Möglicher Stuttgarter OB-Kandidat Turner: „Testosteronpolitiker preschen vor“
Der ehemalige Werbeunternehmer Sebastian Turner über seine mögliche Kandidatur in Stuttgart, eine vom S21-Konflikt geprägte Stadt und seinen früheren Job als Werber.
taz: Herr Turner, Sie hatten Erfolg als Werbefachmann, jetzt wollen Sie Oberbürgermeister in Stuttgart werden. Welche Regeln für die Vermarktung von Joghurt lassen sich auf die Politik übertragen?
Sebastian Turner: Sie müssen das Haltbarkeitsdatum beachten!
Wie leicht lässt sich das Image eines Politikers beeinflussen?
Es ist leicht, einem Image zu schaden, aber schwierig, es zu verbessern. Sie haben keine Kontrolle über das Medienbild.
Bundeskanzlerin Angela Merkel hat die Wehrpflicht ausgesetzt und Atomkraftwerke abgeschaltet. Sie bricht immer wieder mit Traditionen ihrer Partei. Warum ist sie dennoch so beliebt?
Der Mensch: Sebastian Turner, 45, wuchs in Stuttgart auf, wo sein Vater Präsident der Universität Stuttgart-Hohenheim war. Turner junior studierte in Bonn unter anderem Politikwissenschaften und Journalismus.
Der Werber: Nach dem Mauerfall gründete er zusammen mit Thomas Heilmann die Werbeagentur Scholz & Friends. Zu einem der bekanntesten Slogans aus ihrer Feder gehört der Baden-Württemberg-Slogan „Wir können alles – außer Hochdeutsch“. Auch für die taz hat Turner eine Kampagne gestaltet.
Der Bürger: Turner gehörte dem Präsidium des Evangelischen Kirchentags an und zählt zu den Mitgründern der Aktion „Kinderfreundliches Stuttgart“. Heute ist er im Vorstand der Berliner Einstein-Stiftung zur Förderung der Wissenschaften tätig.
Der Politiker: Der parteilose Turner will für die CDU als Oberbürgermeister von Stuttgart kandidieren. Als wichtigste Themen für die Stadt nennt er Bildung, die Grundlage für Innovation und Integration sei. Außerdem müsse die kinderfreundliche Stadt auch eltern- und altenfreundlich werden. Zudem müsse Stuttgart das Nachölzeitalter gestalten. Dafür seien neben den Köpfen in der Wissenschaft und der Industrie mit den Entscheidern und dem Kapital alle wichtigen Grundlagen in Stuttgart vorhanden.
Die Gegner: Die CDU entscheidet am 17. März, ob sie Turner oder den früheren Sozialminister und heutigen EnBW-Lobbyisten Andreas Renner aufstellt. Bei den Grünen will Fritz Kuhn kandidieren. Wen die SPD nominiert, ist noch offen. Die S-21-Gegner überlegen, einen eigenen Kandidaten zu benennen. Amtsinhaber Wolfgang Schuster (CDU) tritt zu der Wahl am 7. Oktober nicht mehr an. (taz)
Testosteronpolitiker wie Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy oder Italiens Expremierminister Silvio Berlusconi preschen gerne vor und werfen Handgranaten, um für ihre Position zu streiten, die sie aber gerne mal wieder wechseln. Angela Merkel macht das anders.
Wie?
Ihre Entscheidungen erweisen sich auf längere Sicht als richtig. Und sie steht die Perioden durch, in denen das nicht klar ist. Das führt am Ende zu dem Eindruck: Da ist man in ganz guten Händen, man kann ihr glauben.
Wirklich? Warum stehen Sie selbst dann nicht zur CDU, für die Sie antreten wollen? Sie gehören keiner Partei an.
Ich habe seit der Schulzeit journalistisch gearbeitet und meinte: Das beißt sich mit einer Parteizugehörigkeit. Für das Gemeinwesen habe ich mich dann in anderen Organisationen engagiert, etwa beim Evangelischen Kirchentag oder bei Unicef.
Thomas Heilmann, Ihr früherer Partner bei der Werbeagentur Scholz & Friends, wurde vor Kurzem Justizsenator von Berlin. Geht man in die Politik, wenn man genug Geld verdient hat?
Was uns verbindet, ist die Freude an reizvollen Aufgaben, ganz unabhängig von der Besoldung. Als wir 1990 nach Ostdeutschland gezogen sind, haben wir uns als Geschäftsführer mit Müh und Not Bafög-Ost als Gehalt bezahlen können, und dennoch war es großartig.
Wer in die Politik geht, setzt sein Leben Kritik und Transparenz aus. Wo sind Ihre Grenzen?
Ich denke, die Grenzen sind überall ähnlich: Man macht besser nichts, was man nicht erklären kann.
Als Werber hatten Sie enge Kontakte zur Wirtschaft – bedenklich?
Wenn das bedenklich ist, dann sind alle nicht beim Staat Beschäftigten für politische Ämter ungeeignet.
Ihre Gegner sagen, Ihnen fehle als Unternehmer Verwaltungserfahrung.
