Musikfest Berlin: Hörhilfen hin zur Gegenwart
Klassik für alle, ohne Schubladen: das Musikfest Berlin kombiniert Orchesterhits und Abenteuer. Ein Wochenkommentar.
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Der Kammermusiksaal der Philharmonie war am Mittwoch vielleicht nicht ausverkauft, aber allemal gut besucht. Und das bei einem Programm mit Musik des 21. und des sehr späten 20. Jahrhunderts. „Quatre chants pour franchir le seuil“ ist die letzte Komposition des Franzosen Gérard Grisey, in seinem Todesjahr 1998 vollendet und selbst eine Meditation über den Tod, unter anderem mit Aufschriften von ägyptischen Sarkophagen als Text. Eine in sich gekehrte Musik, in der die Töne zart im Kleinstabstand schwebend aneinander kleben.
„Spektral“ nennt man diese Art zu komponieren, weil darin der ganze Regenbogen an Obertönen ausgekostet wird. Nichts zum Mitsingen, aber definitiv auch nichts zum Davonlaufen. Eher zum Gebannt-auf-der-Vorderkante-des-Stuhls-Sitzen.
Die Karajan-Akademie der Berliner Philharmoniker, geleitet von der Finnin Susanna Mälkki, gab mit diesem Werk ihren Einstand beim Musikfest Berlin, zusammen mit „Aello – ballet mécanomorphe“ der österreichischen Komponistin Olga Neuwirth, in dem sich spektrale Klänge einer Glasharmonika mit wild durcheinandergeschüttelten Bach-Zitaten und Schreibmaschinengeklapper abwechseln. In beiden Fällen große Begeisterung beim Publikum. Besonders schön für die im Saal sitzende Neuwirth, die sich über die Ovationen sichtlich freute.
Das ist eine der großen Leistungen des am Donnerstag nach knapp drei Wochen Programm zu Ende gegangenen Musikfests: In der langen Liste mit Orchestern von Weltrang, vom Royal Concertgebouw Orchestra Amsterdam über das London Symphony und das Israel Philharmonic Orchestra bis selbstverständlich zu den Berliner Philharmonikern, bietet das Festival neben großzügig vertretener Romantik stets Schätze der Moderne und Gegenwart, die so womöglich einem größeren Publikum zugänglich gemacht werden als bei einer rein für „Neue Musik“ reservierten Veranstaltung. Ein weiterer Vorteil: Mit dem quer durch die Jahrhunderte reisenden Ansatz, besonders explizit beim Debütkonzert des französischen Orchesters „Les Siècles“ unter François-Xavier Roth mit der Wegstrecke vom Barock bis in die Gegenwart, entstehen für einen als Hörer ganz neue Zusammenhänge.
Musik will schließlich gehört und nicht in getrennte Schubladen einsortiert werden.
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