Münchner Vorort Grünwald: Wo die Reichen wohnen
Der Münchner Vorort Grünwald ist ein Mythos voller Luxus und Protz. Doch es gibt auch Normalos, die Blasmusik spielen und Geflüchtete unterbringen.
Grünwald – der Name der 11.000-Einwohner-Gemeinde südlich von München ist in ganz Deutschland bekannt. Grünwald ist verrufen oder wird beneidet als Wohnort der Prominenten, Schauspieler, Manager, reichen Erben und der bekannten Fußballstars des FC Bayern München. Beim Namen Grünwald rasseln die Gedanken los: Reichen-Villen, große Pools, exklusive Partys, Champagner, teure Schlitten in der Tiefgarage – und Steueroase. Ein Ruf wie Blitz und Donner.
Auch durch die Reichen ist Grünwald das geworden, was es ist. Und die einheimische Bevölkerung muss damit irgendwie umgehen. „Wir waren immer die Normalen“, erinnert sich Thomas Lindbüchl. Der Mann mit dem kurzen grauen Vollbart und dem Ohrring kommt aus Grünwald und wird wohl immer in Grünwald bleiben. Für die CSU sitzt er im Gemeinderat, ist im Blasorchester aktiv, bei den „Freunden Grünwalds“ und in der katholischen Maria-Königin-Kirche.
„Viele wollen hier nur wohnen und sich nicht in die Gemeinde integrieren“, sagt Lindbüchl. Man lasse sich „gegenseitig leben“. Er hatte einen Schulkameraden „aus der Reichengegend“. Der habe ihn immer wieder mit zu sich nach Hause genommen ins eigene Hallenbad. Lindbüchl hat dem Freund dafür die schönen Badestellen an der Isar gezeigt. Am Hochufer des Flusses verläuft ein gekiester Fuß- und Radweg. Steil geht es weit runter zur Isar, die wenige Kilometer Richtung Norden München erreicht. Die Aussicht über das tiefe Tal kann man bewegend schön finden.
So machen sich Reiche unbeliebt
Gleich dahinter ist eine durch Metallzäune und sechs Meter hohe Hecken abgeschirmte Baustelle. Ein riesiges Grundstück lässt sich nur erahnen, vor der Einfahrt steht private Security. Jeder in Grünwald weiß, dass dort eine Villa für den Sohn eines bekannten Mietwagenunternehmers errichtet wird. Gebaut wird schon seit Jahren, über die lange Zeit hinweg ist der Ort zum Ärgernis geworden. So machen sich Reiche unbeliebt.
Ulli Portenlänger hat 33 Jahre lang bis zum März 2022 den „Alten Wirt“ in Grünwalds Zentrum geführt, eine bayerische Traditionswirtschaft. Am ersten einigermaßen warmem Tag in diesem Jahr sitzt er im historischen Apfelgarten des Anwesens. Der 63-Jährige denkt einige Sekunden nach, dann sagt er: „Es gibt eben die zwei Grünwalds.“ Eine unsichtbare Grenze scheint den Ort zu trennen.
Früher seien bekannte Schauspieler im „Alten Wirt“ ein- und ausgegangen, erzählt Portenlänger. In den Bavaria Filmstudios im Norden der Gemeinde drehten sie Filme. Als Junge hatte er Gert Fröbe gesehen und Heinz Rühmann. Den Schauspielern folgten Manager und Wirtschaftsbosse, dann die Fußballer. In Grünwald waren oder sind unter anderem verortet: Joachim „Blacky“ Fuchsberger, Senta Berger, Franz Beckenbauer, Uschi Glas, Karl-Heinz Rummenigge, Oliver Kahn. Lothar Matthäus trainiert die Grünwalder E-Jugend samt dem eigenen Sohn. FC-Bayern-Spieler der jüngeren Vergangenheit sind Franck Ribery, Arjen Robben und Jerôme Boateng.
Ur-Grüne
Grünwald gehört zu den reichsten Gemeinden Deutschlands. Die Kinderbetreuungsangebote mit kleinen Gruppen gelten als vorzüglich, der Ringbusverkehr ist kostenlos, es gibt großzügige Sportanlagen. Das schätzt auch Ingrid Reinhart, 73 Jahre alt, die vor fast vier Jahrzehnten mit Familie nach Grünwald gezogen ist, weil sie hier eine bezahlbare Wohnung gefunden hatte. Sie ist eine Ur-Grüne, gründete den Ortsverband mit, sitzt seit 1990 im Gemeinderat. Jeder kennt die lebhafte Frau.
