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Muslime gegen Christen in NigeriaDer Feind ist mein Hirte

Muslimische Fulani terrorisieren uns, sagen Christen. Überall sind Viehdiebe, sagen Fulani. Wie Nigerias „Middle Belt“ zur Kriegszone wird.

Hirtenjungen? Terroristen? Fulani-Viehhirten im zentralen Nigeria Foto: Katrin Gänsler

JOS/MAKURDI taz | Mal sind es 20, mal 100, manchmal an die 200. Es geht um Rinder auf der Suche nach Futter im Bundesstaat Plateau im Herzen Nigerias. Immer dabei sind ein paar Jungs, die dafür sorgen sollen, dass das Vieh nicht auf die Straße oder über bestellte Felder läuft. Sie schnalzen, wenn sich ein Tier von der Herde entfernt. Reagiert es nicht, dann schlagen sie es mit einem Holzstock auf die Flanken.

Kaum einer der jungen Viehhirten aus der Volksgruppe der Fulani ist volljährig. Dass sie eigentlich in der Schule sein müssten, interessiert niemanden. Beim Versuch, in der Nähe der Provinzhauptstadt Jos mit einem von ihnen zu sprechen, schimpft dieser laut los und greift wütend nach dem Mikrofon.

Die Stimmung in Nigerias „Middle Belt“, dem zentralen Landesteil zwischen dem mehrheitlich muslimischen Norden und dem mehrheitlich christlichen Süden, ist angespannt wie nie. Immer wieder wird von Massakern berichtet, für die herumziehende Fulani verantwortlich sein sollen.

Zeitungen schreiben über „Fulani-Terroristen“ und fordern, Fulani-Milizen zur Terrorgruppe zu erklären, so wie Boko Haram weiter nördlich. Im Bundesstaat Benue, sagt Gouverneur Samuel Ortom, sollen sie seit Jahresbeginn für den Tod von knapp 600 Menschen verantwortlich sein.

„Wir sind doch keine Terroristen“

„Das macht mich alles sehr unglücklich. Wir sind doch keine Terroristen. Wer bringt unsere Leute um?“, seufzt Suleiman Badembo. Der alte grauhaarige Mann lebt in einer kleinen Siedlung bei Jos. Es gibt weder Strom noch fließendes Wasser. Er ist Fulani und Muslim, alle Nachbarn auch. Andauernd sei in den vergangenen Monaten Vieh gestohlen worden, klagt er.

Auf die Frage, ob die Polizei ermitteln würde, lacht Suleiman Badembo spöttisch. Vor drei Jahren sei mal jemand verhaftet worden, erzählt er. Er habe die Hoffnung längst aufgegeben.

Seit November 2017 ist im Bundesstaat Benue das Umherziehen mit Vieh verboten. Rinderfarmen sind jetzt Pflicht.

Streitigkeiten zwischen bewaffneten Gruppen verschiedenen Ethnien, etwa um die lokale Vorherrschaft, gibt es im multikulturellen Nigeria immer wieder. Auch der Konflikt im Middle Belt gehört dazu. Sesshafte Bauern, die überwiegend Christen sind, klagen über von Rindern zerstörte Felder; Viehhirten – zumeist muslimische Fu­la­ni – über von Bauern zugebaute Weide­routen. In Nigeria mit etwa 190 Millionen Menschen ist der Kampf um Nutzfläche groß.

Seit November 2017 ist im Bundesstaat Benue das Umherziehen mit Vieh verboten. Rinderfarmen sind jetzt Pflicht. Bereits 2014 hatte Nigerias damaliger Präsident Goodluck Jonathan, ein Christ aus dem Süden, umgerechnet 500 Millionen Euro zum Bau dieser Farmen zugesagt.

Bis heute ist unklar, wo das Geld ist. Fulani klagen, dass ihnen ohnehin heute niemand Land verkaufen würde. Außerdem sei das Umherziehen mit den Tieren für sie als Nomaden Tradition.

Christen sprechen vom „Dschihad seit 1804“

Aktuell werden die Fulani so stigmatisiert wie keine andere Volksgruppe in Nigeria. In Gesprächen mit Christen stellt sich die Lage so dar: Die Fulani setzen den Dschihad fort, den im Jahr 1804 Usman dan Fodio begann, Gründer des mächtigen Kalifats von Sokoto. Mit Morden in Dörfern, in denen überwiegend Christen leben, soll der Islam in Richtung Süden ausgebreitet werden.

Bestätigt sehen sich die Verfechter dieser Thesen dadurch, dass auch aus Mali über einen Dschihad der Peul – eine andere Bezeichnung für Fulani – berichtet wird. Sie argumentieren zudem, dass Nigerias Präsident Muhammadu Buhari dahinterstecken muss – Buhari ist selbst Fulani. Sonst hätte das Morden doch längst aufgehört.

Tatsächlich gibt es profane Gründe, warum Hirten in der Trockenzeit Richtung Süden ziehen: Klimawandel, Verknappung von Weideland – und dass weite Teile Nordostnigerias nicht mehr zugänglich sind, weil dort die Islamisten von Boko Haram wüten.

