Münchener Sicherheitskonferenz: Europas Schicksalstage
Während die Sicherheitskonferenz in München tagt, hofft die Ukraine auf Unterstützung. Trumps Kurswechsel stellt Europas Sicherheitspolitik infrage.
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Die Wahrnehmung des Krieges von Ukrainer:innen hier in Deutschland und denjenigen, die in ihrer Heimat geblieben sind, würde stark auseinandergehen, sagt ein Kundgebungsteilnehmer, der sich als Oleksander vorstellt. Seine Eltern leben in Kamjanske, in der Mitte der Ukraine, und seien von den täglichen Angriffen und Toten in den vergangenen drei Jahren erschöpft. „Auch wenn meine Familie immer weniger an einen Sieg glaubt, weiß ich, dass wir nicht aufgeben dürfen“, sagt Oleksander.
Kurz vor der Kundgebung auf dem Odeonplatz hat der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj seinen Auftritt auf der Siko. Der Applaus ist groß, als er das Podium betritt. Aber es ist ein beklemmender, fast schon mitleidiger Beifall, der ihm entgegenschallt. „Keine Entscheidung über die Ukraine ohne die Ukraine, keine Entscheidung über Europa ohne Europa“, ruft Selenskyj in den Saal. Aber dass er damit auch noch bei der neuen US-Administration Gehör findet, ist mehr als zweifelhaft. Donald Trump macht jedenfalls nicht den Eindruck, als würde er sich bei seinen angekündigten „Friedensverhandlungen“ groß um die Ukraine scheren.
Selenskyj versucht, sich nicht allzu sehr seine zunehmende Verzweiflung angesichts der schwierigen Lage seines Landes anmerken zu lassen. „Wenn die USA entscheiden, diesen Weg zu gehen, sich zurückzuziehen, ist das nicht gut“, sagt er. „Aber darauf müssen wir uns einstellen.“ Noch setzt er seine Hoffnungen auf die EU, an die er inbrünstig appelliert, in ihrer Unterstützung nicht nachzulassen. Die EU brauche eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik und müsse damit international selbstbewusst auftreten. Das Ende des Kriegs in der Ukraine müsse ein europäischer Erfolg werden.
Der Auftritt von Vance war für viele Anwesende ein Schock
„Jahrzehnte der alten Beziehungen zwischen Europa und Amerika kommen nun zu einem Ende“, sagt Selenskyj mit Blick auf den Auftritt von US-Vizepräsident James David „JD“ Vance am Freitag. „Von nun an werden die Dinge anders sein, und Europa muss sich daran anpassen.“ Er sei sich „sicher, auch Sie glauben an Europa, und ich kann Sie nur dazu aufrufen, zu handeln, zu Ihrem eigenen Wohl“.
Keine Frage: Der Auftritt von Vance war für viele Anwesende ein Schock. Dass es schwierig werden würde mit der neuen US-Administration, war zwar allen bewusst. Dass sich Donald Trump in der vergangenen Woche ohne vorherige Konsultationen der Ukraine sowie der Bündnispartner in der Nato und der EU mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin telefonisch zu „Friedensverhandlungen“ verabredet hatte, ließ bereits alle Alarmglocken schrillen.
Wie stellt sich die US-Administration die Zusammenarbeit mit der EU vor, welche Perspektive sieht sie für die Nato? Das war die bohrende Frage der Mitglieder zahlreicher Regierungen, darunter rund 60 Staats- und Regierungschefs, die aus der ganzen Welt nach München gereist waren. Trump hatte seinen Stellvertreter Vance in die bayerische Landeshauptstadt geschickt. Der gab eine Antwort, die anders als gedacht ausfiel und deshalb für umso größere Erschütterung sorgte.
Denn Vance hielt am Freitagnachmittag keine Rede, in der er die außenpolitischen Vorstellungen der Trump-Administration erläuterte. Stattdessen hielt er eine Kulturkampfrede, die auf die innenpolitischen Verhältnisse in den europäischen Staaten abzielte. Seine Botschaft: Europas demokratische Systeme müssen sich radikal verändern – zugunsten rechtspopulistischer und extrem rechter Strömungen.
