: Müll-Grenzverkehr
■ Aktenfunde über Schönberg
Berlin (taz) – In Schlutup bei Lübeck war die innerdeutsche Grenze nie so dicht wie anderswo. Müllaster aus halb Europa durften zur Deponie Schönberg in die DDR durchfahren. Aber auch Papiere wurden hüben und drüben fleißig gelesen, abgeglichen und unterschrieben.
Der NDR hat jetzt ein kleines Dokument dieses Gedankenaustauschs aufgespürt. Es soll sich um die Originalfassung eines hydrogeologischen Gutachtens handeln, das eine Gefährdung des Lübecker Trinkwassers durch die Deponie nicht ausschließt. Die redaktionelle Überarbeitung allerdings, die der Bundesregierung (West) 1988 überreicht wurde, kommt zum gegenteiligen Schluß, die Bundesanstalt für Geowissenschaften faßte die Ausführungen schließlich so zusammen, daß auch westdeutsche Gerichte Klagen gegen die Deponie wasserdicht abschmettern konnten.
Von einer „Fälschung“ könne keine Rede sein, ließ sich gestern Umweltminister Töpfer vernehmen. Er hat recht. Schon die bereinigte Fassung des DDR-Gutachtens stützt sich auf westliche Quellen. Mit geologischer Wissenschaft hat der kleine Grenzverkehr wenig zu tun. Auch das wissen die beteiligten Behörden sehr genau.
Seit 1987 hält der Lübecker Senat ein Gutachten des Kieler Hydrologen Klaus Gronemeier unter Verschluß. Die Untersuchung stützt sich auf alle damals bekannten, von der DDR veröffentlichten Daten und kommt zu alarmiernden Schlüssen: Vergiftetes Sickerwasser aus Schönberg hat nach elf Jahren den ersten Lübecker Trinkwasserbrunnen erreicht.
Alarmiert durch solche Hinweise hatte die Stadt Lübeck schon 1986 versucht, weitere Mülltransporte nach Schönberg zu untersagen. Eiligst beauftragten die Landesregierungen in Kiel und Hamburg ihre geologischen Landesanstalten mit Gegengutachten. Sie fielen alle zugunsten der Müllmänner aus, die Stadt Lübeck unterlag. Ein Jahr später lieferte die DDR ihr Gutachten nach, weitere Klagen schienen nicht mehr sinnvoll.
Am allerwenigsten haben die neuen Aktenfunde denn auch den einst in Kiel, später in Schwerin für Schönberg zuständigen Uwe Conradt überrascht: „Ein alter Hut“, sagte er gestern. Niklaus Hablützel
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