Musik von Komponist*innen of Color: „Aus der Musikgeschichte gestrichen“
Das Bremer Namu-Ensemble pflegt die Musik verdrängter Komponist*innen. Sein Programm „Romantic of Color“ umfasst Musik aus drei Kontinenten.
![Schwarzweiß-Fotografie von Chiqhinha Gonzaga als junge Frau mit einer Schleife im Haar Schwarzweiß-Fotografie von Chiqhinha Gonzaga als junge Frau mit einer Schleife im Haar](https://taz.de/picture/7494689/14/Chiquinha-Gonzaga-Prefeitura-Municipal-de-Curitiba-1.jpeg)
taz: Frau Seiler, wie kommen Sie an die Musik von Künstler:innen, die vergessen wurden?
Dannielle Seiler: Das ist tatsächlich schwierig und braucht viel Recherche. Erst mal muss man die Komponist:innen überhaupt finden. Es gibt dafür verschiedene Datenbanken. Sobald ich die Namen entdeckt habe, kann ich dann zum Beispiel beim International Music Score Library Project schauen, ob Partituren hochgeladen wurden. Die sind zwar meistens uralt, aber so kommen wir zumindest an die Noten.
taz: Bei diesem Konzert spielen Sie Stücke von vier Komponist:innen. Wieso haben Sie sich gerade für die entschieden?
Seiler: Wir wollten die Vielfalt der Musik von People of Color zeigen und deshalb Musik aus verschiedenen Regionen der Welt spielen. Es geht darum, nach und nach ein Gesamtbild der Geschichte zu erhalten. Die vier Komponist:innen des Konzerts „Romantic of Color“ stammen also aus Europa, Süd- und Nordamerika.
taz: Sie sind Mitgründerin des Namu-Ensembles, das sich auf die Musik unterrepräsentierter Komponist:innen spezialisiert hat. Wie kamen Sie auf die Idee?
Seiler: Susanne Milkus, die andere Gründerin, und ich waren unzufrieden damit, wie viel Musik wegen des Geschlechts oder der Herkunft von Komponist:innen nicht gespielt wurde. Es gab Menschen mit sehr unterschiedlichen Hintergründen, die komponiert haben und in der Musikszene sehr aktiv waren, heutzutage auf Bühnen aber nicht ausreichend präsent sind. Wir wollten dazu beitragen, dass auch in Bremen diese Musik zu hören ist, und sie zugänglicher machen. Der Bremische Kultursenator und die Waldemar-Koch-Stiftung ermöglichen uns durch ihre Unterstützung, die Ticketpreise relativ günstig zu halten.
taz: Sie nennen sich Namu-Ensemble, warum?
Seiler: Namu ist koreanisch. Es bedeutet Holz. Wir dachten, das passt, weil alle Instrumente, die wir spielen, irgendetwas mit Holz zu tun haben. Das sind unsere Bläser: Flöte, Oboe, Klarinette, Fagott, Horn und die Streicher: Geige, Bratsche, Cello und Kontrabass.
Romantic of Color, Konzert mit Werken von Clarence Cameron-White, Samuel Coleridge-Taylor, Chiquinha Gonzaga, Florence Price, 15. 2., 20 Uhr, Zentrum für Kunst, Bremen, und 16. 2., 15 Uhr, St. Martini zu Bremen-Lesum
taz: Wie ändert sich der Übungsprozess, wenn Sie Werke von Künstler:innen spielen, die heute weitgehend nicht mehr gehört werden?
Seiler: Man merkt bei der Vorbereitung dieser Stücke, dass sie sehr vielfältig sind. Man muss die Stücke erst mal durcharbeiten und dann gemeinsam versuchen, dem Stil gerecht zu werden. Die Komponist:innen beziehen alle „westliche“ Musik, die wir oft als „klassische“ Musik bezeichnen, in ihre Stücke mit ein, also Bach, Mozart und so weiter. Sie beziehen aber auch andere Musikstile mit ein, die im Musikstudium hier zum Teil überhaupt nicht gelehrt werden, weil das Studium die Vielfalt von Musikrichtungen nicht abbildet. Zum Beispiel Florence Price, eine Komponistin aus den USA, deren „Fantasie Nègre“ wir spielen, hat ganz viel „klassische“ Musik gelernt, wollte später aber auch afroamerikanische Musik miteinbeziehen.
taz: Gibt es noch eine Geschichte eine:r Komponist:in, sie Sie gern teilen möchten?
Seiler: Wir haben ja auch „Hiawatha“ von Samuel Coleridge-Taylor im Programm. Das war zu seiner Zeit weltberühmt, das ist wichtig, zu erzählen. Trotzdem ist so wenig von ihm überliefert. Das ist doch extrem merkwürdig: Die Stücke waren gefeiert, aber nach seinem Tod hat man ihn aus der Musikgeschichte gestrichen. Solche Geschichten finden wir häufig.
taz: Was wünschen Sie sich auch von anderen Ensembles und Orchestern?
Seiler: Es müssten viel regelmäßiger Stücke diskriminierter Künstler:innen gespielt werden. Das ist eine Art musikhistorische Gerechtigkeit. Die Musik, die wir hören, sollte genauso vielfältig sein wie die Gesellschaft, in der wir leben. Je mehr wir die Musik unterrepräsentierter Künstler:innen spielen, desto mehr Menschen wollen die Stücke dann immer wieder hören.
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