piwik no script img

NSDAP-ler mit EhrendoktortitelnDr. h.c. Nazi

Eine MDR-Recherche veranlasst ostdeutsche Unis zu Nachforschungen: Darf etwa der SS-Mann Otto Beisheim noch Ehrendoktor sein?

Noch immer gibt es mehr als 30 Nazi-Ehrendoktoren an ostdeutschen Universitäten Foto: imago/Ikon Images

Dresden taz | Mehr als 70 Jahre nach dem Ende der NS-Herrschaft werden noch immer 38 in dieser Zeit tätige Wissenschaftler als Ehrendoktoren an Universitäten in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen geführt. Das Nachrichtenradio MDR aktuell hat diese Zahl recherchiert und damit Nachforschungen an den Hochschulen ausgelöst. Zugleich wird die Frage diskutiert, inwieweit diese Ehrenpromotionen noch relevant sind oder ob sie mit dem Tod der Wissenschaftler erloschen waren.

Zu ihnen zählt beispielsweise der ehemalige General und Hitler-Bewunderer August von Mackensen, der nach dem Ehrendoktor in Danzig auch den der Uni Halle-Wittenberg erwarb. Der Industrielle Friedrich Emil Krauß war Kulturwart der ­NSDAP im Erzgebirge, wurde 1937 Ehrensenator der Universität Greifswald und 1945 Ehrendoktor der TU Dresden.

Besonders heikel ist die Biografie des 1940 zum Wehrwirtschaftsführer ernannten William Borm, den die Uni Leipzig ehrte. Borm war später sowohl FDP-Bundestagsabgeordneter als auch Agent der Hauptverwaltung Aufklärung der DDR-Staatssicherheit.

Der SS-Mann Otto Beisheim, Großunternehmer und Milliardär, war sogar Angehöriger der Leibstandarte Adolf Hitler. Erst 1993 verlieh ihm die TU Dresden den Wirtschaftsdoktor ehrenhalber, dem das Bundesverdienstkreuz und der Bayerische Verdienstorden folgten. Auf Drängen des Studentenrates der TU Dresden wurde 2011 der nach ihm benannte Saal umgewidmet.

Die Jugendjahre von Günter Grass

Sachsens Wissenschaftsministerin Eva-Maria Stange (SPD) hat sich nun an die TU Dresden gewandt und um Prüfung der 17 allein hier in Frage kommenden Fälle gebeten. Es obliege aber der Universität, Schlussfolgerungen zu ziehen. Ministerin Stange bat zugleich um eine differenzierte Betrachtungsweise und nannte die Jugendjahre des Schriftstellers Günter Grass als Beispiel. „Man muss schon genau hinschauen, um was es sich konkret handelt“, sagte sie dem MDR.

Unklarheit herrscht über die Rechtslage und die Notwendigkeit der förmlichen Aberkennung eines Ehrendoktortitels. Seine Verleihung ist auf jeden Fall ein Verwaltungsakt. Die Leipziger Universitätsrektorin Beate Schücking ist der Auffassung, dass es zu seiner Aufhebung keines weiteren förmlichen Aktes bedarf, wenn der so geehrte Nazi oder Kriegsverbrecher bereits verstorben ist.

Im Sächsischen Wissenschaftsministerium wird auf die Vorschriften verwiesen. Der Verwaltungsakt kann beispielsweise bei Gefährdung des Gemeinwohls widerrufen werden. Bei einem Doktorgrad ist dies bei wissenschaftsbezogenen Vergehen möglich, nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts auch bei schweren Vergehen wie Volksverhetzung.

Entzugsverfahren postum?

Die Universität Jena ist der Auffassung, dass ein Ehrendoktortitel nur an lebende Personen vergeben werden und also auch nur lebenden Personen aberkannt werden kann. Ein formales Entzugsverfahren postum wäre nicht möglich.

Angefragte westdeutsche Universitäten antworteten nicht alle auf die Frage nach vergleichbaren Fällen. Die Universität Tübingen, die einst als besonders braun galt, hat durch einen Arbeitskreis ihre Rolle im Dritten Reich analysieren lassen. In der Folge wurden auch Doktorgrade aberkannt. Über den Umgang mit Ehrenpromotionen konnte eine Sprecherin nichts sagen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • Mit „Ehrenbürgern“ kann es übrigens ähnliche Probleme geben, wie mit „Ehrendoktoren“.



    Als Beispiel sei Chemnitz (zu DDR-Zeiten Karl-Marx-Stadt) genannt. Hier unterlief den DDR-Kommunisten ein besonders peinlicher Lapsus. Erst nach der Wende stellte sich heraus, dass A. Hitler noch immer Ehrenbürger dieser ostdeutschen Stadt war. Anscheinend hatte man während der gesamten 40 Jahre DDR versäumt, die Liste der Ehrenbürger genauer durchzusehen . . . :-)))