Es mache keinen Sinn, über gemeinsame Sicherheit zu reden
In seiner 18-minütigen Rede kritisierte Vance fundamental den Weg, den die Regierungen in Europa eingeschlagen hätten. Die freie Meinungsäußerung werde angeblich von den Regierungen in der EU attackiert. „Ich fürchte, in Großbritannien und ganz Europa ist die Meinungsfreiheit auf dem Rückzug“, behauptete er. Als Beispiel nannte er die vermeintliche Zensur in den sozialen Medien. „Es scheint so, als würden sich viele Regierungen hinter dem Vorhang der Desinformation verstecken, um die Meinungen ihrer Bürger zu unterdrücken“, sagte er. Es mache jedoch keinen Sinn, über die gemeinsame Sicherheit zu reden, wenn man nicht einig sei, was man an Werten verteidige. Vance kritisierte die Entscheidung der Veranstalter der Siko, rechtspopulistische Politiker:innen nicht einzuladen. Es gebe „keine Berechtigung für Brandmauern“.
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Die Regierungen in Europa würden nicht auf ihre Wähler hören, tönte Trumps rechte Hand.Das zeige sich auch in der Frage der Migration. Die europäischen Wähler hätten nicht dafür gestimmt, „die Schleusen für Millionen von ungeprüften Einwanderern zu öffnen“, sagte Vance. Seine Rede gipfelte in der Aussage: „Ich denke, dass es kein dringlicheres Thema gibt als die Massenmigration.“ Nach seiner Rede traf er sich abseits der Siko mit der AfD-Vorsitzenden Alice Weidel zum Gespräch.
Vor seinem bizarren Auftritt hatte sich Vance am Freitagmorgen mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Mitgliedern der Bundesregierung getroffen. Es sei ein „produktives Gespräch“ gewesen, ließ Steinmeier verlauten. Doch das war wohl diplomatisch geflunkert. Denn bereits in seiner Eröffnungsrede am Freitag – also nach seinem Treffen mit Vance, aber vor dessen Rede auf der Siko – hatte der Bundespräsident bereits ungewöhnlich deutliche, ja geradezu unpräsidiale Worte über die neue US-amerikanische Administration gefunden. Er bescheinigte ihr, sie habe „ein anderes Weltbild“, und zwar „eines, das keine Rücksicht nimmt auf etablierte Regeln, auf gewachsene Partnerschaft und Vertrauen“. Es sei „nicht im Interesse der Staatengemeinschaft, dass dieses Weltbild das dominierende Paradigma wird“. Regellosigkeit dürfe nicht zum Leitbild für eine Neuordnung der Welt werden.
Am Samstagvormittag reagierte Bundeskanzler Olaf Scholz auf die Attacken von Vance. Er wies die Einmischung der US-Regierung in den Bundestagswahlkampf zurück. „Das gehört sich nicht – erst recht nicht unter Freunden und Verbündeten“, sagte Scholz. Er sei dankbar, dass der US-Vizepräsident bei einem Besuch der KZ-Gedenkstätte Dachau am Donnerstag betont habe, dass sich solche Menschheitsverbrechen nie wiederholen dürften. Eine überwältigende Mehrheit in Deutschland stelle sich „jenen hart entgegen, die den verbrecherischen Nationalsozialismus verherrlichen oder rechtfertigen“. Ein Bekenntnis zum „Nie wieder'“ sei „nicht mit der Unterstützung für die AfD in Einklang zu bringen“, sagte Scholz. Er werde „nicht akzeptieren, wenn Außenstehende zugunsten dieser Partei in unsere Demokratie, in unsere Wahlen, in die demokratische Meinungsbildung eingreifen“, so Scholz weiter. „Wie es mit unserer Demokratie weitergeht, das entscheiden wir selbst.“
Verhalten der US sorgt für Ratlosgkeit
In Bezug auf die Ukraine, die Vance in seiner Rede unerwähnt gelassen hatte, sagte Scholz, dass der Krieg „so schnell wie möglich“ enden müsse. Wenn nun unter Einbeziehung der Ukraine auch direkt mit Russland gesprochen wird, sei das daher richtig. Frieden werde es aber nur geben, wenn die Souveränität der Ukraine gesichert sei. „Ein Diktatfrieden wird deshalb niemals unsere Unterstützung finden“, sagte Scholz.
