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Musikkonferenz „Acces in Accra“„Beat the system!“

Konzerte und Diskussionen: Auf der Musikkonferenz „Acces in Accra“ in Ghana wurde abwechselnd zu Highlife getanzt und auf Panels gestritten.

Da fliegen die Dreads: Arka'n aus Togo live in Accra Foto: Paul Addo

Was ist afrikanisch? Und was ist europäisch oder deutsch? Solche pauschalen Identitätsformeln werden immer unsinniger. Nehmen wir das Kuduro-Bassduo Gato Preto. Sängerin Carmen hat mosambikanische Wurzeln, ihr Beatschmied Lee Bass ist dagegen Deutsch-Ghanaer. Beide leben in Düsseldorf, und stehen in engem Kontakt zu ihren Familien in Afrika und der Diaspora.

Oder die „Wüstenrocker“ von Songhoy Blues. Die Malier sind wegen der politischen Situation im Land schon vor Jahren ins Exil gegangen. Von den ghanaischen Rappern Fokn Bois wohnt einer, M3nsa, in Großbritannien, während sein Partner Wanlov the Kubolor einen ghanaischen Vater und eine rumänische Mutter hat. Vor Kurzem stieß noch ein Ungar zur Band.

Alle drei Acts spielten bei der Acces-Musikkonferenz im ghanaischen Accra. Es passt zu dem Netzwerktreffen von Akteuren aus dem Musikgeschäft Afrikas und Europas, das die Regierung Ghanas 2019 zum „Year of the Return“ erklärt hat – ansprechen soll das ebenso US-Amerikaner, deren Familien als Sklaven nach Amerika verschleppt wurden, wie ghanaische Auswanderer, die im 20. Jahrhundert nach Europa gingen. Innerhalb von drei Monaten sollen so viele Visa beantragt worden sein wie sonst in einem Jahr.

Musikalisch gesehen regierte in Ghana lange der Highlife. „Für uns steht der Highlife-Sound am Anfang, so wie vom Blues in den USA alles abgeleitet werden kann“, erklärt Professor John Collins von der University of Accra und betont, dass Highlife Kind des reziproken Black-Atlantic-Kulturtransfers sei: Es waren von den Briten an der Goldküste stationierte Soldaten des West-Indian-Regiment aus Trinidad, welche die nur mit einer akustischen Gitarre und Percussion angestimmte Palm-Wine Music mit Calypso anreicherten. Dazu kamen etwas Swing, perlende elektrische Gitarren und viele Bläser – so entstand in den 1950ern Highlife.

Club-affiner Pop

Auf den Straßen Accras ist heute aber anderes zu hören: Afrobeats. Begrifflich angelehnt an den einst von Fela Kuti in Nigeria geprägten Afrobeat (nur mit einem angehängten s), ist es eine Schublade, in die vieles passt, was in Westafrika heute an Club-affinem Pop produziert wird. Tanzbare Beats, rhythmisch vertrackt und vielfältig, die – oft aus nur wenigen Phrasen bestehenden – Lyrics sind häufig recht seicht. Entstanden sind die Afrobeats in Nigeria, doch Ghana ist längst big im Business und hat mit Dancehall-Musikern wie Stonebwoy und Shatta Wale eigene Stars.

„In Großbritannien und den USA füllen Afrobeats-Größen wie Whizkid und Burna Boy inzwischen große Stadien“, sagt der in Accra ansässige Promoter Panji Anoff. Das hätten die afrikanischen Weltmusik-Heroen nie geschafft. Dass Accra in Bewegung ist, wenn auch in einer der feuchten Hitze angepassten Verlangsamung, ist überall zu spüren. Viele SUVs sind unterwegs (nicht wenige davon sollen im Ausland geklaut worden sein), und schicke Gebäude schnellen auf dem roten Boden in die Höhe (nicht selten um Drogengelder zu waschen, so heißt es).

Dazwischen sieht man aber auch, wie arm die meisten leben. Wie überall in den Großstädten Afrikas nervt der Verkehr, dafür kann man sich in Accra und ganz Ghana sicher allein zu Fuß bewegen. Währenddessen wird das Kulturleben bunter. Spoken-Word-Künstler Bedwei Kwaku Sonny veranstaltet etwa wöchentlich einen Abend, wo Dichter und Straßenpoeten – in den vielen Sprachen Ghanas – von improvisierenden Jazzmusikern begleitet werden.

Die vielleicht wichtigsten Akteure der Alternativszene Accras sind die Fokn Bois. Bekannt geworden sind sie mit witzigen wie provokanten Pidgin-Raps und „Gospel Porn“-Videos, in denen sich das Trio etwa für die LGBTQ-Szene im konservativen Ghana stark macht und die Marketingstrategien der Handyfirmen ebenso auf den Arm nehmen wie die Heilsversprechen der sich ausbreitenden evangelikalen Gemeinden.

