Münster-Tatort „Lakritz“: Ein ewiger Volkstheaterschwank
Eine slapstickhafte Zuspitzung auf bürgerliche Kleinstadtkriminalität: In Professor Börnes und Thieles neuem Fall ist eigentlich alles wie immer.
Nun ist er wirklich gekommen, der Punkt. Der Punkt, an dem man sich zu erinnern versucht, wie das damals war, als der Münster-„Tatort“ neu war. Und man dachte: Heidewitzka, dasjama frisch und anders und joah: amüsant. Nun, das ist eine Weile her. Jetzt ist die erste, zweite und fünfte Reaktion: Was da läuft, erinnert in seiner Simplifizierung von Plot und Humor an fernes, altes Fernsehen. An Volkstheaterschwank, Millowitsch, Ohnsorg, so was. (Kleine TV-Abschweifung: Unfassbar, dass so was mal zur Hauptsendezeit im ÖR lief. Und: Lebt Willy noch?)
Was soll’s, bei dieser „Lakritz“-Folge also alles wie immer: eine geradezu slapstickhafte Zuspitzung auf bürgerliche Kleinstadtkriminalität. Diesmal: Marktlizenz für Lakritzverkäufer – auf einmal ist jener Stadtfuzzi tot, der die Lizenzen ausstellt. Also mal wieder Kungelei, alle haben mit allen zu tun, isso, der Assistent vom Opfer seiner Mutter putzt beim Opfer, Pathologe Börne gab in einer der Lakritzfamilien vor 40 Jahren Nachhilfe, die Staatsanwältin bekommt, logo, „Anrufe von oben“.
Und der Fall kommt mal wieder nur voran, weil Börne (Jan Josef Liefers), Thiel (Axel Prahl) und Thiels Taxifahrervater in einem vor der Erzählzeit etablierten Netz mit den üblichen Verdächtigen stecken. Als hätte jemand das Drehbuch mit Checkliste geschrieben, um ja bitte alle Standards abzuhaken, aktueller Kommissars-Spleen inklusive (in diesem hypothetischen Fall wäre das Thorsten Wettcke; er hat etwa die erste Folge um den Hamburger Ermittler Cenk Batu mitgeschrieben und ihn somit mitentworfen oder, neuer, war auch Co-Autor beim ZDF-Ost-West-Krimizweiteiler „Walpurgisnacht“, der im Februar lief, irre gut besetzt mit Bodenbender, Schüttauf, Zehrfeld, Giese).
Aber nun gut, dafür blitzen Schönheiten im Dämmer auf wie Fenster im Abendlicht (dank Regisseurin Randa Chahoud, ihr Legendending übrigens „Ijon Tichy: Raumpilot“). Kleinkram, der Figuren runder macht, wie der Pawlow’sche Reflex, einen falschen Genitiv zu korrigieren; der kaugummikauende, fluchende Pfleger, der aus Langeweile ballerspielt.
Münster-„Tatort“: „Lakritz“, So., 20.15 Uhr, ARD
Oder diese beiden Alten, die freudvoll beiläufig zeigen dürfen, wie Altsein im TV auch aussehen kann (einer ist Thiels Taxifahrervater, der andere ein Greis, gespielt von Walter Hess, uralter Theaterhaudegen): am Fenster stehen, eine Tüte durchziehen, wummernd laut „Who Let the Dogs Out?“ hören. Wirklich, Hess allein macht den restlichen Quatsch locker wieder wett.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen