Muslimische Mode: Hijab is Punk
Das Kopftuch trendet in High-Fashion und Popkultur. Das fordert westliche Vorstellungen über muslimische Kleidungsstile heraus.
Ein bisschen wacklig sieht es aus – wie sie mit ihren Stoffschuhen, dem Streifenshirt und dem Tschador auf dem Skateboard den Hügel herunterfährt und sich dabei an Gebäudewänden festhält. An anderen Stellen schafft sie es hingegen, mit einer windigen Lässigkeit auf der Straße zu fahren, mit entschlossenem Blick und wehendem Tschador.
Das Bild der Skateboard fahrenden Vampirgrrrls aus dem US-amerikanisch-iranischen Schwarz-Weiß-Western „A Girl Walks Home Alone at Night“ ist mittlerweile schon nahezu ikonisch – dabei stammt der Film aus dem Jahr 2015 und ist eine Indie-Produktion. Zu sensationell scheint die Kombination aus Vampirzähnen, Skateboard und dem schwarzen Tschador, einem großen Tuch, das vor allem im Iran als Hidschab üblich ist und den gesamten Körper, jedoch nicht das Gesicht umhüllt. Die Assoziationen mit diesem Stück Stoff gehen in Richtung konservativ, düster, altmodisch, ernst. Im westlichen Auge vor allem auch unterdrückt.
Dass die Trägerin dieses frommen Kleidungsstückes ausgerechnet creepy Männern auf der Straße auflauert, einen Zuhälter verführt, nur um sich für eine Sexarbeiterin an ihm zu rächen, einem kleinen Jungen eintrichtert, er solle sich besser zu benehmen lernen, in ihrem Zimmer zu Farahs Synth-Pop tanzt und sich in einen verwirrten Lockenkopf im Ecstasy-Rausch verliebt, scheint für das Publikum unvorhergesehen zu sein. Die Figur ist einiges, doch nie wirklich fromm. An ihr ist der Tschador nicht mehr altbacken und prüde, sondern genau der düstere, flügelartige Umhang, den sie für ihren Auftritt benötigt.
Dieser Popkulturmoment entblößt die westlichen Zuschreibungen am Hidschab, die schon längst hätten abgelegt werden sollen. Als handele es sich um das Oxymoron schlechthin, zeigt er: Tschador kann auch Pop sein, Tschador kann sogar modisch und cool sein. Obwohl 2012 die muslimische Diaspora in Europa 19 Millionen Menschen zählte, dazu weitere 2,6 Millionen in den USA – weiße Konvertierte kämen noch dazu – und die Tendenz steigt, sind besonders muslimische Frauen in westlichen Modevorstellungen unsichtbar.
Letzten Sommer sorgte H&M mit einem Diversity-Werbeclip voller vermeintlicher Brüche mit Vorstellungen in Sachen Mode, Gender, Race und Körper für einige Schlagzeilen, weil sie neben dem Plus-Size-Model Tess Holliday auch das Londoner Model Mariah Idrissi alias „die Frau mit dem Nasenpiercing und dem Kopftuch“ featureten. Eine Hidschabi im Setting einer westlichen Modekette und nicht etwa in Verbindung mit den Schlagwörtern „Familiendrama“, „Emanzipation“ oder „Zwang“, ganz unkommentiert also. Der Clip stieß auf viel positives Feedback, und so sahnt die schwedische Textilkette eine Medaille für etwas ab, was schon längst eine Selbstverständlichkeit sein sollte.
Wird Kapitalismus nun endlich inklusiver?
Nur ein paar Monate später präsentierte Dolce & Gabbana in einer Kollektion poppige Kopftücher und Abayas, muslimische Körpergewänder, mit Margareten-Prints und Spitze. Genau das Label, das gern mit sexistischen Bildern nachgestellter Gewaltszenen wirbt. Mit ihrem Netzwurf nach muslimischen Kundinnen ist D&G nicht das erste oder einzige Label. Auch DKNY, Mango, Tommy Hilfiger oder auch Monique Lhuillier brachten sogenannte Modest Fashion heraus. Wird Kapitalismus nun endlich inklusiver?
Muslimische Mode ist ein Wirtschaftszweig, der rasant wächst und dem sich immer mehr Firmen anschließen. Doch nicht jede Kleidung, die von einem Model mit Kopftuch getragen wird, ist wirklich fromm. Die Autorin und Aktivistin Shelina Janmohamed kritisierte im Telegraph zum Beispiel die Produktionsbedingungen in Sweat-Shops hergestellter Kleidung für muslimische Frauen. Befreiend sei dieser Mode-Moment vielleicht für die Konsumentin, jedoch nicht für die unterbezahlte muslimische Frau am Laufband. Modesty, also Sittsamkeit, sei nicht nur, wie eine aussehe, sondern auch, wie das produziert werde, was sie trage.
