Mütter sehen sich in Bremen diskriminiert: Schwarze Babys sind verdächtig
In Bremen haben zahlreiche Kinder keine Geburtsurkunde. Das Bündnis „Together we are Bremen“ sieht strukturellen Rassismus beim Standesamt.
Agatha L. ist Schwarz, ihr Baby ist zehn Monate alt und hat noch immer keine Geburtsurkunde. Der Vater des Babys, erzählt sie, lebe seit dreißig Jahren in Deutschland. Doch seine Vaterschaft erkennt das Standesamt nicht an. Stattdessen unterstellt es L., sie wäre mit jemand anderem verheiratet.
Nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch ist derjenige Vater eines Kindes, der mit der Mutter verheiratet ist. Wenn keine Ehe besteht, reicht es, dass der Vater die Vaterschaft anerkennt. Ist der Vater deutscher Staatsbürger oder hat eine Aufenthaltserlaubnis, bekommt das Kind ebenfalls diesen Status – und die Mutter auch.
Kinder mit unverheirateten Eltern sind im 21. Jahrhundert eigentlich keine Seltenheit – doch offenbar sieht das Standesamt Ehen, wo keine sind. „Wir sind Schwarze Frauen, die nach Deutschland gekommen sind und hier Kinder bekommen haben. Die Kinder sind deutsche Staatsbürger“, sagt L. Sie ist nicht die einzige Frau, der das Standesamt unterstellt, verheiratet zu sein. Die betroffenen Mütter haben sich im Bündnis „Together we are Bremen“ organisiert und zur Kundgebung vor dem Standesamt aufgerufen.
200 Kinder ohne Geburtsurkunde
Der Flüchtlingsrat Bremen geht für die Stadt von etwa 200 Fällen wie dem vom L. aus. Bei ihnen bezweifelt das Standesamt die Vaterschaft der deutschen Männer, obwohl die Mütter eine Vaterschaftsanerkennung vorgelegt haben. „Die Unterstellung, mit einem anderen Mann verheiratet zu sein, der dann der gesetzliche Vater der Kindes wäre, hat für die Frauen tiefgreifende Folgen“, sagt Gundula Oerter vom Flüchtlingsrat.
Agatha L., Mutter eines Babys
Das Standesamt dränge die Frauen in ein Überprüfungsverfahren, das sie knapp 700 Euro kostet. Von dem Geld lasse die deutsche Botschaft im Herkunftsland Nachforschungen über ihren Personenstand und ihre Vergangenheit anstellen. Ehemalige Nachbar*innen würden befragt, die Familie werde besucht und sämtliche Dokumente der Frauen, bis hin zu den Grundschulzeugnissen, müssten im Original vorgelegt werden, berichtet Oerter. Alles, um zu klären, ob die Mütter nicht doch verheiratet sind und es einen anderen gesetzlichen Vater gibt.
„Es macht keinen Spaß, wenn jemand in deiner Vergangenheit herumwühlt. Wir müssen dadurch viele Schmerzen noch mal durchleben“, sagt L. Die fehlenden Geburtsurkunden ziehen außerdem zahlreiche Probleme nach sich. Wenn die Mutter etwa Leistungen über das Sozialamt bezieht und versucht, ihr Kind bei der Krankenversicherung anzumelden, verweist das Amt sie an den Vater. Da dieser seiner Krankenkasse jedoch keine Geburtsurkunde vorlegen kann, verweigert die Kasse häufig die Familienversicherung.
Rassistische Motive?
„Das ganze Verfahren ist erniedrigend. Das Standesamt behandelt uns, als wären wir weniger wert“, sagt L. Die rund 50 Teilnehmer*innen der Kundgebung applaudieren. Das Motiv der Mitarbeiter*innen im Standesamt ist für die Demonstrierenden eindeutig: Rassismus. „Wie ist es, wenn eine weiße Frau in Deutschland ein Kind bekommt? Erfährt sie dieselbe Behandlung?“ Niemand muss Agathas rhetorische Frage beantworten.
Die Bremer Innenbehörde nennt die Vorwürfe des Bündnisses „verallgemeinernd“. Man müsse konkrete Fälle benennen, um diese auch überprüfen zu können. Laut der Flüchtlingsrat-Mitarbeiterin Oerter ist das eine klassische Taktik, ein strukturelles Problem auf Einzelfälle zu reduzieren. Auf taz-Anfrage teilt die Innenbehörde mit, es sei das Ziel der Bremer Standesämter, dass jedes in Bremen geborene Kind eine Geburtsurkunde erhalte – „jedoch auf Basis einer korrekten Datenlage“. Hätten Standesbeamt*innen Zweifel, seien sie verpflichtet zu prüfen, ob diese berechtigt sind.
Die Arbeit mit dem Standesamt geschehe nicht auf Augenhöhe, meint Agatha. „Wir werden von dieser Behörde unter Druck gesetzt, wir werden eingeschüchtert. Diese Erfahrungen machen wir als Schwarze Frauen.“
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