NSU-Prozess beginnt: Morde, Bomben, Raubüberfälle
Es wird ein gigantisches Verfahren. Das Münchner Oberlandesgericht verhandelt ab Montag die beispiellosen Taten des NSU.
MÜNCHEN/BERLIN taz | Am Montagmorgen wird ein Gefangenentransporter die an Händen und Füßen gefesselte Hauptangeklagte Beate Zschäpe von der JVA Stadelheim in die Stadtmitte bringen. Die Route: streng geheim. Um zehn Uhr beginnt dann vor dem Münchner Oberlandesgericht der „Jahrhundertprozess“, wie er in den Medien schon vor Beginn genannt wird. Zu Recht.
Todesopfer rechter Gewalt gab es in der Bundesrepublik schon erschreckend viele, mehr als 150 seit der Deutschen Einheit. Auch neonazistische Terrorgruppen trieben schon ihr Unwesen, zuletzt 2003, als eine „Schutzgruppe“ festgenommen wurde, die einen Anschlag auf das Jüdische Zentrum in München plante.
Doch in dieser Form sind die Taten des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) beispiellos – genauso wie das Versagen des Staates. Zehn Morde, zwei Bombenanschläge, fünfzehn Raubüberfälle. Über ein Jahrzehnt lang wurden diese Verbrechen nicht als das erkannt, was sie waren: tödliche Aktionen von Rassisten, die mit „Taten statt Worten“ für Angst und Schrecken sorgen wollten.
Vier Untersuchungsausschüsse befassen sich seit Monaten mit dem NSU. Nun endlich beginnt auch die juristische Aufarbeitung. Auf der Anklagebank sitzen Beate Zschäpe, die mutmaßlich einzige Überlebende der Terrorzelle NSU, sowie vier Helfer der Neonazi-Gruppe im Untergrund.
Mord- und Sprengstoffanschläge
Zschäpe hat nach Überzeugung der Bundesanwaltschaft zusammen mit Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt Ende der 90er eine Terrorgruppe gegründet. Ihr Ziel war laut der 488 Seiten langen Anklageschrift, aus der Illegalität heraus durch Mord- und Sprengstoffanschläge ihre nationalsozialistisch geprägten völkisch-rassistischen Vorstellungen von der Erhaltung der deutschen Nation zu verwirklichen. Deshalb wird Zschäpe eine Mittäterschaft bei allen Morden, Anschlägen und Überfällen vorgeworfen.
Es wird ein gigantischer Prozess, der nach Einschätzung des Münchner Gerichtspräsidenten „deutlich“ länger als ein Jahr dauern wird. Bereits jetzt sind 80 Termine bis Mitte Januar 2014 angesetzt. 212 Zeugen sind allein bis September geladen, dazu eine Reihe von Sachverständigen.
Die Sicherheitsvorkehrungen sind streng. Im Vorfeld machten Gerüchte die Runde, rechte Sympathisanten und Störer könnten versuchen, in das Gerichtsgebäude zu gelangen, wie möglicherweise auch Menschen mit Rachegelüsten. Durch schärfste Kontrollen soll das nun ausgeschlossen werden.
Der Schwurgerichtssaal A101 im Münchner Strafjustizzentrum in der Nymphenburger Straße wurde für 1,25 Millionen Euro umgebaut. Zum Prozessauftakt sind zwar Demonstrationen gegen Rassismus und rechte Gewalt angemeldet, eine konkrete Gefahr sieht die Polizei aber nicht – weder von rechts noch von links.
Urteil wohl erst 2015
Mit einem Urteil ist nach derzeitigem Stand wohl erst für 2015 zu rechnen. Nur eine könnte das Verfahren mit einer Aussage drastisch abkürzen: Beate Zschäpe. Bisher macht sie von ihrem Recht, zu schweigen, Gebrauch.
Die Opferangehörigen hoffen, dass sich das im Laufe des Prozesses ändern wird. „Das würde die Taten des NSU nicht ungeschehen machen“, so die Nebenklägeranwälte Jens Rabe und Stephan Lucas. „Aber es könnte den Opfern zumindest bei der Bewältigung ihres Leids helfen.“
Sogar der Bundesinnenminister hat die Rechtsextreme vor Kurzem aufgefordert, „zur Besinnung“ zu kommen „und zur Aufklärung dieser schrecklichen Taten“ beizutragen. Auch das dürfte ohne Beispiel sein.
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