"Mudschahid" Erbakan: Ein türkischer Islamist
Der frühere islamistische türkische Regierungschef Necmettin Erbakan ist tot. Der 84jährige galt auch als Mentor des Ministerpräsidenten Erdogan.

BERLIN taz | Die Nachricht überraschte nicht, schließlich war er 84 Jahre alt und herzkrank. Dennoch führte am Sonntag die Meldung vom Tod Necmettin Erbakans zu Aufregung im Land – und in der Milli-Görus-Bewegung in Deutschland. Mit Erbakan starb der prominenteste Vertreter des türkischen Islamismus – ein Mann, den seine Anhänger schlicht "Mudschahid Erbakan" nannten.
Erbakan wuchs als Sohn eines hohen Strafrichters im frommen Istanbuler Stadtteil Fatih auf. Hier wirkte in der unter den Islamisten legendären Iskenderpascha-Moschee Mehmet Sahid Kotku, Oberhaupt des durch die Kemalisten in den Untergrund getriebenen Nakschibendi-Ordens.
Erbakan ging schon als Kind mit den Erwachsenen beten. Er absolvierte ein deutschsprachiges Jungengymnasium und promovierte nach seinem Maschinenbaudiplom in Aachen. Bei seiner Rückkehr 1953 wurde er mit 27 Jahren Dozent.
Aber es zog ihn in die Geschäftswelt und Politik. Mit seinen frommen Freunden gründete er 1956 die erste Motorenfabrik des Landes, Gümüs Motor. 1966 war er schon Vorsitzender der Türkischen Industrie- und Handelskammer. Damit begann sein politischer Weg, der zur Gründung mehrerer Parteien führte, an deren Spitze er auch Ministerpräsident (1996) wurde.
Erbakan war als Mann des 20. Jahrhunderts ein national gesinnter Etatist und leistete dem Militär nie aktiven Widerstand. Zugleich wurde er aber zum Wegbereiter der Abschaffung der kemalistischen Ordnung mit der starken Armee als Hüterin des militanten Laizismus.
Sein berühmtester Zögling ist der jetzige Premier Tayyip Erdogan. Die Wege der beiden Männer trennten sich Anfang der 2000er Jahre, als Erdogan seine eigene Partei gründete. Obwohl Erbakan ihn und seine Freunde der skrupellosen Geschäftemacherei und des Verrats an den mustasaf, den Entrechteten, beschuldigte, blieben sich beide bis zum Schluss verbunden.
Erbakan wird mit seinem beißenden Humor und seinen Armani-Krawatten in Erinnerung bleiben. Und mit dem Satz: "Die islamische Ordnung kommt so oder so. Die Frage ist nur, ob der Übergang blutig oder unblutig sein wird."
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Soziologische Wahlforschung
Wie schwarz werden die grünen Milieus?
Streit um tote Geiseln in Israel
Alle haben versagt
Nach Absage für Albanese
Die Falsche im Visier
Nach Taten in München und Aschaffenburg
Sicherheit, aber menschlich
Treibhausgasbilanz von Tieren
Möchtegern-Agrarminister der CSU verbreitet Klimalegende
Ägyptens Pläne für Gaza
Ägyptische Firmen bauen – Golfstaaten und EU bezahlen