Was den Konflikt anheizt, ist die Zirkulation von Kleinwaffen. Regierungsvertreter gehen von landesweit 350 Millionen aus. Auf einer parlamentarischen Anhörung hieß es neulich, dass Gewehre und Pistolen auf 250 verschiedenen Routen ins Land kämen – meist über Kamerun und Tschad. Ein Ursprungsort sei Libyen. Andere Waffen würden im Südosten Nigerias lokal produziert oder gegen gestohlenes Rohöl getauscht.

Die Terrorgruppe Boko Haram ist ein weiterer Faktor. Sie ist seit Buharis Wahl zum Präsidenten 2015 zwar deutlich geschwächt, doch Beobachter gehen davon aus, dass sich einstige Anhänger der Miliz unter die Viehhirten gemischt haben. Nicht nur Binnenflüchtlinge hätten das Krisengebiet um den Tschadsee verlassen, sondern auch Terroristen.

Es gebe auch Boko-Haram-Aktivitäten, die vordergründig nach dem Konflikt zwischen Farmern und Viehhirten aussehen, sagt Chris Ogbonna vom Zentrum für Dialog, Versöhnung und Frieden (DREP) in Jos. „Es gab Entführungsfälle und Lösegeldforderungen, Angriffe auf ganze Dörfer sowie Viehdiebstahl. Damit finanziert sich Boko Haram teilweise.“

Ogbonna, der im Nordosten wie im Middle Belt unterwegs ist, hält es deshalb für gut möglich, dass die Miliz aus dem Fulani-Konflikt Nutzen zieht. Dafür seien lokale Kollaborateure notwendig. „Und die kann es sowohl unter den Farmern als auch den Viehhirten geben.“

Wer Kühe verliert, verliert seinen Besitz

Am Stadtrand von Jos zählt der alte Fulani Suleiman Badembo genau auf, wie viele Kühe die Fulani rund um Jos in den vergangenen Wochen verloren haben. Er nennt mehrere Dörfer und Landkreise. Einmal waren es 200 Tiere, anderswo gleich 500. Natürlich sind da die Hirten bewaffnet, wird daraus deutlich. Über die Nomaden wird gern gespottet, dass ihnen Kühe wichtiger seien als Menschen, aber wer eine Herde verliert, verliert den Großteil seines Besitzes. Vieh funktioniert wie ein Sparbuch.

Zumindest in einem Fall sollen sich auch Sicherheitskräfte am Abschlachten gestohlener Tiere beteiligt haben. Schon die Vorstellung jagt dem alten Badembo einen Schauer über den Rücken. Sie hat aber auch das Potenzial, den Konflikt weiter zu schüren.

Zwar ist mit Buhari ein Fulani Staatspräsident, aber wie Ba­dem­bo fühlen sich viele Fulani von der Regierung im Stich gelassen. Die nationale Kommission für nomadische Bildung geht davon aus, dass landesweit 3,3 Millionen Kinder im Schulalter Nomaden sind. Aber nur 578.374 werden unterrichtet. In Be­nue sollen aufgrund der Gewalt 12 der 24 Schulen für Nomaden geschlossen worden sein.

Das Gefühl von Ungleichbehandlung kann Gewalt und Radikalisierung provozieren. Es wäre nicht das erste Mal in Nigeria. Auch Boko Haram war nie bloß eine religiös motivierte Bewegung. Gründer Mohammed Yusuf hatte ab 2002 auch Zulauf, weil er in einer marginalisierten Region enttäuschte junge Männer ansprach.

Chris Ogbonna ist sich sicher: Im aktuellen Konflikt sind Farmer wie Viehhirten die Verlierer. Zertrampelte Äcker nutzen ebenso wenig wie geschlachtete Kühe. Die Profiteure des neuen Kriegs sitzen anderswo.

Schon als 2013 in drei Bundesstaaten im Nordosten wegen der Ausbreitung von Boko Haram der Notstand ausgerufen wurde, ging Nigerias Verteidigungsetat sprunghaft in die Höhe. Milliarden US-Dollar wurden veruntreut. Der damalige nationale Sicherheitsberater Sambo Dasuki allein soll fiktive Verträge über Waffenlieferungen in Höhe von 2 Milliarden US-Dollar abgeschlossen haben.

In Nigeria stehen außerdem Wahlen an. Die Sicherheit ist dabei von zentraler Bedeutung: Bu­ha­ri gewann 2015 die Wahlen mit dem Versprechen, Boko Haram zu besiegen. Auch jetzt versprechen Politiker Schutz für den Fall ihres Wahlsiegs.

Gideon Inyom, der in Benue für den Senat kandidieren will, hat das bereits entdeckt. „Es ist kein Konflikt zwischen Farmern und Viehhirten. Es sind Angriffe der Fulani-Terroristen auf Farmer. Deren Ziel ist es, das Land der Farmer zu übernehmen. Ich bin selbst in der Bewegung gegen die Fulani-Besatzung.“

Es ist klar, aus welchem Lager der IT-Experte seine Stimmen holen will.

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