: NRW-Grüne bangen um Reputation
Möglicher Spitzenkandidat für die Landtagswahl wegen Betruges in zwei Fällen vorbestraft / Furcht vor Medienkampagne / Kandidat geht jetzt selbst an die Öffentlichkeit und wehrt sich: Verurteilung „darf kein Hindernis“ für Kandidatur sein / Viele Grüne verunsichert ■ Aus Düsseldorf Walter Jakobs
Den nordrhein-westfälischen Grünen steht auf dem bevorstehenden Wahlparteitag Anfang Dezember neben einem grundsätzlichen Linienstreit nun auch noch eine delikate Personaldebatte bevor. Dabei geht es um den jetzigen Landesvorstandssprecher Sigfried Martsch, der sich um einen der vorderen Listenplätze für die Landtagswahl im Mai nächsten Jahres bewirbt. Seit die Kadidatur des gewichtigen Nebenerwerbslandwirtes Martsch, der zugleich auch Sprecher der Landesarbeitsgemeinschaft Landwirtschaft ist, innerparteilich feststeht, ist einigen Parteiinsidern nicht sehr wohl. Seine Wahl, so die Befürchtung schon im Sommer dieses Jahres, werde - wie von einigen Journalisten bereits angekündigt - den Stoff für eine skandalträchtige Berichterstattung abgeben und den Einzug der Grünen ins Landesparlament möglicherweise erneut gefährden.
Siegfried Martsch, das wußte ein kleiner Kreis innerhalb der Partei seit langem, ist wegen betrügerischen Konkurses vorbestraft. In seiner schriftlichen Bewerbung hat Martsch dies jetzt selbst - ohne allerdings Einzelheiten mitzuteilen - öffentlich gemacht. Am 17. Januar 1985 hatte ihn das Bochumer Amtsgericht „wegen Betruges in zwei Fällen“ zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten auf Bewährung verurteilt. In der schriftlichen Urteilsbegründung heißt es, daß Martsch, der sich von 1981 bis 1983 als Bauunternehmer versuchte, einem Geschäftspartner „Zahlungswilligkeit und Zahlungsfähigkeit“ vorgespiegelt und ihn um rund 12.000 Mark geprellt habe, obwohl er sich der „desolaten finanziellen Situation“ seines Betriebes bewußt gewesen sei. Zugleich habe er keinem seiner acht Beschäftigten „die finanzielle Situation seiner Firma dargetan, vielmehr spiegelte er auch ihnen Zahlungswilligkeit und Zahlungsfähigkeit vor“. Bis auf geringe Beträge, so heißt es weiter im Urteil, seien keine Löhne bezahlt worden. Insgesamt wurden laut gerichtlicher Feststellung 20.000 Mark Lohngelder nicht ausgezahlt.
Der Landesvorstand hatte sich schon Anfang des Jahres mit dieser Vorstrafe, die nach Ablauf der Bewährungszeit inzwischen erlassen ist, beschäftigt. Besonders empört waren einige Vorstandsmitglieder darüber, daß Martsch bei seiner Kandidatur für den Landesvorstandssprecherposten im Januar 1989 den Delegierten diesen Teil seiner Vergangenheit verschwiegen hatte. Parteiöffentlich darüber zu diskutieren traute sich allerdings auch niemand aus dem Vorstand, dem damals drei „Realos“ und drei „Linke“, darunter Martsch, angehörten.
Martsch verwies darauf, daß innerhalb der Partei und so auch bei der LAG-Landwirtschaft alle um seine Vorstrafe gewußt hätten. Eine neuerliche Informationspflicht hätte also nicht bestanden. Daraufhin befand der Vorstand, teils mit großen Bauchschmerzen, daß die Geschichte kein Hindernis für die Amtsführung als Parteisprecher darstelle. In diesem Sinne entschied sich wenig später auch der Landeshauptausschuß, dem Vertreter aus allen Kreisverbänden angehören. Martsch zur taz:“ Ich habe dort die Vertrauensfrage angeboten, aber die Versammlung hat das abgelehnt.“
Auf dem Parteitag will Martsch nun selbst in die Offensive gehen. Mehrfach habe man ihm geraten auf eine Kandidatur für den Landtag zu verzichten, doch, so heißt es in seiner schriftlichen Bewerbung, „ich gehe davon aus, daß ich sehr wohl ein Recht habe, auch weiterhin exponiert am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen, und daß meine Vorstrafe meine politische Arbeit in dieser Partei nicht aufwiegt. Meines Erachtens würde es auch gegen das grüne Selbstverständnis verstoßen, wenn die Tatsache einer Vorstrafe zum entscheidenden Kriterium für eine Kandidatur würde“.
Der Schritt in die Öffentlichkeit vor dem Parteitag hat für die nordrhein-westfälischen Grünen zumindest eine Wirkung: Die von vielen befürchtete „Enthüllungsstory“ über den männlichen Spitzenkandidaten der Grünen - effektvoll während der heißen Wahlkampfphase inszeniert- wird keine mehr sein. Über die publizistische Wirkung der „Affäre“ ist damit allerdings noch gar nichts gesagt.
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