Muhammad Ali ist tot: Er war die Welt
Muhammad Ali war ein eleganter Boxer und ein politischer Sportler. Er selbst erzählte allen, er sei der Größte. Nun ist er mit 74 Jahren verstorben.
Muhammad Ali, so wurde immer gerne kolportiert, ohne dass es jemals statistisch erfasst worden wäre, war der berühmteste Mensch auf der Erde, er besaß das bekannteste Gesicht – und dass er der Größte war, hatte er ja schon früh jedem mitgeteilt.
Das Bild, das man sich in Deutschland von den USA machte, hätte ohne diesen Mann eine auffallende Lücke. Die Schlachten, die Ali im Boxring und außerhalb davon geschlagen hat, prägen unser Amerikabild.
“King of the World“ heißt eine der über tausend Biografien (davon über einhundert Kinder- und Jugendbücher), die zu Ali erschienen sind, und im Grunde war Ali noch mehr als ein König: Ali was the World. Und, nicht minder wichtig: Ali hat gezeigt, was Boxen sein kann. Mit seiner unglaublich eleganten Art, sich im Ring wie ein Schmetterling zu bewegen und wie eine Biene zuzuschlagen, bewies Ali, dass menschliche Emanzipation nur denkbar ist, wenn man sie auch körperlich versteht.
Geboren wurde Ali 1942 als Cassius Marcellus Clay in Kentucky. Sein Vater war Schildermaler, seine Mutter arbeitete als Haushaltshilfe in einer weißen Familie; damit ging es dem jungen Cassius schon besser als den meisten anderen Schwarzen im Kentucky der Vierziger- und Fünfzigerjahre. Zum Boxen kam er durch einen weißen Polizisten, der sein Talent erkannt hatte. Clay hatte Amateurerfolge, erkämpfte sich den Olympiasieg im Halbschwergewicht 1960, dann führte ihn ein Konsortium weißer Geschäftsleute behutsam in das damals zutiefst korrupte Profigeschäft ein und schon 1964 bekam er, noch als Cassius Clay, einen Schwergewichtstitelkampf.
Weltmeister war Sonny Liston, ein Mann mit unglaublicher Kraft, Kind von Baumwollpflückern, Analphabet, Ex-Strafgefangener. Clay, der spätere Ali, hingegen war ein braver Junge. Das Fachblatt „Sports Illustrated“ schrieb schon 1961, das amerikanische Boxen brauche „mehr Clays“. Und Nick Tosches, der Sonny-Liston-Biograf, schrieb, Clay sei „ein guter, sauberer Junge der Mittelklasse, der Amerika keine Schande und Feindseligkeit bescherte“ gewesen.
Clay siegte über Liston. Und als Weltmeister verkündete er, unterstützt von Malcolm X, seinen Übertritt zur Nation of Islam. Die Herrschaft der Mafia über das Profiboxen wurde vom Siegeszug der Black Muslims abgelöst. Aus der Sicht des weißen Sportjournalismus war das ein Schritt vom Regen in die Jauche.
Weltpolitische Inszenierungen
Muhammad Ali, dieser gutaussehende, smarte Kerl wurde einer der meistgehassten Menschen Amerikas. Und der Hass steigerte sich noch: Als er sich 1967 mit einer politischen Begründung weigerte, Wehrdienst zu leisten – „No Vietcong ever called me nigger“ – wurde Ali zu fünf Jahren Haft verurteilt, sein Weltmeistertitel aberkannt. Im Gefängnis war er nur kurze Zeit, aber bis 1970 hatte er Berufsverbot, seinen Lebensunterhalt verdiente er mit Vorträgen vor Achtundsechziger-Studenten und in einem Broadway-Stück trat er auf.
Boxerisch muss man sagen: Den besten Ali, den im Alter von 25 bis 28, den haben wir nie gesehen. Und als er wiederkam, ahnten wir erst, was wir verpasst hatten: 1971 verlor Ali knapp gegen Joe Frazier, 1974 gewann Ali. 1974 dann der sensationelle „Rumble in the Jungle“. Im unabhängigen Zaire präsentierte sich Ali als Held aller um ihre Unabhängigkeit kämpfenden Völker der Dritten Welt –und er schaffte es, seinen Gegner George Foreman, einen schwarzen US-Amerikaner, als „White Hope“ dastehen zu lassen, als einen Boxer, der das weiße US-Establishment repräsentierte.
Sogar den Kampf selbst inszenierte er, als wäre Foreman die US-Army und Ali selbst der vietnamesische Vietkong: Foreman mit einem der stärksten Punches der Boxgeschichte drosch sich in die Ohnmacht wie eine Armee, die ihre Unmengen an Bomben abwarf. Ali hingegen hing zäh und leidend wie der der Vietkong in den Seilen, bis er kurz vor Ende der 8. Runde zuschlug: die Supermacht Foreman war k.o.
1975 folgte dann der „Thrilla in Manila“, der vielleicht brutalste Kampf der jüngeren Boxgeschichte: Ali-Frazier auf den Philippinen, eine Ringschlacht, wie es sie auch in der Antike nicht gegeben haben dürfte. Nach der 14. Runde, beide Kämpfer waren am Ende ihrer Kräfte, warf Fraziers Trainer – gegen dessen Willen – das Handtuch. Ali wollte jubeln, brach aber zusammen. Beide Boxer mussten sofort ins Krankenhaus. Der “Thrilla“ ist der einzige seiner Kämpfe, den Ali sich später nie mehr angeschaut hat.
Zum dritten Mal Weltmeister
Es kamen zwar noch viele – etliche Experten sagen: zu viele – Kämpfe, ja, Ali wurde sogar noch als erster Boxer der Geschichte zum dritten Mal Weltmeister. Aber: Die Schlacht gegen Joe Frazier dürfte Alis – und Fraziers – größter Kampf des Lebens gewesen sein. Auch diesen Kampf hatte Ali politisch aufgeladen: Er fand auf den Philippinen statt, also wieder in der um Unabhängigkeit kämpfenden Dritten Welt. Joe Frazier, der ihm sogar während Alis Exil einmal mit Geld ausgeholfen hatte, schmähte er als „Gorilla“, als „hässlich“, als „einzigen Nigger, der keinen Rhythmus hat“. Diese, wie man sagen muss: rassistischen Schmähungen hat Frazier bis zu seinem Tod 2011 nie verziehen und Ali akzeptierte schuldbewusst dessen Hass. Joe Frazier war der einzige Mensch, dem Ali nicht übelnahm, dass er ihn konsequent als „Mister Clay“ bezeichnete.
Anfang der Achtzigerjahre wurde bei Ali das Parkinson-Syndrom diagnostiziert. Körperlich – und darauf legten Ali, seine vierte Frau Lonnie und seine Ärzte großen Wert: nicht geistig – baute er ab. 1996 durfte er bei den Olympischen Spielen in Atlanta das Feuer entzünden: Die Weltöffentlichkeit sah voller Mitleid den zitternden Mann, der nur mit größter Anstrengung die Fackel halten konnte.
Aber: „Wenn die Leute sagen: Boxen ist schrecklich, schau, was es aus Ali gemacht hat“, sagte der Boxexperte Alex Wallau einmal, „dann muss ich fragen: Welches Leben hätte er denn ohne Boxen gelebt? Es wäre gewiss nicht viel gewesen.“
Am Freitag ist Muhammad Ali im Alter von 74 Jahren in einem Krankenhaus in Phoenix, Arizona, gestorben.
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