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Mutmaßliche Polizeigewalt in MannheimEin ruhiger Mann, nie aufbrausend

Anfang Mai starb in Mannheim ein Mann mit Behinderung bei einem Polizeieinsatz. Unter seinen Kollegen herrschen Aufregung, Trauer und Verunsicherung.

Der Gedenkort für den Verstorbenen in der Mannheimer Innenstadt Foto: René Priebe/dpa

Mannheim taz | Das Video, das zeigt, wie ein Polizeibeamter einem am Boden liegenden Mann ins Gesicht schlägt, ist auf Twitter mittlerweile gelöscht. Noch liegen Blumen an jener Stelle. Der Mann kam möglicherweise zu Tode, weil Beamte die Reaktionen des psychisch Kranken falsch deuteten und weil der Mann an einer Herzschwäche litt.

„Ich kann mir nicht vorstellen, dass er die Polizei provoziert hat“, sagt Andreas Scheibner, der mit ihm in den Mannheimer Sozialwerkstätten zusammen gearbeitet hat. Mit Rücksicht auf die Privatsphäre seiner Familie soll er Frank Kovac heißen, Scheibner hat ihn gut gekannt. Kovac sei immer ruhig und ausgeglichen gewesen, sagt er.

Am 2. Mai alarmierte ein Arzt des Zentralinstituts für seelische Gesundheit die Polizei. Ein Patient habe die ambulante Praxis verlassen, er sei eine Gefahr für sich selbst und benötige Hilfe. Die Beamten griffen den Mann wenig später in der Mannheimer Innenstadt auf. Ob er der Polizei gegenüber aggressiv gewesen ist, zeigen die Videos, die im Netz kursierten, nicht.

Frank Kovac wurde nach den Faustschlägen des Beamten ohnmächtig. Rettungskräfte brachten ihn ins Krankenhaus, wo er wenig später starb. Erste Untersuchungen der Gerichtsmediziner ergaben, dass er nicht an den Schlägen gestorben ist. Die Beamten sind seit dem Vorfall vom Dienst suspendiert, die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen sie. Nach Angaben der Behörden haben sie sich noch nicht geäußert.

Demos gegen Polizeigewalt sind inzwischen abgeebt

Der Fall hat in Mannheim für Unruhe gesorgt. Da der Ort in unmittelbarer Nähe zu Läden der türkischen Community liegt, waberten zuerst Gerüchte, der Tote habe türkische Wurzeln. Das war falsch, Kovac war gebürtiger Kroate, hatte seit Jahren einen deutschen Pass.

Die Demonstrationen gegen Polizeigewalt, zu denen kurz nach der Tat Hunderte kamen, haben sich gelegt. Doch Aufregung und Trauer herrschen bei jenen, die ähnliche psychische Einschränkungen wie Kovac haben und mit ihm zusammen gearbeitet haben.

„Sie werden von mir keine Bestätigung erhalten, dass der Mann bei uns gearbeitet hat“, sagt Manfred Krusch, Geschäftsführer der Arbeitstherapeutischen Einrichtungen Mannheim (ATW). Er beruft sich auf die Schutzpflicht gegenüber den über 300 psychisch unterschiedlich stark erkrankten Menschen, die er in der Einrichtung beschäftigt.

Andere Mitarbeiter bestätigen, Kovac habe bis zu seinem Tod dort gearbeitet. Der Vorfall habe große Verunsicherung ausgelöst: Auffallend viele hätten sich krankgemeldet und seien tagelang nicht zur Arbeit erschienen. Viele Einzelgespräche seien nötig gewesen, um die Menschen zu beruhigen.

Ein Baum als Andenken

Andreas Scheibner, der selbst an ADHS und einer Essstörung leidet, hat bis vor sieben Jahren mit Kovac im Werkstattrat der Einrichtung gearbeitet. Heute lebt er in Berlin und engagiert sich im Vorstand des Allgemeinen Behindertenverbands Deutschland (ABiD). Kovac sei damals sein Stellvertreter als Werkstattrat gewesen, erinnert er sich. Ein ruhiger Mann, nie aufbrausend. „Er hat viele Gespräche für mich mit der Werkstattleitung oder den Gruppenleitern geführt, wenn ich nicht da war. Er war immer ein sehr zuverlässiger Kollege.“

Kovac habe bis zu seinem Tod in der Kantine gearbeitet, erzählt ein anderer Mitarbeiter, der seinen Namen nicht nennen möchte. Nett und freundlich sei er gewesen. Auch er kann sich an keine Ausraster von ihm erinnern; Reaktionen, die bei anderen in der Einrichtung nicht ungewöhnlich seien. Trotz seines Körperumfangs und der Herzschwäche, sei Kovac sportlich gewesen, er habe mit anderen leidenschaftlich Fußball gespielt. Alle, die ihn kannten, sagen, er habe in stabilen Verhältnissen gelebt.

Die Werkstätten haben versucht, der Trauer um Frank Kovac eine Form zu geben. Neben vielen Gesprächen gab es vergangene Woche eine Trauerfeier. Als Andenken soll ein Baum für ihn gepflanzt werden.

Andreas Scheibner, der Ex-Kollege und Behindertenrechtler hofft, dass die Polizei in Mannheim etwas aus dem Vorfall lerne. Aber er hat seine Zweifel. 2010 habe er selbst erst mit einem Stadtrat bei der Polizei vorstellig werden müssen, bis die Beamten bereit gewesen seien, seine Anzeige aufzunehmen, erzählt er. Menschen mit Behinderung würden von Polizisten oft nicht ernst genommen oder falsch eingeschätzt. Behinderte müssten in die Polizeiausbildung viele stärker integriert werden, findet Scheibner, damit die Beamten lernen, Reaktionen besser zu deuten. Auch der Hamburger Polizeiforscher Rafael Baer fordert das.

Der Polizeipräsident von Mannheim, Siegfried Kollmar, hat kürzlich gesagt, es werde lange brauchen, bis die Polizei in Mannheim wieder Vertrauen zurückgewinne. Vor allem bei Menschen mit Behinderung wird er einiges zu tun haben.

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1 Kommentar

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  • So sehr ich den Polizisten und der Polizei im Allgemeinen sogar abnehmen würde, dass sie selbst über den Vorfall betroffen sind und dieses Resultat nicht selbst billigen (geschweige denn herbeifüren wollten), das strukturelle Hauptproblem bleibt bestehen:

    Es fehlt die individuelle Verantwortung (das In-Die-Verantwortung-Nehmen) des einzelnen Polizisten für seine Handlungen. Es mangelt an diesem Mechanismus, dass da ein Gegendruck entsteht, dass (Miss-)Handlungen reale Konsequenzen haben.

    Der Mensch ist von Natur aus faul. Es gibt überhaupt gar keinen Grund für den einzelnen Polizisten aus seinen Fehlern zu lernen, solange Fehlverhalten keine Konsequenzen nach sich zieht.