Vorreiter aus Accras Alternativszene: die Fokn Bois Foto: Andras Orsi

„Afrobeats LOL“ heißt ihr neues Album. „Oft wird so was gesungen wie:,Baby, ich kauf dir einen Lamborghini'“, sagt M3nsa. „Dabei kann der MC kaum die 20 Dollar aufbringen, um den Song aufzunehmen. Wir drehen das um:,Darling, ich bin leider pleite – lädst du mich ein?'“

Hard und Heavy mit Texten in Ewe

Beim Acces-Showcase konnten viele die Songs des satirischen Trash-Hip-Hop-Duos mitsingen. Am meisten überzeugte jedoch der Auftritt von Arka’n aus Togo. Bemalt mit Symbolen wie der ihrer Ahnen verbinden sie harschen Heavy Metal mit afrikanischer Percussion – und in Ewe gesungenen Songs, die Respekt im Umgang miteinander und vor Mutter Erde einfordern. Sie seien die einzige Metal-Band in der Hauptstadt Lomé, erzählt Rasta Frontmann Rock, aber über den Kontinent verstreut entstehe gerade eine gut vernetzte Szene.

Zum Tanzen brachten die Zuschauer vor allem die Highlife-Bands aus Ghana. Der fabelhafte Gitarrist Kyekyeku mit Ghanalogue Highlife, die Band FRA! mit einem rauerem Sound und nicht zuletzt Santrofi um den charismatischen Bassisten und Sänger Emmanuel Ofori und ihrem Vintage-Stil. Ohnehin gibt es eine Renaissance von Highlife – und Bands, die live auftreten. „Viele lernen in der Kirche ein Instrument“, sagt Panji Anoff. Das sei aber das einzig Gute, was er über die Institution sagen könne – ihr Einfluss, auch auf die Politik, wachse ständig. Er verstehe sich lieber als „African agnostic“.

Panji erzählt auch, wie sich der Highlife im Laufe der Jahre weiter entwickelt und eine deutsche Note erhalten hat. „Die Militärs haben nach ihrem Putsch die Clubs geschlossen, und viele Musiker sind darum Anfang der 1980er ins Ausland gegangen.“ Weil sie unter Margret Thatcher nicht mehr so leicht nach Großbritannien konnten, landete ein Teil von ihnen in Deutschland. Und hier entstand mit Einflüssen von Disco, Funk und Kraftwerk in Städten wie Berlin, Düsseldorf und Hamburg und unter Mithilfe des Produzenten (und Schauspielers) Bodo Staiger der Rhythmus-betonte Burgher Highlife.

Inzwischen sind es Afrobeats und andere Clubmusikstile aus Afrika, die von der Bass-Szene auch in Deutschland goutiert werden. Das Berliner Partykollektiv „Going through my speakers“ hat etwa dabei geholfen, dass die südafrikanische Rapperin Sho Madjozi sich künstlerisch entfalten konnte. Der Speakers-Kollaborateur She´s Drunk hat 2017 mit Madjozi in Berlin ihre ersten beiden Songs aufgenommen. Mittlerweile ist die Madjozi, die in der Sprache der marginalisierten Tsonga singt, in ihrer Heimat ein Superstar.

Bei den drei Tagen der Acces-Konferenz waren die Panels und manchmal zufälligen Begegnungen – wie mit Panji Anoff – am spannendsten. Veranstalter ist die Plattform Music in Africa, gegründet von der Siemens Stiftung, die pro Jahr mehrere Hunderttausend Euro in das ambitionierte Projekte steckt, sich laut Nachfrage ansonsten aber raushält. Das Music in Africa Board und alle Mitarbeiter:innen – darunter rund 150 regelmäßige Autor:innen – in den fünf Regionalbüros sind Afrikaner, und die Homepage ist heute reichweitenstärkstes Portal für Musik auf dem Kontinent.

Wie laufen die Deals?

Ob der Austausch zwischen Afrika und dem Norden – gerade bei geschäftlichen Deals – wirklich auf Augenhöhe stattfindet, war eine Frage, die bei den Panels oft im Hintergrund schwebte. Immer noch wandert ein erheblicher Teil der Erlöse nach Übersee. Eine Herausforderung für innerkontinentale Kooperationen bleiben dagegen die hohen Flugkosten. Die togolesischen Metalheads von Arka’n mussten bereits mehrere Konzertengagements absagen, weil ihre Reisekosten die Gage gesprengt hätten. Auch zur Auszeichnung als beste Metal-Newcomer-Band Afrikas konnten sie dieses Jahr nicht nach Kenia kommen.

Auf dem letzten Panel ging es dann hoch her. Der ghanaische Musikmanager Okhiogbe Omonblanks Omonhinmin forderte vehement, dass das restriktive europäische System der Visavergabe für afrikanische Künstler:innen liberalisiert werden müsse. „Beat the System! Gebt den Leuten mehrjährige Visa, damit sie ein- und ausreisen können.“ In der Praxis sei es so, dass man ein erstes Visum für drei Monate vielleicht erhalte, dann aber oft kein zweites mehr.

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