Müll im Meer: Makrelen mit Mikroplastik
Speisefische aus Nord- und Ostsee sind mit Kunststoff belastet. Die Auswirkungen sind unklar. Umweltschützer und Wirtschaft fordern Ende der Verschmutzung.
HAMBURG taz | Kim Detloff sieht seine schlimmsten Befürchtungen bestätigt: „Diese Ergebnisse sind beunruhigend“, sagt der Meeresexperte des Naturschutzbundes (Nabu) Deutschland. Denn in Speisefischen aus Nord- und Ostsee haben Wissenschaftler des Alfred-Wegener-Instituts (HWI) in Bremerhaven Plastikteilchen nachgewiesen. Und die könnten nicht nur die Fische kontaminieren, sondern auch Menschen, auf deren Tellern sie landen. „Das muss genauer untersucht werden“, fordert Detloff im Einklang mit Matthias Keller, Geschäftsführer des Hamburger Fisch-Informationszentrums (FIZ) der deutschen Fischwirtschaft: „Die Auswirkungen auf den Menschen müssen erforscht werden“, sagt Keller.
In zwei jetzt veröffentlichten Studien haben AWI-Biologen nachgewiesen, dass auch Fische in Nord- und Ostsee sowie Meeresschnecken die Plastikteile fressen. Dafür untersuchten sie Mageninhalt und Verdauungstrakt von 290 Makrelen, Flundern, Heringen, Dorschen und Klieschen. Dabei stellten sie fest, dass Makrelen deutlich häufiger Mikroplastik verschlucken als Heringe oder Plattfische. „Die Ursache dafür liegt vermutlich im Fressverhalten“, sagt Studienleiter Gunnar Gerdts. Mikroplastik treibe oft in hoher Dichte an der Wasseroberfläche und ähnele damit frisch geschlüpften Seenadeln, auf die Makrelen Jagd machen.
Ob die verschluckten Plastikreste die Fische krank machen, können die Forscher nicht sagen, auch Folgen für den Menschen lassen sich noch nicht abschätzen. Viele Partikel befinden sich in den Verdauungsorganen, vor dem Verzehr nehme man aber die Fische aus. Denkbar sei jedoch, dass sich im Fischdarm schädliche Chemikalien aus dem Kunststoff lösen und dadurch in den Körper des Tieres gelangen könnten. „Wir sind mit der Erforschung der Effekte noch ganz am Anfang“, sagt AWI-Forscher Lars Gutow.
Mikroplastik sind fast unsichtbare Teilchen von weniger als fünf Millimetern Größe – vor allem aus Polyethylen, Polypropylen, Polyester und Polyamid. Viele dieser winzigen Partikel stammen direkt aus Duschgels, Zahnpasta oder sonstigen Artikeln mit Peeling-Effekt. Auch Bruchstücke von Plastiktüten sowie Fasern, die durch Abrieb und Zersetzung von Plastikgegenständen oder Fleecekleidung entstehen (siehe Kasten), zählen zur Mikroplastik. Im Wasser treibend zieht Mikroplastik wie ein Magnet hochgiftige Schadstoffe wie Polychlorierte Biphenyle (PBC) oder das Insektizid DDT an. Diese können nachweislich bei Muscheln Zellveränderungen nach sich ziehen, ob das bei Verzehr auch auf Menschen zutrifft, ist offen.
Mikroplastik sind kleinste Kunststoffteilchen von weniger als fünf Millimeter Größe.
Mikroplastik-Perlen sind in synthetischen Kleidungsstücken sowie in vielen Hygiene- und Kosmetikprodukten wie Zahnpasta oder Peeling-Produkten enthalten.
Mikroplastik entsteht beim Verfall von größeren Produkten wie Plastikflaschen oder -tüten.
Im Abwasser von Waschmaschinen wurden bis zu 1.900 Mikroplastik-Teilchen pro Waschgang gefunden.
Etwa 20.000 Tonnen größerer Teile wie Zahnpastatuben, Schnüre und Netzteile gelangen jedes Jahr in Nord- und Ostsee. Sie werden von Sonne, Wind und Wellen wiederum im Laufe der Zeit zu Mikroplastik zerrieben.
Von einem „riesigen Problem“ spricht Kim Detloff, der beim Nabu das Projekt „Fishing for Litter“ leitet. Dabei werfen Fischer auf Nord- und Ostsee den Müll, der sich in ihren Netzen findet, nicht mehr wie bisher ins Meer zurück, sondern bringen ihn an Land. In den Häfen kümmern sich die Umweltschützer vom Nabu um Entsorgung oder Recycling. Allein im vorigen Jahr wurden auf diese Weise laut Detloff 17.000 Tonnen Müll abgefischt.
Der Müll besteht „bis zu 25 Prozent aus Textilfasern“, sagt Detloff. Vor allem Fleecestoffe drohen zu einem ökologischen Desaster zu führen. Der erste Schritt wäre es, Waschmaschinen mit sehr viel effektiveren Fusselsieben als bisher auszustatten, sagt Detloff. In den Kläranlagen müssten die Abwässer noch strenger gesäubert werden. Und der belastete Klärschlamm dürfe nicht weiterhin als Dünger auf die Äcker kommen, sondern müsse als Sondermüll in die Verbrennungsanlage gebracht werden, fordert Detloff.
Fische gehörten zu den am besten untersuchten Lebensmitteln, sagt hingegen Claus Ubl vom Deutschen Fischereiverband in Hamburg: „Es gibt keine Erkenntnisse, dass Fische aus Nord- und Ostsee nicht zum Verzehr geeignet sind.“ Keller vom FIZ weist darauf hin, dass Fänge jetzt schon stichprobenartig auf Belastungen mit Blei, Cadmium oder Quecksilber untersucht würden. „Wenn die Wissenschaft uns sagt, nach welchen Stoffen gesucht werden soll, geht das“, so Keller. Die sicherste Methode sei aber zu verhindern, dass Kunststoffe aller Art überhaupt ins Wasser gelangten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Kampf gegen die Klimakrise
Eine Hoffnung, die nicht glitzert
Altersgrenze für Führerschein
Testosteron und PS
Angeblich zu „woke“ Videospiele
Gamer:innen gegen Gendergaga
Haldenwang über Wechsel in die Politik
„Ich habe mir nichts vorzuwerfen“
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen