Musiker Hans Unstern über Krypto-Folk: „Ich bin nur ein Stoffwechselmedium“
Der Musiker Hans Unstern führt die Öffentlichkeit grundsätzlich in die Irre. Gepräch über seine Doppelgänger, einseitige Rezeption und Erfolg.
Verabredung zum Skype-Interview. Hans Unstern gilt als der mysteriöseste deutschsingende Musiker und geht mit seinem aktuellen Album („The Great Hans Unstern Swindle“) nun auf Tour.
Wer genau spricht, bleibt im Dunkeln. Unstern führt Öffentlichkeit und Medien grundsätzlich in die Irre. Wenn man ihn bisher als bärtigen Zausel kannte, erschien er zur „Presseperformance“ seines Albums als blauhaariger, bartloser Jüngling im weißem Overall und mit Spiegelbrille. Dasselbe Alter Ego erscheint nun auf dem Bildschirm mit Kapuzenpulli und Sonnenbrille vor verwackeltem Hintergrund.
taz: Herr Unstern, Ihre Öffentlichkeitsarbeit scheint eine Kritik an Musikindustrie und Medien zu sein. Was ist Ihr Anlass?
Hans Unstern: Ich kritisiere die Rezeption meiner Musik. Ich habe mir die Frage gestellt: „Wie kann ich das Rezeptionsverhalten zu meinem Album kommentieren?“ Sie sehen ja, ich sehe anders aus als noch zur Veröffentlichung. Die Presseperformance war ein gestalterischer Akt. Sie kritisieren das ständige Personalisieren der Öffentlichkeit, den Zwang herauszufinden, wer hinter „Hans Unstern“ steckt. Warum soll es komplett egal sein, wer Sie sind?
Ist das egal? Guckense mal, ich hab mich schick gemacht für Sie. Ich find das gar nicht so egal.
Aber ist die Autorenschaft Hans Unsterns egal?
Die Autorenschaft ist sehr breit gefächert. Ich bin nur der Wirt für ganz viele Personen. Da hängen auch ’n paar Prominente dran, etwa Sibylle Berg oder René Pollesch. Ich bin so was wie ein großes Pop-Asyl. Ich bin mehr als eine Person.
Das heißt, man sollte nicht nur diesen schrägen, kryptischen Songwriter sehen, als der Unstern zunächst in Erscheinung trat?
Wie alt er ist, woher er kommt – man weiß es nicht. Sein bisheriges Werk: die zwei großartigen Alben „Kratz dich raus“ (2010) und „The Great Hans Unstern Swindle“ (2012). Er lebt in Berlin.
Ich bin nur Stoffwechselmedium. Da rutscht eine ganze Menge Autorenschaft durch den Kanal. Mein Debütalbum war ’ne PR-Nummer, ich dachte, das wäre gut, um einen Fuß in die Tür zu kriegen, wenn ich diese Singer-Songwriter-Nummer mache. Da habe ich mir ’nen Bart angeklebt, ’ne Gitarre umgehängt und dieses Authentizitätsding bedient. Dann hieß es: bärtig, einsam, männlich, diese Genie-Kacke.
Was nervt Sie noch an Musikindustrie und Medien?
Mich stört massiv diese Erfolgsgeschichtenerzählung – wir sehen ja nur erfolgreiche Künstler, von denen erzählt wird, sie hätten vorher prekär gelebt. Dadurch werden auch Machtverhältnisse reproduziert. Es gibt hunderttausend Geschichten von weißen, heterosexuellen Männern.
Werden männliche und weibliche Stars denn so unterschiedlich rezipiert?
Na ja, es ist ja nicht so, dass es da hunderttausend Frauen- oder Lesbenbands gäbe.
Andererseits wurden die Riot-Grrl-Band Le Tigre und ihre Sängerin Kathleen Hanna auch in gewissen Kreisen stilisiert.
Die werden aber die ganze Zeit als lesbische Band rezipiert, bevor es um die Musik geht. Das ist das gleiche Schubladenproblem wie mit der „Frauenliteratur“. Es dauert, bis man da über Arbeit sprechen kann.
Ist der Mythos vom Durchbruch seit jeher eine Rockstarerzählung?
Ich finde den Mythos um die daran geknüpften prekären Lebensverhältnisse problematisch. Ich bin ja Berufsmusiker; die Bezahlung ist aber eher so, als dächten die Leute, es sei ein linkes Hobby. Wenn dann einer sagt: „Applaus ist doch das schönste an der Kunst, darum geht’s doch“, kann ich beim Bäcker meine Brötchen immer noch nicht in der Währung Applaus zahlen.
Gibt es andere Lösungen als Tantiemen aus Urheberrechten?
Ja, aber gerade übernimmt der Staat wenig Verantwortung für praktizierende Musiker.
Wenn Popmusik ähnlich subventioniert würde wie etwa das Theater – wäre das okay?
Ja, dort Gelder hin zu verteilen – ohne es woanders wegzunehmen – wäre richtig.
In der Ankündigung zum letzten Album hieß es: Für einen erfolgreichen Hans Unstern bleiben zehn andere unbekannt – und somit arm. Darf man nicht zwischen guter und schlechter Kunst unterscheiden?
Es ist eine Frage des Umgangs mit Künstlern. Vernünftige Arbeitsbedingungen müssen von Beginn an finanziell ermöglicht werden. Ich finde es bedenklich, dass derzeit die Crowdfunding-Geschichte so en vogue ist – also den Freundeskreis zu fragen, ob er mit Geld aushilft, damit ich arbeiten kann.
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