Mordvorwürfe in Guatemala: Toter will Präsidenten stürzen
Ein mysteriöser Mord, der per Video angekündigt wurde, bringt Guatemalas Präsident Colom in Bedrängnis - und spaltet das Land.
In Guatemala demonstrieren zur Zeit täglich Zehntausende gegen den sozialdemokratischen Präsidenten Álvaro Colom, und ein paar Straßenzüge weiter demonstrieren zehntausende für ihn. Der Anlass für die Aufmärsche ist eine Leiche.
Diejenigen, die gegen Colom demonstrieren, sind gut gekleidete hellhäutige Menschen aus der gehobenen Mittel- und Oberschicht. Die Unterstützer Coloms sind arme indianische Kleinbauern, die mit von der Regierung gecharterten Bussen in die Hauptstadt gekarrt wurden. Sie hätten sich das Fahrgeld nie leisten können und lieben den Präsidenten und vor allem seine Gattin Sandra Torres. Denn die leitet ein Programm zur Bekämpfung der Armut und lässt kostenlose Lebensmittel an bedürftige Familien verteilen.
Der Tote ist Rodrigo Rosenberg Marzano, Spross einer der reichsten Familien Guatemalas und am Ende seines 47 Jahre währenden Lebens einer der erfolgreichsten Wirtschaftsanwälte des Landes, Vizerektor einer angesehenen Privatuniversität und Direktor der nationalen Handelskammer. Am 10. Mai wurde er in der Nähe seines Hauses in einem Nobelviertel der Hauptstadt erschossen.
So ein Mord allein hätte noch keine Regierungskrise ausgelöst. Tags darauf aber veröffentlichten alle wichtigen Medien des Landes ein Video, in dem eben dieser Anwalt 18 Minuten und 16 Sekunden lang spricht: "Ich heiße Rodrigo Rosenberg und wenn Sie diese Botschaft sehen, dann leider deshalb, weil ich ermordet worden bin." Er sagt auch, wer diesen Mord in Auftrag gegeben hat: Gustavo Alejos der Privatsekretär von Colom. Der Präsident und seine Gattin hätten das Verbrechen gebilligt. Und warum? Colom habe den Unternehmer Khalil Musa in den Aufsichtsrat der zweitgrößten Bank Guatemalas berufen: der Banrural, an der auch der Staat Anteile hält. Musa, ein Klient von Rosenberg, habe dort festgestellt, dass Drogengelder gewaschen und Gelder von staatlichen Sozialprogrammen unter der Aufsicht der Präsidentengattin abgezweigt würden. Musa habe plaudern wollen, doch dazu kam es nicht.
Der 74-jährige Textilunternehmer wurde am 14. April zusammen mit seiner 34-jährigen Tochter Marjorie erschossen. Rosenberg war nicht nur der Anwalt von Musa. Er war zwei Mal geschieden und bemühte sich heftig darum, dass Marjorie seine dritte Ehefrau werde.
In Guatemala klingen solche Anschuldigungen zunächst einmal glaubwürdig. Es wird kaum eine Bank geben, in der keine Drogengelder gewaschen werden und nur wenige Politiker, die solches Geld im Wahlkampf ablehnen würden. Auch Korruption ist gang und gäbe. Trotzdem ist der Fall viel dunkler, als er auf den ersten Blick erscheint. Und das nicht nur, weil Rosenberg im Video keinen einzigen Beweise liefert.
Der Anwalt war von nicht eben Vertrauen erweckenden Gestalten umgeben. Von Mario David García zum Beispiel, dem Mann, der das Video aufgezeichnet hat. Ein Radiojournalist mit eigener Talkshow, bestens vernetzt mit rechten Kreisen. Mitte der achtziger Jahre war er angeblich an der Vorbereitung eines Putschs gegen Vinicio Cerezo beteiligt, den ersten gewählten Präsidenten nach Jahrzehnten sich ablösender Militärdiktaturen.
Der Unternehmer Luis Mendizábal hat über hundert Kopien dieses Videos strategisch verteilt. Er arbeitete früher als Sicherheitsberater verschiedener rechter Regierungen. In Guatemala muss man für solche Jobs nicht nur verschwiegen sein, sondern auch über Leichen gehen können. Und der lautstarkste Anführer der Anti-Colom-Demonstrationen ist Ex-General Otto Pérez Molina, der Colom bei der Präsidentenwahl Ende 2007 nur knapp unterlegen war. Im Bürgerkrieg (1960 bis 1996) waren seine Einheiten für mehrere Massaker an der indianischen Zivilbevölkerung verantwortlich.
Solche Kreise sind durchaus daran interessiert, die Regierung Colom zu destabilisieren. Vor allem wollen sie verhindern, dass nach argentinischem Vorbild nach dem Präsidenten dessen Gattin ins höchste Staatsamt gewählt wird. Sandra Torres hat solche Ambitionen. Sie nutzt die von ihr geleiteten Sozialprogramme für die Eigenwerbung und ist eine der beliebtesten Politikerinnen des Landes. Doch würde sie auch über Leichen gehen, wenn man ihr andernfalls Korruption nachweisen könnte?
So fragt sich, wessen Opfer Rosenberg ist. Eines der Regierung? Oder eines von rechten Kreisen, die ihn glauben machten, er werde von Colom verfolgt, um ihn dann umzubringen und den Mord dem Präsidenten in die Schuhe zu schieben. Das soll nun eine UNO-Kommission klären. Einstweilen nutzen beide Seiten die Gelegenheit, das Land entlang von sozialen und ethnischen Grenzen noch weiter zu spalten.
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