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Muslime distanzieren sich vom Terror„Wir wollen Stellung beziehen“

Deutsche Muslime distanzieren sich von religiöser Gewalt. Gegen Radikalisierung hätten Gemeinden wenig Macht, sagt der Vereinsvorsitzende der Berliner Sehitlik-Moschee.

Ditib-Mahnwache vor dem Springer-Verlag. Ganz links mit grauem Schal Ender Cetin. Bild: dpa
Interview von Alke Wierth

taz: Herr Cetin, was sind Sie als Vorsitzender eines Vereins des türkisch-muslimischen Dachverbands Ditib eigentlich: ein Repräsentant der Türkei oder ein Vertreter des deutschen Islam?

Ender Cetin: Weder noch. Ob es einen deutschen Islam gibt, weiß ich nicht, es gibt aber eine Diskussion darüber, ob sich so einer entwickelt. Ich vertrete Muslime in Deutschland – nicht alle, sondern die Ditib-Perspektive. Und die nährt sich aus dem türkischen Verständnis des Islam.

Aber die Ditib ist eine staatliche türkische Einrichtung.

Ja, unsere Religionsbeauftragten …

also die Imame, die Geistlichen in den Moscheen …

… werden vom türkischen Staat hierher geschickt. Wir diskutieren ja schon lange darüber, wie man eine Ausbildung für islamische Geistliche hier in Deutschland organisieren könnte. Aber wenn es um die Vereinsaktivitäten geht, dann sind wir deutsch. Unsere Mitglieder, unsere Jugendlichen sind hier aufgewachsen und sozialisiert. Sie haben ihr Verständnis von Religiosität, von Gesellschaft nicht importiert, sondern hier entwickelt, in einer Art, die sowohl mit unseren hiesigen Werten wie auch mit dem Islam vereinbar ist. Das sehe ich als positive Entwicklung.

Das heißt, die jüngeren Leute haben ein Islamverständnis, das sich von dem der älteren Generation unterscheidet?

Die ältere Generation hat teilweise ein traditionelles Weltbild mitgebracht. Sie kennt etwa die Art und Weise, wie man sich in Moscheen verhält, eher aus der Türkei. Ein Beispiel: Wenn jüngere Leute in der Moschee mit ausgestreckten Beinen sitzen, finden manche der älteren das unangemessen. In der Moschee sitzt man im Gebetssitz oder mit gekreuzten Beinen, nicht so relaxed, finden sie.

Im Interview: Ender Cetin

38, in Berlin geboren, wuchs in Neukölln auf. An der FU studierte er Erziehungswissenschaften und Politik und absolvierte ein Fernstudium Theologie an der Anadolu-Fernuniversität der Türkei. Seit Juni 2011 ist er Vorsitzender der Sehitlik-Moschee in Berlin-Neukölln.

Sie gehören ja selber zur jüngeren Generation, sind hier geboren. Wäre es nicht logischer, dass man eigene Organisationen gründet, statt in die alten wie Ditib einzutreten?

Ja, und das passiert ja auch. Junge Muslime gründen viele neue Organisationen. Aber es gibt immer Schnittstellen zwischen den alten Organisationen und den neuen. Ich glaube, dass viele junge Leute in unsere Moschee kommen, weil sie sehen, dass wir ihnen hier viele Möglichkeiten bieten können. Und sicher auch, weil die Moschee einfach aus architektonischen Gründen etwas Besonderes und bekannt ist. Da ist der Dachverband für viele eher zweitrangig. Aber der Verband ändert sich ja auch, wir haben in unserem Vorstand viele jüngere Leute, auch viele Frauen. Von sieben Leuten ist die Mehrheit jünger als 40, zwei junge Frauen gehören dazu. Das ist auch ein Fortschritt. Und es zeigt, dass viele der jüngeren Generation mit dem Islamverständnis der Ditib einverstanden sind.

Die Ditib ist Mitglied in der Türkischen Gemeinde Berlin (TGB), deren Mitglieder teilweise Erdogans gewaltsames Vorgehen gegen die Gezi-Park-Proteste in Istanbul 2013 verteidigt haben. Sie mussten gerade eine Veranstaltung mit Homosexuellen in Ihrer Moschee absagen, weil viele Mitglieder damit Probleme hatten. Von der Akzeptanz von Vielfalt und Toleranz spricht das nicht gerade.