Geht es mit ihr ein wenig durch, dann wettert sie über den „Kotz-Reichtum“ und mokiert sich: „Viele Porschefahrer trifft man beim Aldi in Straßlach“, dem Nachbarort. Doch Reinhart schaut, dass in Grünwald einiges zusammengehalten wird. Sie steht dem ehrenamtlichen Flüchtlings-Helferkreis vor. Die neu angekommenen Menschen aus der Ukraine habe man genauso gut hauptsächlich privat untergebracht wie die Geflüchteten im Herbst 2015.
„Wer zu uns kommt, soll seine Würde behalten“, sagt Reinhart. Viele andere Gemeinden würden jammern, dass sie mit den Flüchtlingen überfordert seien. „Wir sind es aber nicht. Das ist auch Grünwald, auch wenn es nicht ins Klischee passt.“
Diskret
Für das Geld-Grünwald wiederum stehen die Immobilienmakler. Sie vermitteln Villen und Baugrund, die Millionen-Euro-Preise kosten. „Diskrete Abwicklung“ wird garantiert. Auf Portalen findet sich etwa ein „Herrenhaus“, zehn Zimmer für rund sechs Millionen Euro. Oder ein Zwei-Villen-Anwesen, 20 Zimmer, 14,5 Millionen.
Im Villenviertel sind die Straßen breit und fast menschenleer. Dafür stehen SUVs, Porsche und einige Teslas auf den Parkplätzen und in den Einfahrten. Die meisten Briefkästen haben keine Namen, an einer Villa gibt es Klingeln mit zwei Begriffen: „Wohnhaus“ und „Hausmeister“. Zu sehen sind geschwungene Walmdächer, schnörkellose Bungalows, verspielte Schlösschen oder Prunkbauten, die irgendwie am Neoklassizismus orientiert sein sollen. In seiner Gesamtheit kommt dieser Wildwuchs einer architektonisch-ästhetischen Beleidigung gleich.
Eine andere Form von Geld-Grünwald wird in einem Haus an der Durchgangsstraße nach Bad Tölz praktiziert. Hier gibt es viele Briefkastenfirmen. Mit einem besonders niedrigen Hebesatz für die Gewerbesteuer ist die Gemeinde als Steueroase bekannt. Die Masche: Wer anderswo ein Unternehmen betreibt, eröffnet in Grünwald den Scheinsitz der Firma, einen Briefkasten. Der Steuerhebesatz, den die Kommunen festlegen, ist in München bei 490 Prozent und in Grünwald bei konkurrenzlosen 230. Man zahlt also weniger als die Hälfte Gewerbesteuer.
Das Haus hat an den fünf Briefkästen in winziger Schrift geschätzt 100 Firmennamen angebracht. Menschen sind nicht anzutreffen. Es ist schon physisch unmöglich, dass so viele Unternehmen hier reale Arbeitsplätze haben. „Das ist Steuerhinterziehung“, sagt die Grüne Reinhart, „es schreit zum Himmel.“
Großfamilie
Darüber und über anderes will der Grünwalder CSU-Bürgermeister Jan Neusiedl nicht reden, er ignoriert eine Gesprächsanfrage der taz. Der CSU-Gemeinderat Thomas Lindbüchl rechtfertigt die Kommunalpolitik: „Ein Bürgermeister soll und kann sich doch gar nicht vom Gewerbe distanzieren.“ Allein die Briefkastenfirmen machten Grünwald nicht reich.
Obwohl er fast immer hier gelebt hat, ist der Wirt Ulli Portenlänger doch so etwas wie ein Grünwald-Ausbrecher. Die Entwicklung dauerte eine Weile, an seinem 50. Geburtstag verließ er seine Frau und die Familie. Seitdem lebt er mit seinem Freund zusammen, einem Mann aus Kolumbien, die beiden sind mittlerweile verheiratet.
„Wir sind dabei langsam vorgegangen“, erzählt er, „man muss den Leuten Zeit lassen.“ Es habe keine Anfeindungen gegeben und keinen Rosenkrieg. Jetzt, so meint Portenlänger, lebten sie in einer „Großfamilie“. Im „Alten Wirt“ ist er noch oft, den Azubis gibt er Nachhilfe für die Berufsschule. Und mit seinem Ehepartner zeigt er sich überall offen. Das geht – in Grünwald.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag