Multikulturelle Kulturstätten bedroht: Ein echter Kampf
1992 brannte die Bibliothek von Sarajevo. Heute bedroht der Nationalismus erneut die Kultur Bosniens. Doch es gibt eine leise Hoffnung.
Dass das gemeinsame Kulturerbe von Seiten nationalistischer Extremisten so vehement in Frage gestellt wird, macht viele Bürger der Stadt fassungslos. Bosnien und Herzegowina kann auch keine ISBN-Nummern mehr ausgeben. Das konnte bisher nur die Bibliothek in Sarajevo für den Gesamtstaat. Autoren und Verleger sind schockiert. Soll unsere Kultur erneut vernichtet werden?, fragen sich viele. Geschichte und Gegenwart vermischen sich bei dieser Frage.
„Wir waren Anfang April 1992 mitten in den Vorbereitungen für die Feierlichkeiten 500 Jahre jüdischer Geschichte in Sarajevo“, sagt Jakob Finci, heute Vorsitzender der jüdischen Gemeinde. 1492 kamen die ersten von Christen vertriebenen Juden aus Südspanien, die sephardischen Juden, die ihre mittelalterliche spanische Sprache mitbrachten, in die von dem osmanischen Sultan gegründete Stadt am Miljacka-Fluss. „Wir hatten 1992 eine Stafette von Südspanien nach Sarajevo geplant, Musikveranstaltungen, sephardische Musiker sollten gemeinsam mit den bosnischen Künstlern auftreten.“
Bald lebten die Volksgruppen mit ihren Religionen dicht nebeneinander und miteinander, in dieser von osmanischen Herrschern gegründeten Stadt. Wer heute über die lateinische Brücke blickt, kann noch erkennen, dass hier vor Jahrhunderten Katholiken und Kaufleute aus Dubrovnik Fuß gefasst hatten. Es gab muslimische, katholische, jüdische und orthodoxe Mahalas (Stadtteile), es gab aber nie Grenzen und Mauern, kaum offenen Konflikte oder gar Pogrome, wie damals in Europa üblich.
Die beiden orthodoxen Kirchen gehören genauso zum Zentrum der Stadt wie die Moscheen, so die Gazi-Husref-Beg-Moschee, das Franziskanerkloster, die jüdischen Synagogen. Die Religionen existierten getrennt nebeneinander, produzierten jedoch Zeugnisse ihrer geistigen Tätigkeit als gemeinsames Erbe.
Darunter sind literarische und religiöse Abhandlungen in arabischer und hebräischer Schrift, theologische Exegesen, philosophische Streitschriften des Sufi-Ordens in arabischer Schrift oder Briefwechsel von Franziskanern in lateinischer Sprache.
Angehäufte, gestapelte, (halb) vergessene Texte aus der Tiefe der Jahrhunderte schlummerten hier in dieser Bibliothek, warteten auf neugierige Wissenschaftler aus aller Welt, auf ihre wissenschaftliche Aufarbeitung.
Fast alles ging verloren
Dann fielen am 25. August 1992 die Granaten. Das im maurischen Stil von den Habsburgern errichtete Gebäude ging in Flammen auf. In einem eindrucksvollen Buch beschreibt der Zeithistoriker Haris Imamovic, wie Bürger in den folgenden Stunden und Tagen gemeinsam mit der Feuerwehr bei fortwährendem Beschuss rund 2 Millionen Bücher, Folianten und Schriftrollen zu retten versuchten.
Die serbischen Angreifer hatten mit Absicht vor dem Angriff die Wasserleitungen der Stadt gekappt, der Fluss war unter Beschuss, deshalb musste die Feuerwehr das Wasser aus Brunnen am Nordhang abschöpfen und mühsam nach unten transportieren.
Fast alles ging verloren, nur 10 Prozent der Bücher und Folianten, der Handschriften und Zeugnisse dieser Kultur konnten gerettet werden. Sie sind seit 1998 in der National- und Universitätsbibliothek untergebracht. Die serbischen Nationalisten hatten ganze Arbeit geleistet, die Auslöschung der bosnischen Tradition des Zusammenlebens war beabsichtigt.
Nichts mehr soll an das gemeinsame Leben und die gemeinsame Geschichte erinnern. Bis heute wird die Politik der Trennung der Bevölkerungsgruppen systematisch verfolgt.
Das zeigte sich wieder, als kürzlich im paritätisch besetzten Ministerrat des auf dem Papier noch existierenden Gesamtstaates das Problem der Finanzierung der gesamtstaatlichen Museen und Einrichtungen diskutiert werden sollte. Die beiden serbischen Minister verließen den Raum, die Serben beteiligen sich nicht an den Kosten der gesamtstaatlichen Institutionen, schon gar nicht am Wiederaufbau der von serbischen Militärs zerstörten Gebäude. Die ohnehin fragile Finanzierung der Bibliothek und der Kulturinstitutionen ist wieder einmal erschüttert.