Es gibt bei der TGB Fürsprecher für die Regierung in der Türkei, aber es gibt auch Kritiker. Uns interessiert aber mehr die lokale Entwicklung hier, und da ist die Mitgliedschaft in einem Lobbyverband wie der TGB, die auch offen für Muslime ist, für uns wichtig. Was das Thema Homosexualität betrifft: Da gibt es eine konservative Haltung. Ich sehe aber auch, dass sich das in den letzten Jahren verändert hat. Man redet in der Gemeinde darüber, das ist ein Fortschritt. Das wäre vor einigen Jahren noch nicht möglich gewesen.

Am Freitag hat die Ditib zu Mahnwachen vor Zeitungsredaktionen aufgerufen – als Bekenntnis zur Presse- und Meinungsfreiheit. Wie wird das denn bei Ihren Mitgliedern gesehen?

Die meisten, vor allem die älteren, finden das ganz selbstverständlich. Einige unsere jüngeren Mitglieder, die eher auch deutsche Zeitungen lesen, fanden es nicht gut, dass wir dafür den Axel Springer Verlag ausgesucht hatten. Denn dessen Zeitungen sind teilweise sehr islamkritisch, bis zur Islamfeindlichkeit manchmal. Es gab im Landesverband eine Diskussion darüber, wo die Aktion stattfinden könnte. Wir haben uns für Springer entschieden in der Hoffnung, dass wir mit unserer Aktion dort auch eine Sensibilisierung anstoßen.

Dass sich muslimische Organisationen von Radikalismus distanzieren – Ihre Aktion fand ja vor dem Hintergrund des Terroranschlags auf die französische Satirezeitschrift Charlie Hebdo statt –, wird immer wieder gefordert. Welche Möglichkeiten haben Gemeinden wie Ihre da?

Radikalisierung findet nicht in der Moschee statt. Es geht bei Aktionen wie unserer eher darum, den vielen Muslimen, die nicht organisiert sind, ein Zeichen zu setzen und zu zeigen, wo wir stehen. Wir wollen deutlich Stellung beziehen.

Sie sagen, Radikalisierung findet nicht in der Moschee statt. Es wurden in Berlin vergangene Woche zwei terrorverdächtige türkeistämmige Muslime verhaftet, die in einer Ditib-Moschee verkehrt haben sollen.

Ja, das stimmt leider. Das hat mich sehr schockiert. Es handelt sich um eine Moschee, die vor drei oder vier Jahren Mitglied unseres Dachverbandes werden wollte. Sie wollte einen von uns finanzierten Imam haben. Wir haben damals lange mit den Vereinsvertretern der Moschee diskutiert und haben uns sogar verfassungsschutztechnisch informiert. Da war alles okay.

Warum mussten Sie vor der Aufnahme dieser Moschee so lange diskutieren?

Uns war aufgefallen, dass in der Moschee sehr unterschiedliche Meinungen vertreten werden. Wir kamen in unserer Auffassung des Islam mit dem Vereinsvorstand sehr gut klar. Es gab aber Ärger mit Leuten, die von außen in die Moschee kamen und dort Unterricht anboten. Das waren aber weder diejenigen, die jetzt verhaftet wurden, noch waren diese Leute Mitglied im Moscheeverein oder in dessen Vorstand vertreten. Dennoch sind wir deshalb wieder auseinandergegangen.

Ditib hat die Moschee aus dem Verband ausgeschlossen?

Genau, im November 2013. Danach haben salafistische Gruppen damit begonnen, die Gebetsräume der Moschee zu nutzen.

So haben Sie ein Zeichen gesetzt – aber Radikalisierung haben Sie nicht verhindert, im Gegenteil: Sie haben Ihren Einfluss auf die Gemeinde verloren.

Wenn ich jetzt höre, dass jemand festgenommen wurde, der dort war, denke ich auch, wir hätten dort vielleicht weiter Einfluss nehmen müssen.

Hätte Ditib die Moschee nicht ausgeschlossen, wären die Verhaftungen jetzt auf das Image Ihres Verbandes gegangen.

