") damit als den blühenden Unsinn entlarvt hat, um den es sich dabei handelt.

  • A
    Achwas

    Es gibt keine gesetzliche Löschfrist für Papierakten - hier wird gelogen, was das Zeug hält. Siehe hierzu auch den Kommentar des BfDI, Herrn Peter Schar, in seinem Blog:

    "Es mag zur Praxis und zum Selbstverständnis eines Nachrichtendienstes gehören, nicht über alle Aktivitäten öffentlich zu sprechen. Auch das Tarnen gehört sicherlich in das Repertoire nachrichtendienstlicher Mittel. Trotzdem halte ich es für mehr als bedenklich, wenn in der laufenden Debatte über die nachrichtendienstlichen Fehlleistungen erkennbar falsche Fährten gelegt werden."

  • EL
    Ernst Lehmann

    Tja, ganz schön doof, dieser Datenschutz...

    Akten mit personenbezogenen Inhalten müssen nach bestimmten Zeiten geschreddert werden.

    Wegen Orwell 1984 und so.

    Aber dass der Datenschutz dann auch für verdächtige Rechte gilt und Ermittlungen berhindert, ist fies, daran haben wir nicht gedacht, als wir diese Datenschutzbestimmungen mitbeschlossen haben.

  • V
    vic

    Gewöhnlich neigt das IM dazu, Daten eher zu lang als zu kurz zu speichern.

    Hier aber musste glöscht werden- wg. zufälliger Regelmäßigkeit oder so???

  • D
    Detlev

    Tritt jetzt der Innenminister zurück?

    Wer bleibt bei diesem Treiben am Ende übrig?

     

    Natürlich bagatellisieren sie solche Aktenvernichtung - das sieht doch so aus, als ob die alle sich koordiniert haben und dann losgelegt haben. Wahrscheinlich haben diese Behörden jahrelang eine komplett illegale und miese Aktion durchgeführt oder gedeckt - jetzt müssen die Akten vernichtetet werden. Oder die Dilettanten-Variante: Die Dämmlichkeit der Behörden musste geschützt werden, die vielen Gelder für V-Leute, die wahrscheinlich die NSU unterstützten, müssen nicht nachvollziehbar gemacht werden. Der Bürger darf eben nicht merken, dass der Staat eine Mörderbande ausgerüstet und gedeckt hat.

    Und wer war noch Mensch Nummer 4, der aus dem Wohnmobil gestiegen sein soll, bevor sie sich dort drinnen gegenseitig umbrachten, alles abfackelten?

  • D
    Detlef

    Als ich an einem Abend im November 1989, also in der sogenannten Wendezeit, an dem Gebäude der Staatssicherheit in meiner Heimatstadt vorbei ging, konnte man sehen, wie hohe Flammen aus dem Schornstein des Gebäude schlugen. Im gesamten Gebäude waren die Verdunkelungen herunter gelassen, aber an deren Rändern blinkte hier und da die Raumbeleuchtung hervor. Erst später begriff ich, dass die "Genossen" dezeit die Beweise für ihre Vergehen beseitigt hatten. Niemand sollte noch irgendeinen Beweis für die kriminellen Machenschaften finden. Wie sehr sich doch Geschichte ähnelt - offene Feuerstellen gibt es heutzutage allerdings nicht mehr.

  • P
    Paul

    hahahaha -

  • F
    Franky

    Die Illuminaten haben alle Regierungen infiltriert !

  • D
    dieter

    Man stelle sich vor, in der Türkei würden nach einem Anschlag der Al Qaida Unterlagen der Geheimdienste, die Sache betreffend, geschreddert.

    Welch ein Aufschrei, und wie sicher wären sich Alle, dass radikale Islamisten mit der türkischen Regierung zusammenarbeiten...