Dagegen spricht die Erfahrung und die Verwaltungswissenschaft: Stuttgart wurde 50 Jahre am Stück von Oberbürgermeistern regiert, die vor Amtsantritt keine Kommunalerfahrung hatten: Arnulf Klett und Manfred Rommel. Und zum anderen sagen Verwaltungswissenschaftler, dass es nicht minder anspruchsvoll ist, ein großes Dienstleistungsunternehmen mit über tausend Mitarbeiten zu führen.
Als Werber haben Sie eine Rettungskampagne für die taz erfunden und für die Frankfurter Allgemeine den Spruch „Dahinter steckt immer ein kluger Kopf“ aufgefrischt. Für eine Partei haben Sie nie geworben. Warum nicht?
Weil wir uns nie auf eine Partei einigen konnten. Wir hatten CDUler, SPDler, Grüne in der Agentur. Bei einem Joghurt ist das egal, aber Sie wollen nicht für eine Gruppe arbeiten, die aus Ihrer Sicht nicht an die Regierung soll.
Nach der Debatte um das Bahnhofsprojekt S21 ist Stuttgart eine zerstrittene Stadt, die zudem über Jahre von einer Großbaustelle geprägt sein wird. Warum wollen Sie sich das überhaupt antun?
Da kommt im Unternehmer wohl der Politikwissenschaftler und Stuttgarter durch. Mich begeistert die Aufgabe.
Sie sagen, Sie wollen die Stuttgart-21-Gegner „mitnehmen“ und zu einem „Ideenwettbewerb einladen“ – also mit flotten Sprüchen befrieden?
Sprüche bringen nichts. Man könnte auch „Partizipation“ oder „Mitmachen“ oder „Bürgerbeteiligungsverfahren“ sagen.
Wie soll das aussehen?
Stuttgart 21 sind eigentlich zwei Projekte.
Sie sprechen gern von S2 und S1.
Genau. Stuttgart 1 steht für den Durchgangsbahnhof; der sollte schnell realisiert werden, sonst steigen Kosten und Belastung. Und Stuttgart 2 ist die unvergleichliche Chance städtebaulicher Gestaltung des frei werdenden Gleisvorfelds. Die kommt frühestens in zehn Jahren. Da sollte es vorbildliche, offene Beteiligungsmöglichkeiten geben. Dabei kann man sich auch andere großflächige Neubebauungen anschauen.
Den Potsdamer Platz in Berlin oder die Hamburger Hafencity?
Beides sind interessante Lehrbeispiele – auch dafür, dass man es besser machen kann. Beim Potsdamer Platz hat man nicht an Geld und Stararchitekten gespart, und trotzdem ist es ein zugiger, wenig einladender Ort geworden.
Wollen Sie ein Ökoviertel?
Das reicht nicht. Sie können das hässlichste Haus mit Umwelttechnik ausstatten. Es sollte ein Ort entstehen, an dem sich die Leute dann gerne aufhalten. Eine mittelalterliche Stadt ist für mich eher ein Vorbild als eine Bürovorstadt. Aber ich bin wie die Stadt erst am Anfang meiner Überlegungen.
Ihre erste Aktion, um die Diskussion in Gang zu bringen?
Ich habe eine Idee, die will ich aber erst prüfen, ehe sie in der Zeitung steht.
Mit Ihrer letzten Idee haben Sie sich verschätzt. Immerhin waren Sie es, der Stuttgart 21 den Slogan „Das neue Herz Europas“ verpasste.
Nicht jede Formulierung glückt. In der Initialphase vor über zehn Jahren hatten die Befürworter eine breite Akzeptanz erreicht. Dann zogen sich die Finanzierungsverhandlungen über Jahre hin. Als dann der Vertrag unterschrieben war, stellte sich die Frage: Soll man einfach anfangen oder den Vermittlungsprozess aus den Anfangsjahren noch einmal wiederholen? Darauf wurde verzichtet. Und ab diesem Punkt rannte die Kommunikation immer hinterher, die Vorteile kamen immer erst zur Sprache, wenn die Nachteile schon genannt waren.
Welche Vorteile?
Die Gleise spalten wie ein Keil das enge Tal. Mit Stuttgart 2, dem neuen Park und Stadtgebiet, überwindet die Stadt diese Teilung.
Es heißt, Sie wüssten, wie die Schwaben ticken. Sie haben für Baden-Württemberg den Slogan „Wir können alles außer Hochdeutsch“ kreiert. Ticken die Schwaben seit dem Bahnhofsstreit anders?
Die haben sich gar nicht geändert. Es hat sich nur deutlicher als je zuvor gezeigt, wie sie sind.
Schwaben sind aufmüpfige Leute?
Aufgeweckt sind sie, und das ist ein Standortvorteil.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Nach dem Anschlag von Magdeburg
Wenn Warnungen verhallen
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Kaputte Untersee-Datenkabel in Ostsee
Marineaufgebot gegen Saboteure
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Aufregung um Star des FC Liverpool
Ene, mene, Ökumene