Ja, das ist eine Zwickmühle für uns, in der wir uns befinden. Viele von uns, ich gehöre auch dazu, haben die Einstellung: Wir müssen auch den Kontakt zu den Moscheen suchen, die im Verfassungsschutzbericht erwähnt werden. Oder zu Personen, die als radikal gelten: damit sie sich nicht noch mehr radikalisieren. Andere vertreten die Meinung: lieber keinen Kontakt zu jenen suchen, denn man will nicht mit ihnen in Verbindung gebracht werden. Ich finde: Wenn man keinen Kontakt sucht, dann entsteht eine Parallelwelt, an die wir nicht mehr herankommen. Und die Jugendlichen, die dort verkehren, denken wiederum, dass die liberaleren Muslime sie sowieso nicht ansprechen, sich nicht für sie interessieren. Das sollten wir nicht riskieren.

Wie erreicht man aber Jugendliche, die gar keine Gemeindestrukturen nutzen, sondern über Internetseiten oder private Kreise in radikale Einstellungen abgleiten?

Ich weiß es nicht. Wir wissen ja oft gar nicht genau, wer die Rattenfänger sind, denen diese Jugendlichen folgen. Die treten ja nicht an die Öffentlichkeit. Gerade deshalb finde ich, wir brauchen eine breite Zusammenarbeit mit möglichst vielen Moscheen, auch konservativen, die vielleicht noch eher Einfluss auf diese Jugendlichen haben.

Sehen Sie denn die Bereitschaft zu solch breiter Zusammenarbeit auf politischer Ebene? Das jahrelang als Dialogplattform zwischen muslimischen Vereinen und Verwaltung etablierte Islamforum tagt seit über einem Jahr nicht mehr. Man könnte den Eindruck gewinnen, die Zusammenarbeit mit Muslimen ist in Berlin zum Erliegen gekommen.

Ich sehe diese Bereitschaft zu einer breiten Zusammenarbeit derzeit nicht. Aber ich denke, dass die Politik erkennen wird, dass sie mehr und mehr mit Muslimen kooperieren muss. Man kann nicht sagen, die einen sind böse und die anderen sind der Türkei zu nahe – dann bleibt am Ende niemand mehr zum Kooperieren. Jeder Verein kann seinen Beitrag gegen Radikalisierung leisten.

Was tut Ihre Moschee gegen Radikalisierung?

Wir haben Ende 2014 eine zweitägige internationale Fachtagung und eine Vortragsreihe zum Thema Radikalisierung durchgeführt. Die Ergebnisse wurden in einer Broschüre zusammengefasst, die wir jetzt verteilen.

Können Sie die Ressentiments vieler Nichtmuslime, die den Islam eher als Bedrohung wahrnehmen, eigentlich verstehen?

Ich kann das bis zu einem gewissen Grad verstehen. Wenn Otto Normalverbraucher die Nachrichten verfolgt, wo negative Ereignisse überwiegen, kann ich verstehen, dass eine Abneigung gegenüber dem Islam wächst. Aber wenn etwa auch Lehrkräfte oder andere gebildetere Bürger eine solche Abneigung pflegen, verstehe ich das nicht mehr. Die sollten schon mehr differenzieren können. Aber leider ist die Islamophobie in allen Schichten vertreten.

Sie sind hier geboren, sind Deutscher, engagieren sich ebenso wie Ihre Ehefrau sehr im gesellschaftlichen Dialog. Wie lebt man da mit diesem Dauerverdacht?

Ich glaube, wenn wir uns nicht so engagieren würden, wenn wir das alles nur passiv erleben würden, wäre es weitaus schwieriger. So haben wir das Gefühl, wir können mitgestalten, wir kommunizieren mit anderen. Das ist sehr wichtig, zum einen, um den Frust abzulassen, zum anderen, weil wir sehen, dass wir etwas schaffen können. Und wir sehen ja auch eine positive Entwicklung, dass etwa immer mehr Institutionen mit uns kooperieren wollen. Aber es gibt auch andere Erlebnisse: Wir erleben immer wieder, dass meine Frau, die durch ihr Kopftuch als Muslima erkennbar ist, misstrauisch beäugt oder gar angepöbelt wird. Zum Glück nimmt sie in solchen Situationen kein Blatt vor den Mund …

Rechnen Sie nach den Pariser Attentaten mit einer Verschlechterung der Stimmung – oder gar mit Anschlägen auf Moscheen?

Die wird es sicher geben. Aber ich habe weniger Angst vor solchen Anschlägen als davor, dass die gesellschaftliche Stimmung sich weiter verschlechtert, die Gesellschaft auseinanderbricht. Dass irgendwann vielleicht keiner mehr dem anderen vertraut, das macht mir Angst.

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