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Mordanschlag auf maltesische JournalistinViel Zeit bleibt nicht

Drei Männer sitzen in Haft, weil sie die Journalistin Daphne Caruana Galizia getötet haben sollen. Ihre Söhne sehen die wahren Täter woanders.

Jeden 16. eines Monats wird an das Bombenattentat erinnert: Familienangehörige von Daphne Caruana Galizia bei einer Protestkundgebung in Valletta Foto: reuters

Valletta taz | Das war das Schwierigste, was wir jemals getan haben“, schrieb Mathew Caruana Galizia, Sohn der posthum nun wohl für alle Zeit berühmten Journalistin Daphne Caruana Galizia aus Malta. Er meinte nicht den 3. November des letzten Jahres, als er und seine Brüder den mit weißen Rosen geschmückten Sarg seiner Mutter aus dem Dom von Mosta trugen, unter den Augen Hunderter Reporter, Fotografen und Kameraleute. Mathew Galizia meinte einen Film, in dem er, seine Brüder und ihr Vater über Daphne Galizia sprachen – und über jene, die sie getötet haben.

Es war das erste große Interview der Familie nach dem weltweit beachteten Autobomben-Mord im Oktober 2017. „Ich hatte es im Gefühl, dass etwas Schlimmes passieren würde“, sagt Galizia darin.

Er beschreibt, wie seine Mutter sich mit den Worten „Ich gehe zur Bank“ verabschiedete und aus dem Haus lief. Wenige Minuten später hörte er die Explosion. „Und ich wusste, es war eine Bombe“, sagt Galizia. Auf der Straße, die am Haus der Familie vorbeiführt, sah er den Feuerball, in den der Sprengstoff den Peugeot seiner Mutter verwandelt hatte. „Er sah aus wie die Hölle selbst“, sagt Galizia.

Der Mord an seiner Mutter hat ein Schlaglicht auf die kleine Mittelmeerinsel geworfen. Die Journalistin, die ihre Texte nur noch auf ihrem von über 400.000 Menschen verfolgten Blog veröffentlichte, schrieb über Kriminalität und Korruption. Ihre Familie glaubt, dass es Letzteres war, das sie das Leben kostete: Hintermänner seien die Spitzen des Staates, deren krumme Geschäfte Galizia fast im Alleingang öffentlich gemacht hatte.

Konkret geht es vor allem um vier laufende Korruptionsverfahren, die auch auf Galizias Recherchen und die berühmten Panama Papers zurückgehen. Aus den Reihen der Regierung wird dabei vor allem gegen Michelle Muscat, die Frau des sozialdemokratischen Premierministers Joseph Muscat, gegen Muscats Kabinettschef Keith Schembri und den Tourismusminister Konrad Mizzi ermittelt.

Drei Männer in Untersuchungshaft

Im Gefängnis sitzen heute aber andere: Am 4. Dezember stürmen vermummte Soldaten und Polizisten, Maschinengewehre im Anschlag, ein Dockgebäude in Marsa, einige Kilometer südöstlich von Maltas Hauptstadt Valletta. Sie nehmen zehn Männer fest. Maltesische Medien berichten, die „Bande“, die Galizia getötet habe, habe sich in dem Schuppen versteckt. Kurz darauf gibt Premier Muscat eine Pressekonferenz. Bei den Festgenommenen handele es sich um „bekannte Kriminelle“. Ermittler des FBI, von Europol und der finnischen Polizei hätten Indizien gegen sie gesammelt.

Am nächsten Tag werden drei der Festgenommenen wegen des Mords an Galizia dem Haftrichter vorgeführt: Die Brüder Alfred und George Degiorgio sowie ein Mann namens Vince Muscat. Sie bestreiten die Vorwürfe, kommen aber trotzdem in Untersuchungshaft.

Soweit bekannt ist, gibt es vor allem drei belastende Indizien gegen die Verdächtigen, davon berichteten in Deutschland im April die Zeit und die Süddeutsche Zeitung. Erstens: DNA-Spuren von Alfred Degiorgio an Zigarettenstummeln, die an dem Ort gefunden wurden, von dem aus die Bombe an Galizias Auto per SMS ausgelöst worden sein dürfte. Zweitens und drittens: Daten von Handys, die die Bombe ausgelöst haben beziehungsweise vor der Tatzeit am fraglichen Ort eingeloggt waren. Die Telefone wurden von der Polizei aus dem Hafenschlick geborgen – und zwar genau unter dem Liegeplatz der Maya, des Boots der Degiorgios.

Der Premier sagt immer, dass ,wir' die Hintermänner finden. Aber was, wenn die Hintermänner mit ihm zu tun haben?

