Mord an Stadträtin in Brasilien: Kronzeuge bringt Ermittlungen voran
In Brasilien beschuldigt ein Ex-Polizist als Kronzeuge einen Ex-Kollegen als Vermittler des Mordes an der linken Stadträtin Marielle Franco in Rio.
Am 14. März 2018 waren Franco und ihr Fahrer Anderson Gomes in Rio de Janeiro auf dem Rückweg von einer Veranstaltung erschossen worden. Als sie noch lebte, war die schwarze, bisexuelle Feministin eine nur regional bekannte Landespolitikerin, posthum wurde sie zu einer im ganzen Land verehrten Märtyrerin.
Bei Konzerten, Veranstaltungen und Karnevalsfeiern erinnern viele Menschen bis heute an sie – auch weil immer noch nicht klar ist, warum sie sterben musste. Zwar sitzen die mutmaßlichen Täter in Untersuchungshaft, aber über die mögliche Auftraggeber gibt es bisher keine Informationen.
Die Ermittler*innen gehen von einem Zusammenhang zu den Milizen aus. Diese paramilitärischen Banden setzen sich aus ehemaligen und aktiven Polizisten zusammen und kontrollieren viele arme Stadtteile Rio de Janeiros mit Waffengewalt.
Heckler & Koch-Tatwaffe aus Beständen der Spezialpolizei?
Franco war eine scharfe Kritikerin dieser Gruppen, ihr politischer Ziehvater Marcelo Freixo steht schon seit langem auf der Todesliste der Banden.
Am Montag hatte die Polizei die Häuser von weiteren Verdächtigen durchsucht und den ehemaligen Feuerwehrmann Maxwell Simões Corrêa verhaftet. Er soll Waffen versteckt und die Ermittlungen behindert haben.
In seiner Aussage sagte Queiroz auch, die Tatwaffe, eine Maschinenpistole des deutschen Herstellers Heckler & Koch, soll aus den Beständen der Spezialpolizei BOPE stammen. Der berüchtigten Truppe werden enge Verbindungen zu den Milizen nachgesagt.
Große Teile der Aussagen Queiroz' sind unter Verschluss, allerdings kündigte Justizminister Flávio Dino weitere Fortschritte in den nächsten Wochen an.
Neue Regierung brachte Schwung in Ermittlungen
Im Januar, kurz nach seinem Amtsantritt, hatte Justizminister Dino versprochen, den Fall aufzuklären („Das ist eine Frage der Ehre“) und neue Ermittlungen durch die Bundespolizei angeordnet. Dass sich die oberste Polizeibehörde dem Fall angenommen hat, zeigt die politische Brisanz.
Denn mehr als fünf Jahre nach dem Anschlag sind die Ermittlungsergebnisse dürftig. Die Polizei folgte erst einer falschen Fährte, die wohl absichtlich gelegt worden war. Beweisstücke verschwanden, Beziehungen zwischen Ermittler*innen und Verdächtigen kamen ans Licht, fünf leitende Kommissare wurden ausgetauscht.
Von politischer Seite war lange Zeit kaum Unterstützung für die Aufklärung des Falls zu erwarten. Denn mit dem Rechtsextremen Jair Bolsonaro war bis zum 31. Dezember 2022 ein Mann Präsident, der das exakte Gegenteil dessen vertrat, wofür Franco sich einsetzte.
Besonders pikant: Der mutmaßliche Mörder Ronnie Lessa lebte in der gleichen Luxuswohnanlage wie Bolsonaro. Möglicherweise ein Zufall, doch die Familie des Ex-Präsidenten pflegte seit Langem Verbindungen zu den Milizen.
Schwester der Ermordeten ist Antirassimus-Ministerin
Der Fall Marielle Franco legt auch offen, wie eng institutionelle Akteur*innen und das organisierte Verbrechen in Rio de Janeiro verknüpft sind. Die neue Regierung unter dem Sozialdemokraten Luiz Inácio Lula da Silva scheint sich anders als ihre Vorgängerregierung der Verantwortung bewusst zu sein, den Mord aufzuklären.
Lula berief Anielle Franco, die Schwester der ermordeten Stadträtin, zur Ministerin für igualdade racial (Antirassismus). Franco äußerte sich noch am Montag zu den neusten Ermittlungsergebnisse: Diese stellten einen „wichtigen Schritt“ dar, für ihre Familie sei der Fall aber noch weit davon entfernt, aufgeklärt zu sein.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit
Wirtschaftsminister bei Klimakonferenz
Habeck, naiv in Baku
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin