Myfest so gut wie gesichert: Kreuzberg wird wieder cool
Es wird wieder gefeiert am 1. Mai in Kreuzberg. Allerdings politischer als sonst. Myfest-Crew und Polizei suchen nur noch nach dem richtigen Rezept.
Schwierige Situationen ermöglichen erstaunliche Allianzen. Von der Myfest-Crew, dem grün regierten Bezirksamt, CDU Innensenator Frank Henkel bis hin zur Polizei – alle sind sich einig, dass es das Straßenfest in Kreuzberg weiter geben muss, damit der 1. Mai friedlich bleibt. „Wir tun alles dafür, damit das Fest stattfindet“, bekräftigte Henkel unlängst vor Journalisten.
Dass die Existenz des Festes überhaupt infrage stand, lag daran, dass ein Kreuzberger Anwohner im Herbst 2015 geklagt hat. Dem Mann war das Gedränge vor seiner Haustür zu groß geworden. Die Begründung, mit der er die Veranstaltung vor dem Verwaltungsgericht zu kippen versucht: Bei dem Myfest handele es sich um keine politische Versammlung im Sinne des Grundgesetzes. Erst durch diese Klage wurde bekannt, dass das Myfest all die Jahre mit Duldung der Polizei in einer rechtlichen Grauzone stattgefunden hat – getreu dem Motto: Wo kein Kläger ist, ist auch kein Richter.
Nach der Klage aber sah sich die Polizei gezwungen, Stellung zu beziehen. Das Myfest sei keine politische Versammlung, gab sie dem Kläger überraschend recht. Mit dieser Argumentation schlägt sich die Behörde auf die sichere Seite. Im Gegensatz zu einer Versammlung muss die Polizei eine Veranstaltung nicht schützen und haftet auch nicht, falls es wie in Duisburg zu einer Massenpanik kommt.
Die Frage, die sich nun alle stellen: Wie kommt man aus dieser Sackgasse wieder raus, wo alle das Straßenfest doch so wichtig finden? „Das Myfest war und ist eine politische Versammlung“, bekräftigt Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann (Grüne). Auch Soner Ipekcioglu sieht das so. Vor einer Woche hat sich seine Fest-Crew mit Innensenator Henkel und Polizeipräsident Klaus Kandt getroffen. „Henkel ist netter als im Fernsehen“, scherzte Ipekcioglu am Donnertag gegenüber der taz. Einvernehmlich habe man nach einer Lösung gesucht.
Wie die aussehen kann, beschrieb Ipekcioglu so: Privatpersonen melden Teile des Festes bei der Polizei als Versammlung an. Details müssten in der Myfest-Crew noch abgestimmt werden. Eine Möglichkeit sei, die Bands auf den rund 15 Bühnen unter einem politischen Motto auftreten zu lassen. Möglich wäre auch, dass sich die einzelnen Bühnen jeweils ein politisches Schwerpunktthema geben. Schon am vergangenen 1. Mai hätten das einige Bühnen so gemacht, erinnert Ipekcioglu.
Um das Myfest zu retten, werde man den politischen Charakter „noch stärker als bisher herausstellen“. Aber auch in der Vergangenheit habe das Fest immer einen politischen Status gehabt. Egal wie groß der Andrang gewesen sei und wie viel Essen und Getränke konsumiert worden waren. „Bei Woodstock wurde auch tagelang gesoffen und gekifft, und am Schluss war das Ganze eine große politische Friedensfeier“, so Ipekcioglu.
Interessant ist nun, wie die Polizei auf die Anmeldung als Versammlung reagiert. Nach den Gesprächen beim Innensenator wäre es aber eine Überraschung, wenn der Antrag nicht wohlwollend geprüft würde. Weder Henkel noch Kandt können eine Neuauflage der Mai-Randale im Wahljahr gebrauchen.
Soner Ipekcioglu, Veranstalter
In Sicherheitskreisen heißt es, dass die Anmelder von der Versammlungsbehörde die eine oder andere Hilfestellung bekommen könnten. Dass die Polizei mit den Anmeldern Gespräche führt, ist bei Demonstrationen ohnehin üblich.
Derweil meldet sich bei Indymedia auch die linksradikale Szene zu Wort. „Keiner von den Freunden hat weiterhin Bock auf das ekelhafte Sauf-, Kotz- und Piss- (Kommerz-)Straßenfest, welches befrieden soll.“ Eine Alternative in diesem Mai könnte es deshalb auch sein, einfach mal zu Hause zu bleiben.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen
meistkommentiert
BSW in Thüringen
Das hat Erpresserpotenzial
Friedenspreis für Anne Applebaum
Für den Frieden, aber nicht bedingungslos
BSW in Sachsen und Thüringen
Wagenknecht grätscht Landesverbänden rein
Rückkehr zur Atomkraft
Italien will erstes AKW seit 40 Jahren bauen
Klimaschädliche Dienstwagen
Andersrum umverteilen
Tech-Investor Peter Thiel
Der Auszug der Milliardäre aus der Verantwortung