Motive noch unklar: Robert Enke wählt den Freitod
Er hatte sich gerade zurückgearbeitet ins Team von Hannover 96 nach einer langen Virus-Infektion. Am Dienstagabend stellte sich der National-Torwart Robert Enke vor einen Zug.
HANNOVER dpa/rtr/ap/taz | Fußball-Nationaltorhüter Robert Enke ist tot. Nach Angaben seines Beraters Jörg Neblung beging er am Dienstagabend Selbstmord. Enke sei gegen 18.25 Uhr von einem Regionalexpress an einem Bahnübergang in Neustadt am Rübenberge in der Nähe von Hannover erfasst worden, sagte ein Polizeisprecher. "Wir sind alle geschockt, uns fehlen die Worte", sagte der Teammanager der Nationalmannschaft, Oliver Bierhoff.
Enke wurde 32 Jahre alt. Wegen eines hartnäckigen Infekts war er wochenlang als Nummer eins ausgefallen und hatte erst am Wochenende sein Comeback beim Bundesligisten Hannover 96 gegeben. Dem achtmaligen Nationalspieler wurden gute Chancen eingeräumt, kommendes Jahr bei der Weltmeisterschaft in Südafrika dabei zu sein.
Der in Jena geborene Enke hinterlässt eine Ehefrau und eine acht Monate alte Tochter, die das Paar im Mai adoptiert hatte. Seine leibliche Tochter starb 2006 im Alter von zwei Jahren an einem Herzfehler. Ein harter Rückschlag für Enke und seine Frau.
"Wir stehen alle unter Schock und sind noch nicht in der Lage, die Dinge zu kommentieren", sagte der Sportdirektor von Hannover 96, Jörg Schmadtke. "Das ist alles irreal. Es scheint ihm wirklich schlecht gegangen zu sein", sagte Schmadtke bei einer Pressekonferenz in der Nähe der Unfallstelle. "Wir sind fassungslos und voller Trauer", meinte auch der Präsident des Deutschen Fußball-Bundes (DFB), Theo Zwanziger.
Noch am Dienstagabend hatten sich sowohl in der Nähe des Unglücksortes bei dem kleinen Örtchen Eilvese sowie am Fußball- Stadion in Hannover mehrere 100 Menschen versammelt, um Enke zu gedenken. Viele waren in Tränen aufgelöst. Der Verein legte ein Kondolenzbuch aus, in das sich noch in der Nacht zahlreiche Fans eintrugen. Kerzen wurden aufgestellt sowie Schals und Trikots niedergelegt. Bei Enkes früherem Club FC Barcelona wurde am Dienstag vor dem Pokalspiel gegen Cultural Leonesa eine Schweigeminute eingelegt.
Wie Polizeisprecher Stefan Wittke bei einer Pressekonferenz berichtete, hatte Enke seinen Wagen etwa zehn Meter von den Gleisen entfernt abgestellt. Der 32-Jährige habe sein Portemonnaie auf dem Beifahrersitz des nicht verschlossenen Wagens liegenlassen. Anschließend muss Enke mehrere 100 Meter an den Gleisen entlang gegangen sein, bevor er von dem aus Bremen in Richtung Hannover fahrenden Regionalzug RE 4427 erfasst wurde.
In einer ersten Befragung gab der Zugführer zu Protokoll, dass er eine Person auf den Gleisen habe stehen sehen. Er und ein weiterer im Führerhaus anwesender Lokführer hätten sofort eine Notbremsung eingeleitet, berichtete Wittke.
Nach Angaben der Polizei hat Enke einen Abschiedsbrief hinterlassen. Eine Polizeisprecherin sagte am Mittwoch: "Wir rechnen damit, im Laufe des Tages die Ermittlungen abschließen zu können."
In Gedenken an Enke werden die Mannschaften der Ersten und Zweiten Liga am 13. Spieltag mit Trauerflor auflaufen. Zudem gab die Deutsche Fußball Liga bekannt, dass es vor den 18 Partien am übernächsten Wochenende eine Gedenkminute für den Profi geben wird. "Wir sind erschüttert über den tragischen Tod von Robert Enke. Er war ein herausragender Sportsmann und ein besonderer Mensch", sagte Ligapräsident Reinhard Rauball.
Im Hotel der deutschen Nationalmannschaft in Bonn beriet die Führung des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) gemeinsam mit Bundestrainer Joachim Löw über eine mögliche Absage der Partie gegen Chile am Samstag in Köln oder andere Konsequenzen.
Die Nachricht von Enkes Tod löste über die Grenzen Deutschlands hinweg und über den Fußball-Bereich hinaus Fassungslosigkeit und Trauer aus. So reagierte Bundeskanzlerin Angela Merkel bestürzt von dem Unglück. Die Kanzlerin habe ihr Mitgefühl in einem persönlichen Brief an die Witwe ausgedrückt, sagte Vize-Regierungssprecher Christoph Steegmans in Berlin. Zum Inhalt wollte er keine Angaben machen: "Das gebietet der Anstand, dass ein sehr persönlicher Brief auch persönlich bleibt."
Seine Fußballkarriere begann bei SV Jena Pharm und führte Enke als Jugendspieler über Carl Zeiss Jena zu Borussia Mönchengladbach. Für die "Fohlen" debütierte er 1996 mit 18 in der Bundesliga, saß zwei Jahre auf der Bank, bevor er 1998 zum Stammtorhüter wurde. 1999 wurde er erstmals ins A-Team der Nationalelf berufen, kam aber nicht zum Einsatz.
Beim Abstieg der Gladbacher wechselte er 1999 ins Ausland zu Benfica Lissabon, spielte unter Jupp Heynckes, wo er gute Leistungen zeigte und den FC Barcelona auf sich aufmerksam machte. 2002 wechselte er nach Barcelona, wo sich Enke aber nicht durchsetzten konnte. Er spielte kaum für die Katalanen und wurde 2003 nach Istanbul zu Fenerbahce ausgeliehen.
Dort blieb er allerdings nur wenige Wochen – der Tiefpunkt seiner Karriere. Mit dem Wechsel zu CD Teneriffa kam die Wende: Denn dort entstand der Kontakt zum damaligen Hannover-Trainer Ewald Lienen, und wenig später, 2004, war der Wechsel zurück nach Deutschland perfekt: In Hannover konnte er seine Leistung wieder stabilisieren, entwickelte sich zum Führungsspieler und wurde schließlich die Nummer 1 im DFB-Team.
Enke hatte wegen seiner Erkrankung die letzten drei WM-Qualifikationsspiele verpasst und stand auch nicht im Kader für die in den kommenden Tagen angesetzten Länderspiele gegen Chile und die Elfenbeinküste. Dennoch galt er weiterhin als aussichtsreicher Anwärter auf einen Platz im WM-Aufgebot von Bundestrainer Joachim Löw. Sein letztes Bundesliga-Spiel bestritt der achtmalige Nationalkeeper am Sonntag beim 2:2 im Nordderby gegen den Hamburger SV.
Hannover 96 sagte ein für diesen Mittwoch geplantes Testspiel sofort ab. Der DFB sagte ein für Donnerstag geplantes Training ab. Auch alle zugesagten Interviewtermine fallen aus, wie DFB-Mediendirektor Harald Stenger am Mittwochmorgen mitteilte. Am Dienstagnachmittag hatte sich die Elf von Trainer Joachim Löw in Bonn getroffen, um sich auf die Testspiele gegen Chile am Samstag und später gegen die Elfenbeinküste vorzubereiten.
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