Auch Sabah Choudhry, Wissenschaftlerin an der SOAS-Universität in London, hinterfragt den Trend. Fakt ist: Das Interesse der westlichen Modeindustrie für muslimische Frauen wächst gleichzeitig mit der Anzahl von Übergriffen auf Muslim_innen in Europa. In der Schweiz werden muslimische Schüler gezwungen, ihren Lehrerinnen die Hand zu reichen und somit Frauen zu berühren, mit denen sie eigentlich den Körperkontakt vermeiden möchten. Mädchen in muslimischer Bademode ernten in Schwimmbädern durchbohrende Blicke und rassistische Kommentare – auch in Stadtbädern wie dem des Berliner Bezirks Neukölln, wo eigentlich eine große muslimische Community lebt.
Eine vermeintliche Einbindung oder Ermächtigung muslimischer Frauen durch westliche Mode ist somit nicht nur illusionäre Alibi-Diversifizierung, sondern auch von kommerziellem Interesse. Warum ist der Hidschab nur dann toleriert, wenn er kommerzialisiert, kapitalisiert und aus einem westlichen Blickwinkel heraus als akzeptabel anerkannt wird, fragt Choudhry.
Die in Gelsenkirchen lebende Designerin Neslihan Kapucu kreiert seit 2013 für ihr Label „NES KAPUCU“ Kleidung, die auch mit Kopftuch oder Turban funktioniert. In die Schublade muslimischer Mode möchte sie dennoch nicht sortiert werden. „Wenn ich danach gefragt werde, sage ich, dass ich Mode für alle Menschen mache, ohne zu differenzieren. Und damit ist gemeint, dass es für mich keine Rolle spielt, welche Nationalität, Herkunft, Religion, Hautfarbe, Rang und Ruf die Menschen haben. Ich kategorisiere nicht oder beschränke mich nicht nur auf eine Ethnie oder Religionsgruppe.“
Im Boom von Hidschab- und Abaya-Mode geht es jedoch schon lange nicht mehr nur um Inspiration oder Expression. Die Zahlen des Islamic Economy Report des Medienkonzerns Reuters verraten, dass Muslim_innen weltweit im Jahr 2013 266 Milliarden US-Dollar für Kleidung ausgaben und dass diese Zahl bis zum Jahr 2019 um fast das Doppelte steigen soll.
Der Profit gehe allerdings nicht nur an westliche Konzerne, so Designerin Kapucu, sondern auch direkt in die Communitys: „Inzwischen sind es muslimische Frauen selbst, die ihre Mode nach ihren eigenen Wünschen designen und verkaufen, die Ateliers besitzen und Schneiderinnen einstellen. Bis vor zehn Jahren musste man sich noch mit der Ware zufriedengeben, die aus dem Import kam. Jetzt produzieren sie selbst. Das ist ein schöner Faktor. Auch gibt es momentan trendbedingt im Ready-to-wear sehr viel für muslimische Frauen. Es gibt sogar Marken, bei denen ich manchmal schmunzeln muss, denn sie sind islamkonformer ausgestattet als viele muslimische Marken selbst, sie wissen es nur nicht.“
Trend oder Störfaktor
Modest Fashion ist nicht zwangsläufig muslimisch, auch christliche und jüdische Frauen betreiben Modeblogs für sittliche Kleidung. Zugleich sind lange, weite Gewänder, weite Hosen und Kleider, hochgeschlossene Oberteile und Turbans aktuelle Trends, die sich auch in Hipster-Looks widerspiegeln.
„Mein Anliegen ist aber vielmehr, dass wir hier nicht von einem kurzlebigen Trend, sondern einer Weltreligion sprechen“, sagt Kapucu. „Vom Glauben zu Gott, etwas Spirituellem, Zeitlosen, Bodenständigen, von innerer Verbundenheit und Liebe. Und ehrlich gesagt sorge ich mich um eine Zeit, in der Religion Mittel zum Konsum wird und der Kaufrausch jegliche Spiritualität entwertet.“
Die Ambivalenz zwischen der Freude an diverser werdender westlicher Mode und der Kritik am Profit großer Labels durch muslimische Kund_innen erleben viele Musliminnen. Während der Hidschab in muslimischen Ländern die Norm darstellt, bleibt er in Europa in vielen Fällen trotz seiner Etablierung in der High-Fashion ein Störfaktor. In einer antimuslimisch rassistischen Gesellschaft bleibt die Sichtbarkeit als Muslimin ein Widerstandskampf, eine bewusste Ablehnung der Assimilation an die christliche Dominanzkultur.
Das feministische Vampirmädchen macht es auf der Leinwand vor: hijab is punk. Und genau wie Punk wird er von jenen kommerzialisiert, die systematisch von seiner Unterdrückung profitieren. Ob wir in ein paar Jahren bei H&M-Turbans auch von Radical Chic sprechen werden?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Schwedens Energiepolitik
Blind für die Gefahren