Am besten geht es noch dem alten Gebäude der niedergebrannten Bibliothek, dem jetzigen Rathaus, das nach dem vor zehn Jahren erfolgten Wiederaufbau in neuem Glanz scheint. Sie wird von der Stadt genutzt – nur nebenbei als Bibliothek. Das hilft den wenigen geretteten Schätzen nicht, sie sind jetzt beengt vor allem in der „National- und Universitätsbibliothek“ auf dem Campusgelände untergebracht.
Die Angestellten der Kulturinstitutionen haben jahrelang um ihre Existenz gekämpft, haben teilweise auf ihre Gehälter verzichtet: so im Historischen Museum, dem Museum für Literatur und Theaterkunst, dem Filmarchiv Kinothek, in der Kunstgalerie, dem Landesmuseum und der Bibliothek für Blinde und Sehbeschädigte in BiH.
Über Sponsoren gab es nur eine sehr geringe Unterstützung. Man kann es dem Universitätsprofessor Vahidin Preljevic ansehen, wie er fast physisch angesichts dieser Situation leidet. Dem in der Kultur und Wissenschaftsszene bestens vernetzten Germanisten tut das weh: das Museum hat im Winter keine Heizung, in der Kunstgalerie haben die Angestellten ein Jahr ohne Gehalt ausgehalten, das Landesmuseum war drei Jahre lang sogar geschlossen.
Kein Verlass auf politische Elite
Die damals in der Tito-Zeit entstanden Institutionen konnten nur erhalten werden, weil der neben der serbischen Teilrepublik der zweite Teilstaat, die Föderation Bosnien und Herzegowina, im Volksmund bosniakisch-kroatische Föderation, und der Kanton Sarajevo nach langem Hin und Her immer wieder eingesprungen sind.
Doch auch das ist infrage gestellt. Die seit den Kommunalwahlen im Frühherbst neue Kulturverantwortliche in der bosniakisch-kroatischen Föderation lehnt jegliche Verantwortung für die gemeinsamen Kulturinstitutionen ab. Das Mitglied der kroatisch-nationalistischen HDZ-Partei will nur noch Projekte, nicht aber Institutionen fördern.
Sie begibt sich damit auf die Ebene der serbischen nationalistischen Position. „Wir sind da von beiden Seiten in die Zange genommen“, sagt Vahidin Preljevic. Er beklagt, dass die Parteien aus Sarajevo, die nichtnationalistischen Troika aus Sozialdemokraten, der linksliberalen Nasa Stranka und der muslimisch geprägten Narod i Pravda, gegenüber den Nationalisten zu schwach Position beziehen.
Die politische Elite in Sarajevo sei keine verlässliche Stütze mehr, sagt der Professor, auch andere Intellektuelle kritisieren die Bildungsferne mancher Mitglieder der herrschenden Politikergeneration. Zwar traut sich niemand mehr wie der Bildungsminister vor einiger Zeit, damit anzugeben, dass er noch nie im Leben ein Buch gelesen habe. Das nicht mehr.
Dass man entgegen der Haltung nach dem Wahlsieg vor vier Jahren, als man den Fuhrpark ausdünnte, jetzt neue SUV-Limousinen für die Nomenklatura anschaffen will, sei ein Zeichen. Vor allem werde in diesen Kreisen gar nicht bemerkt, wie schleichend das kulturelle Erbe des Landes verscherbelt wird.
Kein Wunder, dass kaum jemand in der Lage ist, die komplexe multinationale Geschichte und Identität des Landes politisch offensiv zu verteidigen. Die Liste der Versäumnisse ist lang. Mit dem Rücktritt des bisherigen Direktors kurz vor den Wahlen im Oktober dieses Jahres wurde endgültig klar, dass es keine verlässliche Struktur für diese Institutionen gibt. Der Absturz ins Nichts war nahe.
So musste der Hohe Repräsentant Christian Schmidt eingreifen, der ja immer noch dafür da ist, die Umsetzung des Friedensabkommens von 1995 zu überwachen. Immerhin ist es Schmidt gelungen, eine Nachfolgeregelung durchzusetzen. Jetzt sollen nicht Politiker von außen, sondern die bisher ranghöchsten Mitarbeiter die Geschäfte übernehmen.
Damit ist es dem Hohen Repräsentanten erst einmal gelungen, Zeit zu gewinnen und die Ambitionen von politischen Parteien zu neutralisieren. Dass Schmidt, der im Ruch steht, in den letzten drei Jahren zu oft den Forderungen der Nationalisten nachgegeben zu haben, sich jetzt für gesamtstaatliche Institutionen und damit die multinationale Geschichte des Landes eingesetzt hat, wird ihm in Sarajevo hoch angerechnet.
Diesen Rückenwind braucht er. Nach wie vor ist die Finanzierungsfrage nicht gelöst. Der Hohe Repräsentant könnte mit seinen Sondervollmachten eine langfristig tragfähige Lösung durchsetzen, hoffen die Professoren.
Die Mehrheit der ausländischen Diplomaten ist ohnehin der Ansicht, dass im Friedensabkommen von Dayton klargestellt ist, dass diese gemeinsamen Institutionen vom Gesamtstaat finanziert werden müssen.
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