Aber was folgt aus dieser Ankündigung, wenn genau das eintreten sollte? Darauf blieb der Kanzler eine Antwort schuldig. Die Europäer würden die Ukraine unterstützen „so lange, wie dies nötig ist“, sagte Scholz bloß. So sei auch Deutschland „in der Lage, die Ukraine auf dem bisherigen hohen Niveau weiterhin zu unterstützen“. Das jedoch, und das weiß auch Scholz, würde niemals reichen, um den möglichen, ja wahrscheinlichen Ausfall der USA zu kompensieren.
Tatsächlich sorgt das Verhalten der US-Administration in der deutschen Politik für Ratlosigkeit. In Hintergrundgesprächen von Regierungsmitgliedern wurde der Ukraine-Beauftragte Washingtons, Keith Kellogg, als ein „freundlicher und offener“ Gesprächspartner gelobt. Es bestehe die Hoffnung, dass über den 80-jährigen General die Position der EU bei Trump ankomme.
Doch bei einem fast zeitgleichen öffentlichen Auftritt am Rande der Konferenz führte Kellog aus, dass die EU für ihn bei den anstehenden Verhandlungen keine besondere Rolle spielt. „Wenn wir einen Friedensdeal vereinbaren, stellen wir sicher, dass er durchführbar ist, ein guter Deal, ein fairer Deal“, sagte er. Was erst einmal nicht schlecht klingt. Auch versicherte er, es sei falsch zu denken, Trump werde die Ukraine-Verhandlungen mit Putin allein führen. Da würden vielmehr „zwei Protagonisten und ein Vermittler sitzen“. Eine Beteiligung der EU sieht er jedoch nicht. Jedenfalls antwortete der US-Gesandte auf die Frage, ob die Ukraine am Verhandlungstisch sitzen werde und ebenso die Europäer, so: „Die Antwort auf die letzte Frage ist Nein, die Antwort auf den ersten Teil ist Ja, natürlich werden die Ukrainer am Tisch sitzen.“
Klar ist: Verhandlungen zwischen den USA und Russland nähern sich. Am Samstag hat US-Außenminister Marco Rubio mit seinem russischen Amtskollegen Sergei Lawrow telefoniert. In der kommenden Woche wollen sich unter anderem Rubio und ranghohe Vertreter Russlands in Saudi-Arabien treffen, auch ein Gespräch zwischen Trump und Putin soll stattfinden. Laut dem US-Magazin Politico sollen keine Vertreter:innen aus Europa bei den Gesprächen anwesend sein.
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Als am Sonntag das Schneetreiben in München einsetzt, sind Vance und die anderen Repräsentanten der neuen US-Administration bereits abgereist. Während es auf den Straßen außerhalb weiß und rutschig wird, sind die Verbliebenen im Bayrischen Hof immer noch damit beschäftigt zu begreifen, was sie an diesem Wochenende auf der Konferenz erlebt haben. Das Gefühl ist: Das, was gemeinhin als westliche Welt bezeichnet wird, könnte an diesem Wochenende zu Bruch gegangen sein. Was aus dem alten transatlantischen Bündnis der europäischen Staaten mit den USA wird, scheint ungewisser denn je zu sein. Und was wird bloß aus der Ukraine?
Der chinesische Außenminister Wang Yi sprach von einer Phase des „Chaos“ in der Weltordnung. „Ohne Normen, ohne Standards kann es sein, dass man an einem Tag am Tisch sitzt und am anderen Tag auf dem Teller landet“, sagte der Pekinger Chefdiplomat schon in seiner Rede am Freitag. Er versuchte das Reich der Mitte als den Garanten der internationalen Weltordnung darzustellen. „China wird in dieser multipolaren Welt ein Pol der Sicherheit sein.“
Die US-Administration und Putin erwähnte Wang nicht namentlich, als er sagte, er habe den Eindruck, dass in der Welt „das Gesetz des Dschungels“ Einzug gehalten habe. „Einige Länder haben sich dem Gesetz des Stärkeren verschrieben.“ China dagegen setze sich für die Gleichheit der Länder ein. „Souveränität und territoriale Integrität müssen respektiert werden, das muss auch für die chinesische Wiedervereinigung gelten“, sagte Wang – und ließ so nonchalant die chinesischen Ambitionen Richtung Taiwan durchblicken.
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