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Mosse-Lecture an Humboldt Uni BerlinWer über Populismus reden will

Angesichts der autoritären Revolte: Christoph Möllers und Philip Manow im Streit um Populismus als Problemsymptom.

Christoph Möllers denkt, die Krisenbehauptungen könnten auch eine self-fulfilling prophecy sein Foto: privat

Zurzeit konkurrieren zwei Ansätze um Plausibilität: Der erste sagt: Es gibt einen rechten Populismus und wir müssen ihm einen linken entgegensetzen. Der zweite sagt: Es gibt einen rechten und linken Populismus und beide sind Problemsymptom. Ersterer ist die Forderung der Politikwissenschaftlerin Chantal Mouffe, die wie die Pressesprecherin von Sahra Wagenknecht klingt. Doch um sie geht es nicht, sondern um Populismus als Problemsymptom.

Populismus als Problemsymptom zu behaupten kann bedeuten, eine Position der Mitte einzunehmen oder Populismus als politische Form abzulehnen. Aber keine Problematisierung ohne weitere Problematisierungen; und so kann man, wie Christoph Möllers, auch die Frage stellen, ob die Feststellung eines Krisensymptoms nicht selbst bereits eine politische Intervention ist.

Dabei geht es keineswegs um akademische Gedankenspiele, sondern um die Frage, wie wir Populismus und die globale autoritäre Revolte verstehen und erklären können. Christoph Möllers, eloquenter Verfassungsrechtler mit Top-Karriere, Träger des Leibniz-Preises 2016, politisch zwischen Sozialdemokratie und Grünen verankert und als potenzieller Verfassungsrichter gehandelt, hielt dazu am Donnerstagabend unter dem Titel „Die autoritäre Revolte“ die Mosse-Lecture an der Berliner Humboldt-Uni.

Ihm antwortete, so wie es die Dramaturgie der Mosse-Lectures vorsieht, ein anderer Wissenschaftler: Philip Manow, Politikwissenschaften an der Uni Bremen, am Montag erscheint sein Buch „Die politische Ökonomie des Populismus“ (Suhrkamp).

Das Überschießende vermeiden

Man ahnt es schon, Politische Ökonomie trifft Rechtsphilosphie – eine Konstellation, die die Beteiligten in Erklärungszwang bringt. Möllers stellte die durchaus provokative Frage, ob sozialwissenschaftliche Erklärungsversuche einer politischen Auseinandersetzung um die Zukunft liberaler Demokratien eher im Wege stehen, als sie weiterzubringen. Eine Frage, die nach dem Auftakt für einen Clash der Disziplinen klingt, aber es ging sehr freundschaftlich zu, vielleicht auch, weil, wie Manow betonte, das Einhalten der Formen in heutigen Zeiten durchaus ein Zeichen ist, „wir Bürgerlichen“, nun ja.

Rationalisieren, Selbstprüfung, das politisch Überschießende vermeiden, darum geht es Möllers: Die Sozialwissenschaften nähmen die antiliberale politische Mobilisierung nicht beim Wort, sondern pflegten sie durch etwas Anderes zu erklären. Dann, wenn man etwa den Erfolg der AfD mit sozialer Ungleichheit erklärt. Tatsächlich hat ja 2017 eine Studie, an der wiederum Philip Manow federführend beteiligt war, herausgefunden, dass AfD-Wähler gar keine Fortschrittsverlierer sind, heißt: Die AfD-Wähler wählen rechts, weil sie einfach rechts sind.

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Dennoch: Manow insistiert an diesem Abend und auch sonst im Sinne der Politischen Ökonomie darauf, dass, wer über Populismus reden will, aber nicht über Kapitalismus, nur bei Identitätspolitik landet – wo dann fröhlich Stigmatisierungen ausgetauscht werden. Doch man trifft sich nicht einmal in der Populismusdefinition. Für Möllers ist lediglich populistisch, wer das System sprengen will. Manow hingegen versteht auch Syriza und Podemos als populistisches Problemsyndrom.

Möllers weiß durchaus Manows Methode zu schätzen, immerhin vermeide sie einen Exotismus, der nur dunkle Mächte am Werk sehen könne, aber dennoch: Mit sozioökonomischen Interessen zu argumentieren heiße, sich zu wundern, dass die Leute gegen ihre eigenen Interessen wählen. Manow entgegnet die Frage, wie man ohne Politökonomie die Repräsentationslücken erklären könne. – Die NPD war einfach zu schmuddelig.

Könnte man die Perspektive nicht umkehren? Die Erklärungslast werde immer der Krise liberaler Institutionen auferlegt und nicht etwa ihrem bisherigen Erfolg, so Möllers. Bei einem Durchschnittsalter von 19 Jahren für Verfassungen ist es vielleicht bemerkenswert, dass wir noch immer in der Nachkriegsverfassung leben. Doch was heißt das schon?

