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„Mohren“ für das „südliche Flair“

■ Die Frankfurter Frühjahrsmesse öffnete ihre Pforten / Konsumgüterbranche setzt auf den „letzten Schrei“

Frankfurt (taz) – Wer träumt nicht von einer Friedenstaube, aus Wachs gegossen, die laut Pressetext „den Wunsch nach Frieden auf ihre Art unterstützt“? Für „die Friedensmission sind auch passende Gebetbücher aus Wachs im Sortiment“.

Da mag man „Happy Erwin“ immerhin noch einen gewissen Sinn zugestehen. Mit seinem Freund „Funny Rosy“ ist er die erste Zahnbürste mit Licht und Musik. Sie „üben eine erzieherische Kontrollfunktion beim Zähneputzen aus“, indem „durch Aufleuchten signalisiert wird, daß drei mal zwei Minuten die Zähne geputzt“ wurden.

Letzteres Produkt, das zweifellos eine revolutionierende Neuerung für den (Welt)markt darstellt, ist in der kleinsten und bei weitem abartigsten Messehalle zu bewundern: der Fachmesse für Drogerie-, Parfümerie- und Friseurbedarf. Über den durchweg quietschfarbenen Ständen schwebt der Duft, aus dem der Brechreiz ist. In dieser Halle findet sich auch ein weiteres absolutes Muß für Sommer und Herbst: „Die lustige Spiegelbrille“ mit „dem EM-Maskottchen auf dem einen und dem UEFA-Schriftzug auf dem anderen Glas“. Zwischen all dem stöckeln aufgemotzte Messedamen mit künstlichen Haarteilen (“in den warmen Sommerfarben Honig, Ton und Kiesel“) herum und tragen die WC- Bürste mit dem Flüssigkeitsspender im Griff spazieren.

Mit oder ohne Friedenstäubchen aus Wachs, das ökumenische Kirchenzentrum steht jedem/jeder offen, die sich ein Konsumpäuschen gönnen will. „Sehen Sie das mal so“, sagt Francis Schmitt von der Evangelischen Öffentlichkeitsarbeit, „bei so viel Leuten hier gibt es schon mal welche, die sich bei uns auskotzen wollen zwischen all dem Streß.“ Rund 60 Menschen, AusstellerInnen und BesucherInnen gleichermaßen, finden sich täglich hier ein. Schmitt: „Angeboten werden Information, Gespräch und Beratung, für Entspannung steht ein Meditationsraum zur Verfügung.“

Angesichts der räumlichen Aufteilung des Kirchenzentrums scheint allerdings fraglich, ob dort jemand ins Meditieren kommt. Genau neben dem Meditationsraum laufen ständig plappernde Journalisten und Aussteller in Richtung Pressezentrum.

Mit dem sogenannten „Messe- Radio“ versucht der Hessische Rundfunk erstmals, sich in das (internationale) Gespräch zu bringen. Ob die Zeit von 7 bis 9 Uhr dafür allerdings geeignet ist, scheint fraglich. Immerhin lassen sich oft Weltnachrichten in englischer Sprache empfangen.

Trotz vereinzelter Plastikblumenberge und schauerlich-schönen Souvenirpüppchen in Tüll- und Taftkleidchen ist die Halle Kunsthandwerk und Kunstgewerbe auch für Nichteinkäufer sehenswert. Neben Scheußlichkeiten finden sich dort schöne handgearbeitete Teppiche, origineller Schmuck oder einfache Objekte aus Naturmaterialien wie Stein oder Holz. Eine erholsame Insel zwischen Kitsch und Luxuswaren, entweder häßlich oder für den Normalbürger unerschwinglich.

Überzeugte Singels werden sich über „lebensgroße Mohren“ freuen. Sie bringen nach Auffassung ihres Wiesbadener Herstellers „südliches Flair in den Wohn- und Arbeitsbereich“. Bleibt die Frage, wann es lebensgroße Bleichgesichter geben wird, die bundesdeutsche Langeweile in südliche Gefilde expedieren?

Ganz nach deutschem Geschmack dürften „Kuckucksuhren mit Semi-Automatic-Nachtabschaltung“ sein. Wem der Kuckuck über Nacht auf die Nerven geht, der kann ihn mittels eines kleinen Hebels künftig ab 19 Uhr 30 abstellen. Pressetext: „Am nächsten Morgen, pünktlich um 7 Uhr meldet sich der Kuckuck dann wieder mit seinem munteren Rufen.“

Interessant dürfte für diejenigen, die Liquidität vorschützen wollen, der „letzte Schrei“ sein: ein „nachfüllbares Gasfeuerzeug, das sich in Form und Aussehen kaum von einer Kreditkarte unterscheidet“. tja

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