NS-Kriegsgefangenenlager: Letzter Beschuldigter tot
In Berlin lief das letzte mögliche Verfahren gegen einen ehemaligen Wachmann eines NS-Kriegsgefangenenlagers. Dieser ist nun tot.
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Der Fall beschäftigte die Berliner Strafverfolger jahrelang. Als junger Mann soll der Beschuldigte von November 1942 bis März 1943 im Lager Wolodymyr-Wolynskyj in der Westukraine eingesetzt gewesen sein. Laut Staatsanwaltschaft war er für die Bewachung der dort untergebrachten Kriegsgefangenen zuständig. Er habe einen dezidierten Einblick in das Lagergeschehen gehabt. Ihm sei bewusst gewesen, dass er durch seine Tätigkeiten „einen reibungslosen Ablauf der angeordneten Massenvernichtung unterstützt habe“, so die Anklage von 2022.
Im Herbst desselben Jahres entschied das Landgericht Berlin, der damals 99-Jährige sei „aus gesundheitlichen Gründen dauerhaft verhandlungsunfähig“. Dagegen beschwerte sich die Staatsanwaltschaft erfolgreich. Im Oktober 2024 wurde die Hauptverhandlung schließlich zugelassen.
Das Berliner Verfahren war das letzte gegen einen Wachmann in einem NS-Kriegsgefangenenlager. Die Zentrale Stelle zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen in Ludwigsburg hatte 2022 erstmals Verfahren gegen solche Wachleute an die zuständigen Staatsanwaltschaften abgegeben. Behördenleiter Thomas Will betonte, die Morde in diesen Lagern seien mit den Verbrechen in Konzentrationslagern vergleichbar. Damals ging es um insgesamt elf Beschuldigte, die der Beihilfe zum Mord verdächtig waren. Keiner von ihnen wurde verurteilt.
Übrig bleibt: Ein KZ-Wachmann
Im deutschen Angriffskrieg gerieten etwa 5,7 Millionen sowjetische Soldaten in Gefangenschaft. Etwa 3,3 Millionen von ihnen verstarben, ein Großteil davon an unzureichender Lebensmittelversorgung und den katastrophalen hygienischen und medizinischen Bedingungen in den Lagern. Häufig gab es dort nicht einmal Baracken und kaum Essbares. Der massenhafte Mord war von den Machthabern einkalkuliert. Der Generalquartiermeister des Heeres, Eduard Wagner, erklärte: „Nichtarbeitende Kriegsgefangene haben zu verhungern.“ So geschah es.
Mit dem Ende des Berliner Falls bleibt nur noch ein Mann aus dem Nazi-Wachpersonal angeklagt. Gregor F. wird beschuldigt, als SS-Wachmann im KZ Sachsenhausen Beihilfe zum Mord in mindestens 3.322 Fällen begangen zu haben. Derzeit muss das Landgericht Hanau erneut darüber entscheiden, ob es zu einer Hauptverhandlung kommt. Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main hatte im Dezember einen Beschluss aufgehoben, das Verfahren wegen der Verhandlungsunfähigkeit des Angeklagten nicht zu eröffnen. Entsprechend erfolgt nun eine erneute Gesundheitsüberprüfung des mittlerweile 100-jährigen Beschuldigten.
Weitere Ermittlungen von Staatsanwaltschaften gegen NS-Beschuldigte sind laut Thomas Will von der Zentralen Stelle derzeit nicht mehr anhängig.
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