Mathew Galizia, Sohn der Ermordeten

Alle drei sind vorbestraft, Alfred Degiorgio unter anderem wegen schweren Raubs. Auch ein ehemaliger Geschäftspartner von George Degiorgio starb durch eine Autobombe. Kommen solche Leute infrage als Mörder von Galizia? Sie hatte schließlich auch intensiv zur Kriminalität auf der Insel recherchiert. Zweifel daran, dass die drei tatsächlich getan haben, was man ihnen vorwirft, sind auf der Insel nicht zu hören. Trotzdem sehen viele in der Verhaftung keinen Erfolg. „Keiner von uns hat irgendeine Befriedigung verspürt, als die drei verhaftet wurden“, sagte etwa Galizias Sohn. „Es war, als würden sie die Bombe verhaften.“

Die Familie hat seit dem Anschlag keinen Zweifel daran gelassen, dass sie Regierungspolitiker vor Gericht sehen will. „Muscat redet immer davon, dass ‚wir‘ untersuchen, dass ‚wir‘ die Hintermänner finden werden“, sagt Mathew Galizia; „Aber was, wenn die Hintermänner mit ihm selbst zu tun haben?“ Es gebe keine unabhängige Untersuchung, das sei das Problem.

Der Hinweis

Bislang gibt es nur einen bekannten Hinweis auf eine Verbindung zwischen der Degiorgio-Gang und Maltas Regierung: Wirtschaftsminister Chris Cardona soll sich im November, kurz nach dem Anschlag, mit Alfred Degiorgio getroffen haben. Cardona selbst steht nicht im Zentrum der Korruptionsermittlungen. Allerdings hatte Galizia über einen Bordellbesuch von Cardona berichtet, der ging deswegen vor Gericht, im Zuge des Verfahrens wurde Galizias Konto gesperrt.

Die Ermittlungen gehen stockend voran. Der Untersuchungsrichter Silvio Valletta führte eines der vier erwähnten Korruptionsermittlungsverfahren gegen die Spitzenpolitiker. Dies wurde ihm im Juni entzogen, weil er mit einer Ministerin verheiratet ist. Ebenfalls im Juni wurde der Untersuchungsrichter Anthony Vella, der die Mordermittlungen führte, zum Strafrichter befördert. Journalisten auf Malta halten für möglich, dass sein Nachfolger die Ermittlungen von vorn aufnehmen muss.

Ungefähr zur selben Zeit seiner Beförderung – Anfang Juni – hatte Vella die Telefonverbindungsdaten von Premier Muscat, Wirtschaftsminister Cardona und dem Oppositionsführer Adrian Delia angefordert. Rausgerückt hat der Geheimdienst diese nach Informationen der taz bislang nicht – und nach einem Jahr werden sie automatisch gelöscht. Viel Zeit bleibt nicht.

Weil sie Maltas Ermittlern nicht traut, hat die Familie von Galizia ihre Laptops im Mai dem Bundeskriminalamt in Wiesbaden übergeben. Eine Sprecherin des BKA bestätigt der taz, dass die Auswertung noch läuft. Ein Ermittlungsverfahren gibt es in Deutschland nicht. Es ist unklar, wer mögliche Erkenntnisse des BKA bekommen wird: Die maltesische Justiz per Amtshilfeersuchen, Galizias Familie oder beide?

Weil Galizia am 16. Oktober starb, halten Freunde, Familie und Oppositionspolitiker an jedem 16. des Monats eine Mahnwache auf Malta ab. Sie greifen dabei den Premier Muscat an, werfen ihm vor, weiter zweifelhafte Geschäfte zu betreiben. Vor allem kritisieren sie, dass der Verkauf maltesischer EU-Pässe an reiche Ausländer weitergeht. Galizias Recherchen und die Panama Papers hatten nahegelegt, dass sich Muscats Umfeld an diesen persönlich bereichert hatte. Wer heute nach Malta fliegt, findet im Bordmagazin der Staatsairline noch immer doppelseitige Anzeigen, die für die käufliche Staatsangehörigkeit Maltas werben.

Die Wahrheit

Das Bundeskriminalamt hat im letzten Jahr eine Kopie der Panama Papers gekauft. Maltesische Ermittler sind nach Wiesbaden gereist, um Einsicht nehmen und nachvollziehen zu können, was darin gegen das Umfeld Muscats steht. Doch auf Malta ist zu hören, dass die Verfahren eingestellt werden könnten. Die EU-Justizkommissarin Vera Jourova flog deshalb im Juni nach Malta. Die Kommission erwarte „unabhängige und seriöse Ermittlungen“. „Wir müssen die volle Wahrheit wissen“, sagte Jourova.

taz am wochenende

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Schon seit Monaten hatte eine Gruppe von EU-Abgeordneten um den Grünen Sven Giegold Druck in der Sache gemacht. „Die Mordermittlungen sind wichtig“, sagt Giegold. „Die Antikorruptionsermittlungen aber sind ebenso wichtig.“ Muscat habe sein Versprechen nicht gehalten, alles Nötige zu tun, um die Schuldigen für den Mord an Galizia zu finden. Bislang habe keines der fünf Ermittlungsverfahren „ernsthafte Ergebnisse gezeigt“, sagt Giegold. Mehr denn je sei deshalb eine unabhängige internationale Untersuchung erforderlich.

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