berliner szenen: Mütterlicher Rat im Warenhaus
Ein Winterjacke wollte ich mir kaufen. Im WSV. Was Schönes, nicht so praktische Funktionsjacken, in denen man so deutsch aussieht, als hätte man sich eine schwarz-rot-gelbe Flagge auf die Stirn gemalt.
„Wo kauft man denn eine Winterjacke?“, habe ich meine Mutter gefragt. Mütter kennen sich aus mit Wärme. Mein ganzes Leben lang sagt meine Mutter mir schon, ich soll mein Hemd in die Hose stecken. „Die Nieren!“, ruft meine Mutter. „Denk an deine Nieren!“
Deswegen Winterjacke. Dann kann ich das Hemd einfach weglassen.
Und meine Mutter sagte: „Warenhaus am Alex. Winterjacken kauft man im Warenhaus am Alex.“ (Wir kommen aus’m Osten, aus der Hauptstadt der DDR, da hieß das so. Daran wird sich auch nichts ändern, bloß weil der Osten seit dreißig Jahren weg ist.)
Ich fahre zum Alex und suche. Winterjacken in Übergrößen, unter denen man ganze Polarexpeditionen sicher über den Südpol bringen könnte. Daunenmäntel in Gold und Metallic, die aussehen, als wären sie noch von der letzten Berliner Love-Parade übriggeblieben. Und dann sehe ich sie. Schwarz mit roter Steppnaht, runtergesetzt auf 60 Prozent. Sie passt mir wie angegossen!
Glücklich frage ich die Mutti hinter der Kasse um Rat. So was Großes will ich dann doch nicht allein entscheiden. 60 Prozent von sehr viel ist nämlich immer noch ziemlich viel. Und sie? Mustert mich von oben bis unten. Und schüttelt den Kopf: „Nee, junge Frau“, sagt sie erbarmungslos, „ditt wird nischt. An dem Teil werden Sie keine Freude haben. DAS IST ZU ENG. Gehen Sie mal in die Sportabteilung, da finden Sie was Praktisches.“
Zerstört trotte ich in die Sportabteilung.
„Und wenn es sehr kalt ist“, ruft die Verkäuferin noch, „stecken Sie einfach das Hemd in die Hose, dann sind auch die Nieren geschützt.“
Gegen Mütterlichkeit ist einfach kein Kraut gewachsen. Lea Streisand
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