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Musik von Schauspielerin StangenbergNeun Eingänge hat die Hölle

Volksbühne goes Pop. Die Berliner Schauspielerin Lilith Stangenberg hat mit dem philippinischen Dada-Musiker Khavn irre Psychedelia aufgenommen.

Pech und Schwefel: Khavn de la Cruz und Lilith Stangenberg Foto: Stephan Holl

Die Orgel schnarrt wie beim Alleinunterhalter. Von den Drums zischeln Hihat-Becken dazu. Und dann kommt nur noch diese Stimme: schneidend und scharf, aber verletzlich. Weich und voller Wut. So singt die Berliner Schauspielerin Lilith Stangenberg. Jetzt ist ihr Debütalbum erschienen: „Orphea – Love Songs from Hell“.

Höllisch klingen sie nicht, aber verwirrend. Die Stimme mäandert sich durch trashigen Tracks, immer sicher im Ton, aber auch immer am Rande zum Unfug. Ist das ernst gemeint oder vielleicht Parodie? Diese Frage sei doch „eine super Reaktion“, sagt Stangenberg im Interview mit dertaz. Es geht wohl um Ambivalenz.

Schauspieler:Innen, die sich als Sänger versuchen – geben eigentlich selten Anlass zur Freude. Es gibt bis heute Zweifel daran, ob der sonst so gute Jan Josef Liefers wirklich singen muss. Oder, ob das „Rilke Projekt“ mit verpoppten Gedichten und deutschen Filmgrößen am Mikrofon drei Folgen hätte haben müssen und nicht besser keine. Außerhalb Deutschlands sieht es nicht besser aus: Ohne die Bruce Willis Blues Band wäre die Welt auch keine schlechtere. Man müsste bei Stangenberg also nicht hinhören – wäre nicht alles anders.

Zwei Manuale als Antithese

Musikalisch steckt Khavn de la Cruz hinter den neun Songs, der bunte Hund der philippinischen Filmszene. Er spielt sie auf einer alten Digital-Orgel ein, die er offenbar zu Beginn der Session im Studio von Stereo-Total-Keyboarder Brezel Göring fand. Mehr „out“ als eine Yamaha Electone kann ein Keyboard gar nicht sein (diese oder ein ähnliches Modell muss es sein, die auf dem Album zum Einsatz kommt). Khavn versucht an diesen zwei Manualen die Antithese zur sauber und ausgefuchst produzierten amtlichen Studiomusik.

Lilith Stangenberg&Khavn

Lilith Stangenberg&Khavn de la Cruz: „Orphea – Lovesongs from Hell“ (Fun in the Church/Bertus/Zebralution)

Der Künstler aus Quezon-Stadt ist hier zu Lande praktisch unbekannt, kaum jemand kennt seine 50 Filme, er hat einen kurzen Wikipedia-Eintrag in drei Sprachen, Deutsch ist nicht darunter. Stangenberg aber liebt seine Arbeiten und sagt, sie verehre ihn „seit Jahren“. Als das Ende ihrer Zeit an der Volksbühne kam, sie heimatlos wurde, habe sie von seinem Konzert im Acud-Club in Berlin Mitte gelesen.

„Es waren dann fünf Leute im Publikum. Er zeigte Stummfilme und spielte dazu live Orgel. Ich hab Khavn danach kennengelernt und später geschrieben, um zu sagen, wie viel seine Filme mir bedeuten.“ Als Alexander Kluge mit Khavn einen Film drehen wollte, fragten die beiden Lilith Stangenberg. „Das war für mich so, als würde ich mit Orson Welles drehen“, erklärt die 32-Jährige.

Surreales Noise-Musical

Der Film ist ein anstrengender zweistündiger Ritt durch verschiedene Drehorte in Manila, vor Bluescreen oder auch mal in einer Art Tunnel aus Karton. Lilith Stangenberg flüstert, schreit, deklamiert, spielt mit Schlangen. Es geht um Rilke. Und der Orpheus-Mythos wird mit einer Frau als Hauptperson neu erzählt. Das soll es wohl sein. Man muss Geduld und Wohlwollen mitbringen, um überhaupt Sinnhaftes zu erkennen. Tut man es, macht das surreale Noise-Musical Spaß. Es lief auch auf der diesjährigen Berlinale, ohne viel Aufsehen.

Was bleibt, sind nun die Songs. Aus ihnen spricht in jeder Sekunde die kompromisslose Hingabe der Sängerin. Stangenberg erinnert an Lars Eidinger, ohne dessen Albernheit und Selbstinszenierung zu wiederholen. Cool war sie nie. Sie riskiert mehr, setzt sich mehr aus. Jetzt dekonstruiert der Liebling der Berliner Theaterfans sich selbst, singt Dinge wie: „I only have this hair that somebody once loved“ und „I’m nobody“.

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Die Hölle hat neun Eingänge, und deswegen gibt das ungleiche Duo nun neun Songs from Hell. Khavn soll sie an einem Nachmittag in Manila am Stück komponiert haben, jeder in einem eigenen Genre. „Unser Stil ist kein Stil, es ging nie darum, eine runde Sache oder etwas aus einem Guss herzustellen“, erklärt Stangenberg. „So ist man viel näher an einer Wahrheit, als wenn man immer alles richtig machen will.“

Nicht der übliche Look

Erst den guten Geschmack zerstören, dann neu anfangen – hier leitet eine Devise, die einst dem Punk sehr dienlich war. „Punks hatten doch immer eine Haltung gegen das Establishment“, sagt Stangenberg. „Und darin lag dann Energie. Mich wundert es, wenn junge Leute, Studenten etwa, sich in ihren Filmen einen Look suchen, den es schon hundertfach gibt. Sich anpassen für die Karriere und den Erfolg. Dabei muss Kunst doch als Erstes überraschend sein. Dann kann es ergreifend oder faszinierend werden.“

„Blind“, „Widow“, „Orphan“, so heißen die Songs. Stangenberg ist abonniert auf die Rolle der düsteren, gefährlichen Frau. Selbst das wird hier noch mit parodiert. Sie selbst schildert dazu nur eine Anekdote: „Ich hatte nie einen Hang zur Nacht oder zur Dunkelheit, nee. Aber ich weiß noch, wie ich als Schülerin im Musikunterricht mit meiner Mitschülerin getuschelt habe, und da sagte der Lehrer auf einmal: Sprich nicht mit der Stangenberg, sie ist vom Teufel besessen!“

Man kann nur hoffen, dass dieses Album nicht dem aufgeheizten Diskurs um kulturelle Aneignung zum Opfer fällt. „Sandali na lamang nang pinutol moang lubid“, singt sie in der schönsten Nummer auch mal. Es ist übrigens ein Song über den Suizid und heißt ungefähr: Dieser Moment, wenn du dir das Seil zurechtschneidest.

Da steht die weiße, scheinbar zerbrechliche Frau in den Slums von Manila, so darf man sich die Entstehung des Albums auch vorstellen, denn dort hat sie die Songs zum ersten Mal gesungen. Und singt gegen etwas an, das sie selbst nicht versteht. Wir auch nicht. Das ist das Zauberhafte an dieser Musik. Und die Beats aus der Automatik der Yamaha-Orgel.

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