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2 Kommentare

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  • Teil 2:

    Und warum sollte man dazu keine andere Sicht haben (dürfen)? Warum sollte man sich auf diejenigen, die an der Herrschaft partizipieren, diese stützen, verlassen? Deren Urteil als gegeben annehmen, übernehmen? Was ist daran aufgeklärt? Was ist daran liberal? Was ist daran politisch? Politik bei Mouffe Ranciere und vielen anderen wirklich engagierten Denkern seit den Anarchiste im 19. Jahrhundert beinhaltet das Moment des eigenen Entscheidens, des Umsetzens des eigenen Wollens, des Absprengens von Ketten, und seien sie noch so "vernünftig" begründet oder "verlockend" gestaltet. Politik lebt vom Widerspruch! Politik lebt von Handlungsspielräumen. Wenn diese wie jene kaum möglich sind, kaum Verbreitung finden und nict wirklich abgewogen werden und sei es weil politische Prozesse irgendwo an fernen abgeschotteten Orten stattfinden und durch "Sach-" und "Gesetzeszwänge" sowie "Kompromisse" verstümmelt werden, darf man das kritisieren. Man darf es ablehnen. Man darf sich davon lossagen, man darf also im Extremfall sagen: Das sind nicht meine Repräsentanten! Man darfbevor es so weit kommt aber auch sagen: Ich verlange von denen, die meine Repräsentanten zu sein vorgeben, bestimmte Dinge. Und ich mache Krawall, wenn sie das nicht tun. Das ist das Einzige, was mir bleibt, um das Politische (d.i. der Widerspruch gegen das strukturell wie gedanklich Gesetzte [grundlegend ist die Frage, was es auf der Welt gibt - epistemisch!, darum wird zuerst gestritten und Herrschaft setzt diese Dinge!]) lebendig zu halten. Und Widerspruch ist stärker, wenn er gemeinsam erfolgt. Und jeder Einzelne, der sich so einem Kollektiv anschließt, ist gleichermaßen dazu berechtigt (qua liberaler Verfassung) aber auch berechtigt qua Selbstverständnis als aufgeklärtes Individuum-

    Und wenn Herrschende so etwas immer reflexhaft als "Populismus" abtun, offenbaren sie genau, wie sehr die anderen mit ihrer Diagnose Recht haben und wie sehr es geboten ist, nicht vom "populistischen Tun" abzulassen.

  • Schade. Vielleicht ist Mouffes Position zum Verständnis des Gegebenen und für Wege aus der Krisendiagnose (Aufbruch - ich weiß, dass das sprachlich an Wagenkecht andockt und das ist sicher kein Zufall!) einfach fruchtbarer als die Diskussion unter dre Prämisse des "problematischen Populismus" zu führen.

    Ich denke, dass ds so ist. Und mein Hauptargument, das sich durchaus auch bei Mouffe oder verwandt z.B. bei Ranciere wiederfindet, ist: Damit Politik in einem weiteren Sinne eine praktische Form ist und Bewegungsspielräume hat, muss es gemeinsame Themen, Motive, Bewegungen geben können und eine Erfahrung der (kollektiven!) Selbstwirksamkeit (d.h. "etwas verändern können" muss tatsächlich möglich sein).

    Politik, wie sie heute im bürgerlichen "liberalen" Nationalstaat allerdings verfasst ist (Gremien der Wenigen, starke Verwaltung, Professionalisierung, wenige Lebensbereiche vom Willen und Wollen der Bürger abhängig, in den meisten gelten "Sach-", "Verwaltungs" oder "Gesetzeszwänge", kann dieses überhaupt nicht einlösen. Ich wäre geneigt, die Systemfrage zu stellen, aber da das nur meine Meinung und hier nicht das Thema ist, geht es mir um das:

    Dieses politische System und die unterliegende Struktur des Staates sind starr und das geht unzweifelhaft zum Nachteil (wenn auch nicht zum alleinigen oder völligen Nachteil!) bestimmter Gruppen. Es erstickt überdies viel(e) Initiative(n). Den "Populismus" abwehren, der ja diese Verfasstheit ablehnt, der einige der Selbstgewissheiten des Systems und vieler (nicht aller!) derjenigen, die an ihm (profitabel) partizipieren (Politiker, Beamte, Lehrer, viele Journalisten, hohe Hierarchen in Unternehmen usw.) in Frage stellt und ablehnt (z.B. die Gewissheit, dass wir in einem guten Land leben in dem soziale Gerechtigkeit verwirklicht wird; die Gewissheit, dass man ja im Leben gleiche Chancen habe; die Gewissheit, dass man weitreichende bürgerliche Freiheiten habe; u.a.), heißt die Zustände zu verteidigen. Und das ist Befangenheit.